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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Ach, Leu. was schmuckst du dienen Wadel,
Und last erschlagen dienen Adel
Wider Recht und mit Gewalt?
Was soll dir diene grusame Gestalt?
Wilt nit anders thun darzue,
So frißt dich dermaleinst eine Schwyzerkuh.“

Das ist ein Vorspiel zu den zahlreichen Reimsprüchen, mit welchen im Flecken selbst Straßen und Häuser auftreten. Doch unendlich mehr, als die meisten derselben, sagen die einfachen Namen, Rüstungen und Fahnen, welche die Triumphbogen zieren, die auf dem Haupt- und Festplatz nach allen Straßen hin errichtet sind. Da liest man: Morgarten 1315 – Laupen 1339 – Sempach und Naefels 1386 – am Stoß 1405 – Arbedo 1422 – St. Jacob 1444 – Malserhaide 1499 – Murten und Grandson 1476; – da hängen aus jener Zeit Hellebarden, Morgensterne, Schwerter und Spieße, Panzer und Harnische; – aber noch tiefer, als dies Alles, dringt zu Herzen der Anblick des beinahe völlig zerfetzten, zerschossenen, von Noth und Tod so oft umringt gewesenen Banners von Unterwalden!

„Seht die Schweizerbübli groß und klein, mit welch leuchtenden Augen sie diese Waffen und Fahnen beschauen, mit welcher Begeisterung sie sich erzählen von den Schlachten ihrer großen Befreiungskriege! Welche Heldensaat für die Zukunft streut eine solche Feier der Thaten der Vergangenheit aus!“

Es packt uns doch stets ganz besonders, wenn wir auch Mädchen und Frauen von patriotischen Hochgefühlen erfüllt sehen. Und hier waren sie es und hatten ein blutig verbrieftes Recht dazu. Waren sie es doch gewesen, die in dem Unterwaldner Kampf von 1798, wo vom 3. bis 7. September bei Stansstad zweitausend Schweizer gegen sechszehntausend Franzosen Stand hielten, neben den Männern, Greisen und Knaben mitfochten und am 8. neben ihnen den Tod fanden. Dieselben Franzosen, die dort solch schmachvollen Sieg erreicht, mordeten Tags darauf in der Stanser Kirche dreiundsechszig wehrlose Greise, Weiber und Kinder sammt dem Priester am Altar hin. Die Namen der Unglücklichen bewahrt eine Marmorplatte im Beinhaus hinter der Kirche, deren Friedhof eine hohe Terrasse bildet. Dorthin drängen sich jetzt viele Weiber und Mädchen und beten für jene Opfer der Vaterlandsliebe. Viele Männer schaaren sich um die schöne alte Marmorstatue Winkelried’s auf den Marktbrunnen von Stans; andere Züge lenken nach Winkelried’s Wohnhaus, und diesen folgen auch wir.

B. belehrt uns, daß der Dachstuhl des Hauses neu und außerdem Vieles verändert sei, nur in der Wohnstube bewege man sich noch in demselben Raume, in welchem Winkelried mit den Seinen gehaust habe. Indeß wir die von Alter und Rauch geschwärzten Wände betrachteten, erschollen plötzlich eigenthümliche mächtige Töne vom Festplatze her.

„Die Helmibläser! Der Festzug hebt an!“ rief die Menge, und unsern B. erfaßte eine solche Schweizerhast, „dabei zu sein,“ daß wir Mühe hatten, ihn in Sicht zu behalten.

Wirklich bot der Festzug des Eigenthümlichen Mancherlei und des Bunten viel, namentlich durch die Waibel, welche den Abgeordneten der einzelnen Cantone folgten und deren Mäntel die Wappenfarben derselben zeigten, bald halb roth, halb weiß, bald halb grün, halb weiß, bald blau und weiß, schwarz und blau und so durch alle Farben, sowie ferner durch die sogenannten Helmibläser von Nidwalden, deren Instrument das große, gewundene Harschhorn (wohl so viel als Kriegshorn) ist und die, wie die Bannerträger der vier Waldstädte, in alter Schweizertracht erschienen, sowie endlich durch die vielen alten und neuen Fahnen der Cantone, Schulen, Vereine aller Art, der Militärabtheilungen etc.

Auf dem Festplatze angekommen, bildeten die Festzuggenossen um das noch verhüllte Denkmal einen weiten Halbkreis, hinter welchem das Volk sich zusammenschob. Unsern B. hatten wir richtig verloren; seine Ellnbogen hatten ihm einen Weg bis in die Nähe der Rednerbühne gebahnt, während wir bescheidene Fremdlinge uns von allem Drängen fern hielten. Um so besser genossen wir den malerischen Anblick der schönen Anordnung. Rechts und links von der gothischen Halle, in deren Nische das Denkmal gegen die Unbill des Wetters geschützt steht, erhoben sich Fahnenburgen, auf dem grünen Tannenreis derselben hingen alte Waffen und Rüststücke, vom Rost der Jahrhunderte gebräunt. Vor dem Denkmal breitete sich die Farbenmusterkarte der Waibel aus, hinter ihm die Helmibläser und Bannerträger und rings wehten die Fahnen, wie vom Gruß der stolz Herabschauenden, waldesgrünen und felsgekrönten Alpenhäupter geschwellt. Da ertönt das alte Sempacherlied, inhaltschwer und taktwuchtig wie eine Nibelungenstrophe:

„Laßt hören aus alter Zeit
Von kühner Ahnen Heldenstreit,
Von Speerwucht und wildem Schwertkampf,
Von Schlachtstaub und heißem Blutdampf,
Wir singen heut ein heilig Lied:
Es gilt dem Helden Winkelried!“

Die Festrede hielt Landammann Vigier aus Solothurn, der Präsident des schweizerischen Kunstvereins. Nach alter Tagsatzungssitte forderte er zur Verrichtung eines stillen Gebets vor dem Beginn der Enthüllungsfeier auf, ein Act, der, von Massen ausgeführt, stets von großer Wirkung ist. Die sehr tüchtige, markige Rede, von welcher wir auf unserm Standpunkte nur wenig Zusammenhängendes verstehen konnten, lernten wir durch unsern Freund B. und später noch genauer durch die Zeitungen kennen, die sie nach Verdienst verbreitet haben. Der Schluß: „Gott erhalte unser liebes Vaterland!“ gab dem Bundeswaibel das Zeichen, die Hülle des Denkmals fallen zu lassen.

Ja, das ist ein Denkmal, würdig der That, der Kunst und des Volks, das es errichtet hat. Sinnig, großartig und vor Allem einfach, dem Auge jedes Menschen verständlich, der weiß, wer der Arnold Winkelried war und ewig ist. Die Gruppe bedeutet die drei Stufen der Sempacher Schlacht: Zu unterst liegt Einer der sechszig Eidgenossen, welche den Versuch, die Eisenmauer der Ritter des Herzogs Leopold von Oesterreich zu durchbrechen, mit dem Tode gebüßt hatten; über ihm hat Arnold von Winkelried den Seinen zugerufen: „Ich will Euch eine Gasse machen, theure, liebe Eidgenossen, sorgt für mein Weib und meine Kinder!“ – er hat die Spitzen der erfaßten Lanzen der Ritter in seine Brust begraben, aber freudig sterbend blickt er empor zu dem Schweizerjüngling, dem Repräsentanten der Zukunft seines Volks, der den siegenden Morgenstern der Freiheit schwingt.

Als nach dem Schluß der Reden und öffentlichen Vorstellungen (auch der Künstler Schlöth mußte des Volkes Zuruf in Empfang nehmen) die Massen sich lichteten, näherten wir uns dem Denkmal, um es in seiner ganzen Schönheit zu genießen. Auch Freund B. fand sich hier wieder mit uns zusammen. Erst jetzt erkannten wir die Vortrefflichkeit der Ausführung bis in’s Einzelnste. Wie edel ist der Leib des Hirtenjünglings im leichten Kittel, wie spannt der Kampfmuth ihm die Sehnen, wie trotzig blickt das Auge des bildschönen Antlitzes! Unübertrefflich ist die Haltung Winkelried’s, er behauptet das Recht der Hauptfigur trotz seiner niedrigeren Stellung, denn der über ihm ist nur ein Jüngling und der unter ihm ein Todter. Er ist der Mann, der nach einer That stirbt! Aber selbst der Todte zieht uns an sich: wie sinnig ist der Schmerz ausgedrückt, das verbüllte Gesicht trauert im Tode noch über das Unglück des Vaterlandes. Ja, das ist ein Denkmal! – Wir halten Alles, Volkslust und beginnende Festtafel, vor dem Bildwerk vergessen – wir taugten nicht mehr dazu. – Aber was nun beginnen ?

„Kommt, Freunde. Wir wollen die Pracht dieses Stückchens Schweizererde in ihrer Verborgenheit aufsuchen und dabei den Winkelriedern nicht untreu werden. Durch eine Schlucht, deren romantischer Zauber vom häßlichsten Namen befleckt wird – die abscheulichen Menschen nennen sie Rotzloch und sie birgt eine gar lieblich gelegene Pension und Heilanstalt des Bauherrn Blättler, der für die große Reisewelt den Pilatus erst zugänglich gemacht hat – steigen wir über das Drachenried bis zum Drachenloch am Zingel hin und freuen uns, daß schon die Sage das Geschlecht der Winkelriede verherrlicht. Denn, so erzählt sie, in jener Höhle hauste ein grimmiger Drache, der weitumher alles Leben vernichtete. Da kam ein Struthan von Winkelried und schlug ihn todt. Zum Dank und ewigen Angedenken erbaute man die Winkelriedskapelle, die nichts mit unserem Arnold von Winkelried zu thun hat, der den Drachen Oesterreich vom Schweizerboden vertrieb.“

Wir gehorchten und danken unserm B. heute noch für seine weise Führung. Wir liefen der wundervollsten Beleuchtung der Schlucht und ihrer wilden Felsen und Wasser durch elektrisches Licht und bengalische Flammen gerade in die Hände und nahmen so zum guten Schluß dieser Winkelrieds-Denkmal-Enthüllung das herrlichste Alpennacht- und Prachtbild mit heim in unsere alte Ebene.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_694.jpg&oldid=- (Version vom 6.11.2022)