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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 44. 1865.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Prinzessin Champagner.
(Schluß.)

Man konnte Guy und Melusine allezeit in einem Winkel am Kamin in Cyrilla’s Salon sitzen sehen, abgesondert von den Andern, in tiefem, stundenlangem Gespräch. Es war ein kleines Tabouret von rothem Sammet da, es hieß Melusinens Thron, dort saß die Sonne der Variétés in ihrer eigenthümlichen Haltung, die linke Wange auf die Hand gestützt, in ihrem schmucklosen weißen Kleide, dem großen frischen Veilchenstrauß an der Brust, den ihr Guy jeden Tag brachte. Die irrenden Lichter des Kaminfeuers flogen über das zarte Gesicht, über die gelösten lang herabhängenden Locken, zwischen denen die schlanken Finger hervorleuchteten. Der junge Mann lag vor ihr auf dem Teppich, den Arm auf ein Kissen gestützt, und sah zu ihr auf. Sein Kopf mit dem dunkeln leicht gelockten Haar, der farblosen edlen Stirn, den tiefen Augen und den regelmäßigen Zügen erinnerte in seinem Ausdruck an die Heiligen und Märtyrer des Murillo und Ribera, halb ekstatische Verzückung, halb düstere Leidenschaft, wie sie der heilige Rodriguez zeigt. Die ganze Erscheinung hatte etwas Zartes, Hinfälliges, nur in der Form der Hand verrieth sich große Energie. Anfangs lächelten und spotteten die Andern über die Isolirung dieses Paares, allmählich ließ man es gewähren; es waren ja immer die unerquicklichsten Gespräche, an denen diese Beiden Gefallen fanden, sie sprachen über die ernsthaftesten Dinge im Himmel und auf Erden. Wunderliche Unterhaltung in dem Salon einer Cyrilla! Hätten die Spötter geahnt, wie oft Guy dann seine Verse citirte, Improvisationen vom Augenblick geboren, aber von wilder Schönheit, voll überwältigender Gluth und Schwermuth! Und leise, leise sprachen die Lippen Melusinens diese Verse nach.

„Ihr seid viel mehr zur Tragödin geboren, als zur Königin des Lustspiels,“ sagte Guy oft. Schauer des Entzückens kamen über ihn, wenn er ihren Worten, dem Tonfall ihrer Stimme, den überraschenden und leidenschaftlichen Accenten lauschte, und es waren seine Verse, die so klangen!

Wenige Minuten später erhob sie sich oft mit der hastigen Bitte: „Nun laßt’s genug sein des Ernstes!“ und trat zu den Andern. Er blieb dann ruhig neben dem Kaminfeuer liegen und folgte ihr nur mit den Augen und hörte wie im Traume zu, wie sie lachte und scherzte und über nichtige Dinge mit demselben Eifer redete, wie mit ihm über die wichtigsten Fragen des Lebens. Dann brach ihr wundervoller geistsprühender Humor wie in tausend Funken hervor, dann leuchtete Witz auf Witz, Scherz auf Scherz, dann strahlte ein seltsames Licht aus den Augen, dann glühten die rothen Lippen, dann erschienen die schönsten Frauen plump und arm neben ihr und die geistreichsten Männer schwerfällig und matt. Ein Wort, ein Blick vermochte diese hinreißende Erregung hervorzurufen, sie war dann Champagner, sprudelnder, brausender Champagner und wirkte sorgenvergessend wie Champagner. Sie schien wie im Taumel und zog die Herzen und Sinne ihrer Umgebung mit in diesen Taumel hinein.

Lord Francis lag nach wenigen Tagen wieder in den alten Banden, vielleicht fester, als je zuvor, denn zwei Dinge waren es, die hinzukamen, ihn noch mehr zu reizen: die unverhohlene Leidenschaft, welche in dem Herzen seines Bruders aufglühte für das wunderbare Geschöpf mit den seegrünen Augen, und die Gleichgültigkeit Melusine’s gegen ihn selber, der sich von ihr geliebt geglaubt.

„Wie weit denkst Du es mit dieser gefährlichen Frau zu treiben?“ fragte Francis eines Morgens seinen Bruder in einer Aufwallung von Eifersucht und Sorge zugleich. „Habe ich Dich nicht genugsam vor ihr gewarnt? Und sie spielt nur mit Dir, wie sie mit unzähligen Andern spielte! Wann wirst Du von ihr lassen?“

„Ich verstehe diese Frage nicht!“ antwortete Guy mit zusammengezogener Stirn.

„Gedenkst Du die Circe zu heirathen?“

„Sie würde weder mich noch Dich heirathen, selbst wenn wir sie auf den Knieen darum bäten, Francis, also frage lieber, wie weit sie es mit mir treiben will, oder mit uns, denn Du liebst sie noch. Und ich werde nie aufhören sie zu lieben.“

„Das ist Wahnsinn! Ich darf das nicht dulden! Begreifst Du nicht, daß wir diese Frau fliehen müssen, daß wir zu Grunde gehen, wenn wir nicht ihren Zauberkreis meiden?“

„Ich begreife nur Eins: daß ich diese Frau nie lassen werde, so lange ich athme, bis sie mich selber von sich stößt.“

„Und sie wird es thun; sie wird Dich mit der Spitze ihres Fußes von sich stoßen, wie sie schon manchen Andern von sich gestoßen hat. Meinst Du, Deine philosophischen Gespräche über die Liebe würden sie ewig fesseln? Du bist ihr noch neu, sie liebt den Wechsel und die Emotionen. Ich sorge mich um Dich, Guy, denn ich liebe Dich!“

Und Francis legte seinen Arm um den Nacken seines Bruders.

Guy löste sich sanft von ihm und sagte: „Habe Geduld mit mir, ich kann nicht anders. Vielleicht kommt ein schnelleres Ende, als wir meinen. Und in zwei Monaten schicken mich die unerbittlichen Aerzte ja doch nach Italien. Laß mich noch träumen!“




Dies Gespräch war am Tage vor Allerseelen zwischen den Brüdern geführt worden, aber am nächsten Abend war Guy entzückter als je von der seltsamen Frau. Sie war gegen ihn allein sanft und freundlich, gegen alle Andern düster und schweigsam. Und die Stunden glitten vorüber, bis in dem hellerleuchteten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 689. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_689.jpg&oldid=- (Version vom 7.12.2022)