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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Früher malte Werner in Oel, und seine Oelgemälde fanden verdiente Anerkennung; in Italien entschied er sich für die Benutzung der Wasserfarben. Diese geben, ohne durch den fettigen Glanz der Oelfarben den Eindruck zu stören, ein helleres Licht, womit sich eine größere Durchsichtigkeit der Farben verbindet. Der Reichthum und die Weichheit dieser Wasserfarben, sowie deren leichte Mischung verleihen den Bildern Werner’s ihren eigenen Zauber.

Zu der Vortrefflichkeit der Bauwerke und der Landschaft tritt bei ihm die Lebendigkeit und Naturtreue der menschlichen Gestalten, da er auch als Geschichts- und Volksleben-Maler Tüchtiges leistet. Dieser Vorzug Werner’s ist besonders hervorzuheben, da bei den Bauwerk- und Landschaftsmalern die Gestalten belebter Wesen häufig gar Manches zu wünschen übrig lassen.

Vor Allem aber müssen wir an Werner’s Bildern den dichterischen Hauch rühmen, welcher über seinen Gemälden schwebt und dieselben sichtbar und unsichtbar durchdringt. Dieser dichterische, echt künstlerische Geist zeigt sich zuerst in der Wahl und sodann in der Zusammenstellung der Gegenstände zu einem lebendigen Ganzen, von dem jedem einzelnen Theile eine Sorgfalt zugewendet ist, als ob er die Hauptsache wäre: und doch ist das einheitliche Ganze und das in demselben athmende Leben voll Empfindung und Gedanke die Hauptsache, die durch die sorgfältige Ausführung des Einzelnen zur vollen Geltung gelangt. Da tritt uns ein Stück geschichtlichen oder volksthümlichen Lebens in bezeichnenden Gestalten im Vordergrunde vor die Augen; im Hintergrunde gewahren wir ein steinernes Baudenkmal, eine Kirche oder eine Tempelruine, und ringsum lacht uns eine zauberische Landschaft entgegen, über welcher sich ein tiefblauer Himmel wölbt; denn vorzugsweise sind es Motive aus dem Süden, die sich Werner zu seinen Aquarellen wählt.

Karl Friedrich Heinrich Werner ist den 4. October 1808 in Weimar geboren. Sein Vater war in Weimar ein geachteter Gesang- und Clavierlehrer, und seine Mutter Corona geb. Becker, die Tochter von Christiane Neumann, welche Goethe in dem Gedicht „Euphrosyne“ besungen, eine beliebte Sängerin und Schauspielerin. Künstlerisches Denken und Wirken umgab also bereits die Wiege des künftigen Künstlers und blieb ihm als elterliches Erbtheil für sein ganzes Leben. 1809 siedelten die Eltern nach Mannheim über, von wo sie Küstner 1816 nach Leipzig rief.

Zuerst für das Baufach bestimmt, besuchte Werner 1824–1827 die unter Schnorr’s Leitung stehende Akademie der bildenden Künste, um sich im Zeichnen zu üben, und ging dann, nach bestandener Reifeprüfung, nach München, um unter Gärtner seine Baustudien fortzusetzen. Hier in München wandte er sich, angeregt durch den Umgang mit jungen Landschaftern, von der Baukunst der Malerei ausschießlich zu und machte in dieser Kunst so ausgezeichnete Fortschritte, daß er 1833 von München aus der sächsischen Regierung zur Unterstützung empfohlen wurde. Diese gewährte ihm ein Reisegeld auf drei Jahre, damit er jenseits der Alpen das gepriesene Land der Kunst und dessen Schätze mit eignen Augen schauen und dort die Meisterschaft sich erringen könne.

Italien wurde Werner’s zweite Heimath; er lebte hier fast durch zwanzig Jahre. Außer Venedig bot ihm besonders Rom so viele Herrlichkeit, daß er hier seine bleibende Wohnung aufschlug. Die Schätze der frühern und gegenwärtigen Kunst, die Bauwerke und Trümmer der alten und ältesten Zeit eröffneten dem jungen, mit Aug und Herz Alles in sich aufnehmenden und verarbeitenden Künstler ein weites und reiches Feld. Berufsgenossen und Freunde, zum Theil von höchster künstlerischer Bedeutung, wie die Bildhauer Thorwaldsen und Wagner, arbeiteten an seiner Seite und förderten sein Streben.

Neben den Beschäftigungen des erwählten Berufs betrieb Werner zu jener Zeit in Rom auch freie Künste, wir meinen die Reit- und Jägerkunst. Er war ein kühner Reiter, und fleißig durchstreifte er mit der Büchse die pontinischen Sümpfe, um dort die wilden Enten und Schnepfen zu jagen. 1840 stiftete er zu Rom den deutschen Künstlerverein, welcher noch jetzt besteht und dessen langjähriger Vorsitzender er war; diese Gesellschaft ist der Vereinigungspunkt der in Rom verweilenden deutschen Künstler und zugleich ein einflußreiches Mittel, die Kunst selbst zu fördern.

Von Rom aus machte er größere Ausflüge, um das ganze schöne Italien kennen zu lernen, z. B. 1835 nach Neapel und Sicilien, sowie wiederholt nach Florenz, Venedig und Genua. Als er am 3. Septbr. 1844 die letztere Stadt verlassen wollte und bereits sein ganzes Reisegepäck und seine reichgefüllte Malermappe auf das abfahrende Dampfboot gebracht hatte, um auf demselben die Nacht zu schlafen, wurde er von dem Geschäftsführer des Bootes aufgefordert, die Nacht auf dem Lande zuzubringen. Er ging darauf ein, da eben bei einem heftigen Schneegestöber ein gewaltiger Sturm wehte und das Boot in fortwährende Bewegung versetzte. Während er nun am Lande sich ruhig dem Schlummer überließ, wurde das Boot ein Raub der Flammen, ebenso ward sein Reisegepäck und seine Mappe in Asche verwandelt – ein für ihn höchst empfindlicher Verlust. 1838 besuchte er Ungarn, 1853 Dalmatien, sowie England, was von da an alle Jahre geschah; 1856 Spanien, welcher Reise wir ein Heft „Alhambrabilder“ verdanken; 1857 verlegte er endlich seinen festen Wohnsitz nach Leipzig.

Im Jahre 1862 unternahm er eine größere Künstlerwallfahrt nach Palästina, wo er sich während des ganzen Winters in Jerusalem aufhielt und außergewöhnlicher Weise die Erlaubniß erhielt, die Moschee des Omar zu betreten und darin zu malen. Vermöge dieser Gunst haben wir zuerst durch Werner Ansichten von dem Innern dieser sonst allen Nichtmahomedanern verschlossenen Moschee erhalten. Besonders heimisch aber ist Werner in England; hier finden seine Bilder vorzugsweise Freunde, Bewunderer und Käufer.

Im Herbst 1864 unternahm er in Begleitung seiner treuen Lebensgefährtin, welche ihn auch schon nach Spanien und Jerusalem begleitet hatte, jene Reise nach Aegypten, Palästina und Syrien, von welcher er unlängst mit reich gefüllten Mappen zurückgekehrt war. Die Ausführung dieser Skizzen, die er uns mit größter Bereitwilligkeit durchblättern ließ, beschäftigte ihn eben, wie der Plan, demnächst eine Ausstellung ihrer vorzüglichsten Stückc zu veranstalten. Ein seltner Genuß erwartet da die Beschauer; sie werden aus dem alten Wunderlande Aegypten, sowie aus dem heiligen Lande und von den Bergen und Thälern des Libanon naturgetreue Darstellungen in neuer, echt künstlerischer, wahrhaft dichterischer Auffassung sehen und bewundern können.




Das Rauhe Haus.[1]
Ein Charakterbild aus dem Reiche der innern Mission.
II. Behandlung der Zöglinge. – Innere Mission. – Beschützer und Vorstände derselben. – Ihre Literatur und ihr Kampf gegen den Fortschritt. – Die Gönner und Colporteure des Rauhen Hauses. – Die rettende Liebe und der streitende Glaube.

Es verstrichen ein paar Wochen, bis das im ersten Abschnitte erwähnte Gespräch wieder aufgenommen wurde. Inzwischen hatte ich in Begleitung eines auswärtigen jungen Freundes der Anstalt noch einmal einen Besuch gemacht, bei dieser Gelegenheit den Inspector Rhiem getroffen und mit ihm eine mehrstündige Unterhaltung gehabt, durch die sich mein Urtheil über die Organisation und das Wesen des Rauhen Hanses in Einzelheiten klärte und im Ganzen befestigte. Ich fasse für den Leser in möglichst gedrängter Kürze zusammen, was ich der Freundin in behaglicher Breite auseinandersetzte.

Indem ich wiederum von der Kinderanstalt ausgehe, muß ich zunächst, wenn ich so sagen darf, die Anerkennung, die ich ihr hie und da gezollt, vervollständigen, oder richtiger die Vorurtheile, die ihr gegenüber herrschen, beseitigen. Man sagt, die Kinder werden dort mit barbarischer Strenge behandelt, bekommen viel Prügel, müssen hungern u. s. f. Diese Nachrede ist ohne Zweifel falsch. Sie ist, wie die andern sogleich zu erwähnenden, im Allgemeinen auf die instinctive Abneigung der hamburgischen Bevölkerung gegen die specifisch christliche Rettungsmethode überhaupt, im Besonderen auf einzelne in die Oeffentlichkeit gedrungene Fälle aus dem Leben des Rauhen Hauses zurückzuführen. Es kam und kommt vor, daß Kinder entlaufen, es kam sogar vor, daß Kinder sich zu entleiben versuchten, und das Publicum machte daraus seinen Rückschluß auf die Behandlung der Kinder. Wenn man jedoch bedenkt, daß

  1. S. Nr. 41.
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