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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 42. 1865.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Die Locke der Charlotte Corday.
(Fortsetzung.)

„Und mit diesem bewegten Herzen, in diesem Auf- und Abschwanken der verschiedenartigsten Gefühle folgte die blonde Spanierin ihrem Beschützer nach Deutschland, mit diesen wild wogenden Empfindungen lebte sie fort und fort in seiner Nähe. Da geschah eines Tages etwas Seltsames. Ein Brief aus Frankreich kam in das entlegene Landstädtchen an den Maler Jacob Hauer. Es war ein Schreiben jenes vor Jahren spurlos verschwundenen französischen Malers Armand Rouer, der das Bild der Corday unvollendet gelassen und nun als sein Eigenthum die Locke Charlottens beanspruchte. Nur ihm, ihm allein dürfe diese Locke angehören, sie habe sie dem Maler ihres ersten Bildes zugedacht und gelobt, und dieser Maler sei er. Jacob Hauer habe sie ihm nur durch List und Trug geraubt mit jenen Schändlichen, die ihn selber damals der Geliebten entrissen und eingekerkert. Der schreibende nannte sich krank und gebrochen, unfähig, sich selbst sein gutes Recht zu verschaffen, aber er forderte dies vermeintliche Recht in den leidenschaftlichsten Ausdrücken und verlangte das goldene Haar der wunderbaren Frau, damit er ruhig sterben könne. Es war ein wilder und seltsamer Brief, der in dem stillen Malerhause große Erregung hervorrief, die größte aber doch in dem Herzen der blonden Spanierin. Eine entzückende Hoffnung gewann einen Augenblick in ihrer Seele Raum: Jacob Hauer werde sich von diesem Gegenstande ihrer maßlosen Eifersucht trennen. O, diese Locke nicht mehr in seinem Besitz zu wissen, nicht mehr denken zu müssen, daß er sie um seine Finger wand, daß seine Augen auf ihr ruhten, daß vielleicht seine Lippen sie berührten, welche Erlösung! Alle Schätze der Welt hätte sie hingeworfen dafür. Ach, ihre Träume wurden zerstört! Der deutsche Maler erklärte seinem Kunstgenossen, daß er sich nie im Leben von diesem seinem kostbarsten Besitzthum trennen werde. Von da an verlor sich Laura selbst, es ist eine traurige, wunderbare Geschichte. Ich werde sie kurz andeuten. Viele Monate später ließ sich ein junger französischer Sprachlehrer in dem kleinen deutschen Städtchen, dem Wohnsitz Hauer’s, nieder. Sein Name war Philipp Valeur.“

Hier zuckte Melanie plötzlich auf. „Um Gotteswillen, so hieß der Großoheim meines Verlobten!“ stammelte sie mit bleichen Lippen, die Augen starr auf den Erzähler gerichtet.

Gaston sprang entsetzt auf: „Es ist nicht möglich, nein, nein, nein, Melanie, es ist ein Irrthum!“ rief er außer sich.

„Erzählen Sie weiter, ich beschwöre Sie, es ist vielleicht unser Aller Glück. Ruhig, ruhig, theurer Freund!“ bat sie voll Angst, als sie seine Erregung sah, und umschloß mit ihren beiden Händen seine zuckenden Finger.

Wie ein Zauber wirkte diese Berührung. Der junge Maler nahm wieder zu den Füßen des Mädchens Platz, aber seine Stimme klang verändert und die Worte flogen hastig, als eile er zum Schlusse, über die Lippen, indem er weiter redete: „Der Franzose machte Aufsehen, er war gewandt und hübsch und die haute volée des Städtchens zog ihn in ihre Kreise. Man fand ihn angenehmer und von feineren Manieren, als alle andern jungen Männer, und jener alte, böse Zauber, den nun einmal das fremde auf den Deutschen übt, gab sich auch hier kund. Alles bemühte sich, Französisch zu lernen, um des Vergnügens und der Gunst theilhaftig zu werden, mit dem jungen Ausländer verkehren zu können. Er hatte auch Zutritt in der Familie Hauer gefunden, und bald schienen sich zwischen ihm und der schönen Laura innigere Beziehungen zu entwickeln. Monsieur Valeur zeigte sich hingerissen von der Schönheit des Mädchens, und sie, die bis dahin alle Männer durch ihre abweisende Kälte zur Verzweiflung gebracht, war ihm gegenüber seltsam verwandelt. Wie hätte Jemand ahnen können, welcher Aeußerung des Fremden dieses vertrauliche Verhältniß seinen Ursprung verdankte? Monsieur Valeur befand sich bei seinem dritten Besuche in dem Hause des Malers zufällig mit dem jungen Mädchen eine kurze Zeit allein im Zimmer. Man plauderte über das oft und gern besprochene Thema von der Liebe und dem Haß in halb scherzender Weise, als Philipp Valeur plötzlich zwischen den Zähnen hervorstieß: ,Aber ich hasse ein Weib, glühender ward nie eine Frau auf Erden gehaßt, und nur Sie sollen ihren Namen kennen! Sie heißt Charlotte Corday.’ ,Ihr könnt sie nicht wahnsinniger hassen, als ich,’ hatte da das Mädchen geantwortet, und die Hände Beider sanken plötzlich ineinander. Nicht die Liebe allein, auch der Haß vereint, und oft sind seine Bande fester und unlösbarer, als jene.

Ich weiß nicht, wie es dem gewandten Heuchler allmählich gelang, das leidenschaftliche Geschöpf so zu wandeln, daß ihr der Gedanke ein süßer Trost wurde, jenem Manne, den sie bis zur Stunde ausschließlich geliebt, ein Leid zuzufügen, indem sie sich rasch und für ewig von ihm löste; was Valeur gesagt und vorgespiegelt, zu welcher Höhe er ihr erregbares Gemüth exaltirt, weiß ich nicht, genug, sie verlobte sich plötzlich mit dem Fremden und erklärte, mit ihm nach Paris zurückkehren zu wollen. Die Liebe hat ja ihre Stadien, in denen sie dem Hasse so ähnlich sieht, wie eine Zwillingsschwester der andern. Ob Laura vielleicht glaubte, durch solche Trennung würde das Herz des Geliebten ihr zugewendet werden, er würde plötzlich erwachen und die Arme nach ihr ausstrecken,

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