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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

wer kann es sagen?! Es liegt ja in der menschlichen Natur, das erst begehrenswerth zu finden, was uns entrissen oder unerreichbar geworden ist. Nur oberflächlichen Beobachtern erschien sie als eine glückliche Braut, die Augen des Malers hingen oft mit dem Ausdruck banger Sorge an dem wunderschönen Antlitz, auf dessen Stirn ein fremder, seltsamer Zug stand und dessen Lippen oft wie im Weinen zuckten, wenn der Mund übermüthige Worte sprach und die Augen dazu glühten und funkelten. Aber er redete nie mit ihr über ihren Verlobten und über ihre Zukunft, Laura hatte das Alles gleich im Anfang hart und stolz abgewiesen, und so schwieg er und ließ sie ihren selbstgewählten Weg gehen. Sein persönlicher, ihm selbst unerklärbarer Widerwille gegen den Franzosen mußte bekämpft werden, und er that mit männlichem Ernst sein Bestes, eine Abneigung zu überwinden, die ihn schon beim ersten Blick wie ein Schauer erfaßt hatte. Die Papiere des jungen Mannes wiesen eine gesicherte Existenz nach; es blieb Jacob Hauer im Grunde nichts mehr übrig, als in seinem Hause die Hochzeit auszurichten, die auf den besonderen Wunsch der Braut ganz still gefeiert wurde.

Zum ersten Mal fühlte sich nicht nur der Künstler, auch der Mann lebhaft berührt von dem fremden, hinreißenden Ausdruck ihrer Schönheit, als sie in dem Kranz von Orangenblüthen und dem schlichten, weißen Kleide nach dem Act der Trauung auf ihn zuging. Unwillkürlich trat er zurück, um ihr einen Blick der Bewunderung zuzuwerfen, wie ihn die Augen des Bräutigams noch nicht für sie gehabt. Sie aber reichte ihm nur zitternd die Hand und senkte den Kopf, und da drückte er leise seine Lippen auf ihre Stirn. Er sah, wie sie zusammenzuckte, in demselben Augenblick aber legte ihr Gatte ihren Arm in den seinen und führte sie hinweg.

Laura schickte sich zur Reise an; von allen Räumen des kleinen Hauses nahm sie Abschied. Sie bat, man möge sie allein lassen auf dieser melancholischen Wanderung. Der Reisewagen fuhr vor, noch war sie nicht zurückgekehrt, und die kleine Margaretha lief, sie zu suchen. An der Hand des Kindes trat sie wenige Minuten darauf im einfachen Reiseanzug herein. Aber der Schleier war schon herabgelassen von ihrem Hute und sie stürzte nur noch einmal in wilder Aufregung der Kranken zu Füßen, preßte das Kind an sich und wurde fast bewußtlos in den Wagen getragen. Den Mann, den sie liebte, berührte sie nicht mehr mit der Spitze ihres Fingers. Als der Wagen davonrollte, durchschnitt ein herzzerreißender Weheruf die Luft. Das war der letzte Laut, den Jacob Hauer von den Lippen der blonden Spanierin gehört.

Laura war fort und mit ihr die blonde Locke der Charlotte Corday. Viel, viel später erst, als an jenem Hochzeitstage, entdeckte der deutsche Maler den Raub, den man an ihm begangen, und ahnte den Zusammenhang aus jenen verworrenen Briefen, welche Laura nach ihrer Flucht schrieb und die bald genug ganz aufhörten.

Die Spur der unglücklichen Frau ging verloren. Die gänzliche Aufklärung der seltsamen That kam erst viel später. Philipp Valeur war ein naher Verwandter Rouer’s und hatte unter dem Versprechen der bedeutenden Erbschaft der kranken Unglücklichen es übernommen, um jeden Preis die Locke der Charlotte Corday an sich zu bringen, von der ihm das Gerücht erzählt, daß sie sich in dem Besitz jenes deutschen Malers befinde, der damals sein Nachfolger geworden. Der junge Mann fand die blonde Spanierin reizend genug, eine Zeit lang mit ihr zu spielen, entdeckte bald das wunderliche Geheimniß ihres Herzens und gewann eine willigere Helfershelferin für seinen Zweck, als er anfangs vermuthete. Die ,Komödie’ einer Trauung machte ihm nicht viel Sorge; nach kaum einem Jahr qualvoller Ehe trennte er sich von seiner Frau. Sie verließ Paris und wendete sich nach dem südlichen Frankreich. Ein alter Geistlicher nahm sich ihrer an und verschaffte ihr die Arbeit einer Näherin. So ernährte sie sich und ihr zwei Monate altes Töchterchen. Die Reue über ihre That zehrte an ihrem Leben. Sie schrieb viele Briefe nach Deutschland, keiner erreichte den Ort seiner Bestimmung, wenigstens erhielt sie nie Antwort.

Im Jahre 1822 starb Jacob Hauer, nachdem ihm sein Weib lange vorher im Tode vorangegangen. Ein Zeichen der Versöhnung ließ er noch zu der Unglücklichen gelangen – allein es hatte einen langen Weg nehmen müssen, ehe es in die abgelegene Provinz und wirklich in die Hände der einst so schönen Laura gelangte, es war das Bild der Charlotte Corday. Die blonde Spanierin sah jedoch diese Gabe nur als eine Strafe an, und die Erschütterung ihres Herzens bei dem Anblick ihrer Feindin war so groß, daß sie wenige Wochen später starb. Vorher hatte sie noch die Freude, ihr Kind, die schöne Jacobine, an einen jungen talentvollen Maler verheirathet zu sehen. Das Bild des Mädchens von Caen ging in seinen Besitz über. Ihrer Tochter aber nahm sie, indem sie ihr die Geschichte ihres Lebens erzählte, das Versprechen ab, um ihrer Seelenruhe willen nicht eher zu rasten, als bis sie die Locke der Corday den Hinterbliebenen Jacob Hauers wieder zugestellt. Ihr Schwiegersohn entwarf in jenen Tagen ein Portrait von ihr, sie starb vor der Vollendung und zwei Monate später verbrannte dies Bild in der Malerstube auf eine räthselhafte Weise. Später malte der junge Künstler seine Frau – an demselben Tage starb ihm plötzlich sein ältester Knabe. Viele, viele Jahre später malte der Sohn dieses Mannes die geliebte Mutter – drei Tage darauf starb der Vater und ein jüngstgeborenes Töchterchen. Seitdem wurde nie mehr ein Frauenportrait gemalt von der Hand Gaston Dumont’s, denn ich bin der Enkel jener Unglücklichen, die man die blonde Spanierin nannte, und meine arme Mutter findet weder Ruhe noch Rast auf Erden, bis sie die Schuld der Todten gesühnt und die Locke der Familie jenes deutschen Malers zurückgegeben hat.“

„Ich weiß, wo die Locke ist,“ stammelte jetzt Melanie, „und durch meine Hand werden Sie Ihrer Mutter den Frieden bringen. Alphons ist in dem Besitz der Locke, er trägt sie in einem schwarzen verschlossenen Portefeuille bei sich. Er wird sie mir geben, o, wie glücklich bin ich!“




Ach, es kam Alles ganz, ganz anders, als das junge Mädchen dachte, wie eben so oft die Bilder unserer Gedanken und Hoffnungen, die wir auf die Staffelei des Lebens stellen, unter dem derben corrigirenden Pinsel des Schicksals zu grauen trübseligen Landschaften werden. Gaston Dumont weigerte sich, auf Umwegen und durch die Vermittlung des geliebten Mädchens die verhängnißvolle Locke der Charlotte Corday wieder zu erlangen; er selbst wollte in männlicher Offenheit dem Großneffen Valeur’s entgegen treten und sein Recht fordern. Die Aussicht auf die Möglichkeit, das geraubte Kleinod wiederzuerlangen, stärkte wunderbar die Kräfte von Gaston’s Mutter, sie entschloß sich zur beschleunigten Reise; schon am andern Tage nach seiner Erzählung nahm er Abschied von der Geliebten. Es war ein seltsames Scheiden, voll wunderlicher phantastischer Hoffnungen, unklarer, gefährlicher Träume. Obgleich nie das verhängnißvolle Wort zwischen Beiden ausgesprochen worden, schwebte es doch in der Luft, in jedem Hauche der Lippen, in jedem Blick der Augen. Fest lagen die Hände noch einmal ineinander; sagte der kurze heiße Druck nicht: „Auf Wiedersehen?“

„Und wenn Alphons sich weigern sollte?“ fragte das Mädchen noch einmal leise.

Ein düsterer Schatten flog über Gaston’s Gesicht, er antwortete nicht.

„Dann denken Sie meiner, Gaston, und daß ich es mir und Gott gelobt, das Kleinod in die Hände Ihrer Mutter zurück zu bringen.“ Dann schieden sie.

Der alte Herr begleitete seinen Liebling noch bis D. und verabredete mit ihm eine Zusammenkunft im nächsten Frühjahre im grauen Schlosse. „Dann kommt unsere kleine Frau Melanie aus Paris auch herüber,“ sagte er heiter und küßte sein Kind auf die blasse Wange, „und Ihre Mama muß bei uns wohnen und nicht in D. Hier wird sie gewiß gesund! Und wir lernen endlich das verteufelte Fleisch malen. Ich werde den ganzen Winter lauter Evas auf die Leinewand zaubern, zum Entsetzen der guten Köhler. Herausbekommen muß ich Euer Kunststück!“

Während der Wagen davonrollte, lag Melanie, das junge Herz bedrückt von tausend widerstreitenden Empfindungen und einer Angst, die ihr fast die Besinnung raubte, auf den Knieen vor ihrem Bette und erstickte ihr Schluchzen in den Kissen. O wie leer war es überall geworden, leer in der Luft, im Garten, im Zimmer, jeder Platz leer und öde! Und wie viel Zeit lag vor ihr, so entsetzlich viel Zeit und sie besann sich auf keinerlei Thätigkeit. Was nun anfangen, wer sollte ihr helfen?! Alphons?! Schaudernd verhüllte sie ihr Gesicht. Ach, das war jene Liebe, von der ihre Erzieherin ihr geredet am Abend ihres Verlobungstages, und die Prüfung und die bittere Noth waren auch da, Fräulein Köhler aber beendete eben die große Entsagungsscene im

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