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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

nach und nach den grellen Farben entsagen, welche früher selbst Männer mit Vorliebe wählten.

So ist das eigenthümliche Costüm der Montavonerinnen, welches sie, natürlich an Sonntagen von etwas besserem Stoffe und mit mehr Aufputz, durchschnittlich tragen, sie müßten aber keine Weiber sein, wenn nicht für außerordentliche Gelegenheiten noch irgend ein besonderes Stück im Kasten läge. Wer das vermuthet, schießt nicht fehl; am Frohnleichnamsfeste und bei Hochzeiten kann er einen uralten Schmuck sehen.

Das „Schäpele“, dessen schon das Nibelungenlied erwähnt, ist das Kleinod der Montavoner Jungfrau, die es von ihrer schwäbischen Nachbarin entlehnte. Es ist ein mit Glasgemmen geschmückter Reif, der ein Krönlein aus Filigranarbeit trägt, ein funkelndes Krönlein von Gold, Silber und farbigen Steinen, welches auf das zurückgestrichene Haar gesetzt wird. So eine schäpeltragende Montavonerin bildet sich auch Etwas ein, sie ist unstreitig eine glänzende, feiertägliche, farbenvolle Erscheinung, fast wie ein bunter Falter, der von Blume zu Blume schwebt. Vom Feuerroth des Brustlatzes und der Schürze hebt sich das Schneeweiß der bauschigen Hemdärmel und manchmal spitzengesäumten Schürze scharf ab. Um die Achsel schlingt sich ein buntes Sammtband mit einer Masche auf der Schulterhöhe, vom gleichen Stoffe ist auch das Schurzband, das vorn in einer großen Schleife auf den Schooß niederflattert. Rothblaue, breite Bänder wallen rückwärts von den Zöpfen über das kirschrothe Mieder bis auf den Saum der schwarzen Juppe hinab.

Die Braut flicht ihren „Hostig-Schäpel“ (Hochzeitskranz) aus Rosmarin, einer Pflanze, welche bei allen Festen des Landvolkes eine große Rolle spielt. Der Bauernbursch steckt gern eine Blutnelke mit einem Zweiglein Rosmarin auf den Hut, den ihm sein Mädchen gespendet; Todte bespritzt man mit einem Zweiglein Rosmarin, das man in Weihwasser getaucht, und vollends bei Hochzeiten darf diese aromatische Pflanze nie fehlen. Nach der Trauung setzt die junge Frau ihren Rosmarinzweig in die Erde, und „verpaßt“ (verwelkt) er, so ist es ein schlimmes Zeichen, aber ein gutes und glückverkündendes, wenn er von Neuem ausschlägt, frisch ergrünt und zum stattlichen „Maiastock“ heranwächst. Dann bricht sie gern alle Sonntage ein „Stifle“ davon ab, um es hinter dem „Brisnestel“ vor den Busen zu stecken.

Werfen wir noch einen Blick in das Silberthal, aus welchem der Litzbach heraushüpft – ein lustiger Montavonerbub – und steigen wir nach Schruns hinab. Die steinernen Häuser geben dem Ort fast ein städtisches Aussehen; wichtige Denkmäler alter oder neuer Kunst würde man vergebens hier suchen, so wandern wir denn nach einem tüchtigen Imbiß weiter.

Wir werden keine Langweile empfinden: überall entfaltet sich die Fülle des Lebens, jeder Schritt führt uns an einem reizenden Bild vorbei, und schauen wir aufwärts, so winken die Grate und Spitzen des Hochgebirges verlockend herab; fast möchten wir emporsteigen; da, dort prangt ein zierliches Häuschen im smaragdenen „Mahd“, Almhütten oder Mayensässen, wo die Montavoner die Hitze des Sommers meiden. Wollen wir aber heute noch nach Gallthur gelangen, so dürfen wir allerdings keine Seitensprünge machen, können aber hie und da mit einer frischen Montavonerin „parlotscha“, sie wird uns stets in gleicher Münze herausgeben. An Gelegenheit fehlt es uns gewiß nicht, denn auf der Strecke von Gallenkirch bis Gaschurn reiht sich ein Bauerngut an das andere: es ist fast eine große Gasse von fünf Viertelstunden Länge. Bei Gaschurn betrachten wir uns das Wallfahrtskirchlein Maria-Schnee. Es sieht zwar etwas zopfig aus, weil es in der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts erbaut wurde, die Montavonerinnen tragen aber hier der Mutter Gottes ihre geheimen Anliegen vor. Soldaten bauen sonst gewöhnlich nur Festungen; dieses Kirchlein wurde jedoch von einem ehrenfesten k. k. Hauptmann gestiftet, nachdem es ihm gelungen war, die reiche Tochter eines Bauern von Gaschurn heimzuführen. Noch steht das Haus unsers wackern Kriegshelden, vorn ist er hoch zu Rosse abgebildet. Das Wappen wurde natürlich auch nicht vergessen.

Nach einer Stunde erreichen wir Parthenen, das letzte Dorf Montavons auf einer weiten Ebene, zu welcher von den Bergen rechts bereits Schutthalden niederfließen. Von hier gelangt man in sanftem Anstiege über das niedere Joch Zeinis nach Patznaun, welches bereits zu Tirol gehört. Ein rüstiger Bergsteiger wage sich jedoch in das Bermontthal, es führt in das unentweihte Heiligthum der Alpen, wo wir mitten unter Gletschern am Ursprung der Ill gegenüber der höchsten Spitze Vorarlbergs, dem Piz Albuin, vom Leser vorläufig Abschied nehmen.




Blätter und Blüthen.


Ein Walzer im Schnee. Der holsteinische Graf R. hatte mehrere Jahre lang im Auslande gelebt. Gewissermaßen zur Feier seiner Heimkunft, beschloß er im Winter des Jahres 182– den ihm zumeist befreundeten ritterschaftlichen Familien der Provinz ein ungewöhnliches Ballfest zu geben und ließ die Einladungen dazu bereits vier Wochen vorher durch seinen Kutscher und Jäger zu Pferde in der Runde entbieten. Natürlich, daß die Gäste nur aus der haute volée des Landes sein durften. Nur Grafen, Barone und Ritter der holsteinischen Ritterschaft waren darum berufen, zu erscheinen. Es sollte eben ein rein adeliger Cercle werden, man wollte ein mal ganz „unter sich“ sein. Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ew’ger Bund zu flechten. Und das Geschick hatte diesmal den Humor, seine Rolle in der Person des eigenen ältesten Sohnes des Festgebers, Grafen R., spielen zu lassen.

Dieser sein besagter ältester, einziger Sohn und Stammhalter studirte nämlich der Zeit auf der holsteinischen Landesuniversität Kiel, dort mit der Jurisprudenz sich befassend, so weit das ihm für ein eventuelles Staats-Examen behufs demnächstiger Staatsraths- oder Ministerwerdung räthlich oder nothwendig erschien. Es war nun gerade um die Zeit der Weihnachtsferien der Kieler Universität. Der junge Graf R. hatte aber dieselben nicht zu einer Reise nach dem väterlichen Dache und den mütterlichen Speisetöpfen benutzt, sondern der Einladung eines Universitätsfreundes Folge gegeben, welcher ihn für diese vierzehn Tage mit in das Haus seines Vaters, des reichen Kaufmanns und Senators F. zu Hamburg, führte. Der junge Graf, welcher trotz seiner steif-adeligen Erziehung doch in Kiel schon etwas von dem freiheitlichen, akademischen Geiste eingesogen, amüsirte sich auch in jeder Hinsicht aufs Vorzüglichste in der bürgerlichen Sphäre des hamburgischen Handelshauses, welches eine gute Tafel, exquisite Weine und liebenswürdige Damengesellschaft, Theaterbesuch, Schlittenfahrten und noch manche andere Erlustiguug dem vergnüglichen Sinne des geehrten vornehmen jungen Gastes zu Gebote stellte.

Der Studiosus Graf Bodo R. hatte darum, als die väterliche Einladung zu dem projectirten Ballfeste in den Hallen seiner Ahnen auf seiner Hauskneipe in Kiel einlief, unter besonderem Vorwande abgelehnt, weil er eben in Hamburg sich besser zu amüsiren rechnete, als auf der holsteinischen Stammburg. Allein Papa mochte wohl durch seinen Kieler Correspondenten oder durch einen kürzlich in Hamburg gewesenen Nachbar es erfahren haben, daß sein Herr Sohn nicht auf der Ostsee-Akademie den Wissenschaften, sondern in der Handels-Metropole an der Elbe den Vergnügungen obliege, denn plötzlich erhielt Graf Bodo in Hamburg einen Brief vom Papa, der ihn auf das Gemessenste bedeutete, unverweilt nach Schloß R. hinüberzukommen, um dem dort einige Tage später stattfindenden solennen Ballfeste als ältester Sohn und nächster Repräsentant des Hauses mit beizuwohnen.

Was war da zu machen? Dem väterlichen Befehle mußte gehorsamt werden. Um nun aber die voraussichtliche Langweiligkeit des Zusammenseins mit all’ den steifen Vettern, Tanten und Muhmen sich einigermaßen eriträglich zu machen, lud Graf Bodo sowohl den Sohn des Senators F., wie auch einen zweiten Kieler Commilitonen, der dort zum Ferienbesuche mit verweilte, den Studiosus Heinrich G., Sohn einen mecklenburgischen Domänenpächters, ein, ihm als seine Gäste zu dieser Theilnahme an dem besagten Ballfeste das Geleite zu geben. Für den alten adelstolzen Grafen R. mochte es wohl gleich als ein kleiner Wermuthstropfen in seinem so vorsorglich präparirten Freudenbecher erscheinen, als sein Herr Sohn, mit zwei Begleitern in den Schloßhof sprengend, alsbald diese ihm einfach als seine Universitätsfreunde Herrn Studiosus F. und Herrn Studiosus G. präsentirte.

Der alte Herr ließ sich das aber nicht merken, empfing die beiden jungen Freunde seines Sohnes mit vollendeter Courtoisie, sie als willkommenste Gäste begrüßend, und mochte auch wohl darauf rechnen, daß diese beiden jungen Zeisige, unbemerkt hinsichtlich ihrer nichtedelmännischen Abkunft, im Schwarm der übrigen edlen und hochedlen Gesellschaft mitflattern würden. Doch Weiberaugen und Weibernasen sehen und spüren bekanntlich in gewissen Dingen noch schärfer als die eines Polizisten. Der Ball war am bestimmten Abende schon eine Stunde und länger im besten Gange, auch die drei Herren Studiosen hatten schon mit den theilweise hübschen Comtessen und Baronessen, denen sie sich bald als die flottesten Tänzer bewährt, weidlich der Lust des Tanzes gefröhnt, da sollte einer der selben eben so plötzlich wie ungeahnt an die Mangelhaftigkeit seiner Abkunft erinnert werden.

Ein neuer Walzer begann eben, als der Studiosus Heinrich G., der sich im Nebenzimmer bei einem Glase Wein etwas verspätet und nur noch wenige Tänzerinnen in der Damenreihe als noch nicht engagirt erblickte, sans façon vor einer derselben seinen Bückling machte und diese um den nächsten Tanz bat. Die Angeredete, eine geborene Reichsfreiin, Comtesse von A., ein schon etwas ältliches, steifes, nichts weniger als schönes, aber dafür desto adelstolzeres Fräulein, welche neben ihrer gleich gearteten Frau Mutter im Fauteuil sich fächelte, maß den jungen Herrn mit kalt verächtlichem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 655. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_655.jpg&oldid=- (Version vom 22.10.2022)