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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

der Vater seine Nanny kaum beschwichtigen, als sie dem Spiele eines der Knaben entnehmen wollte, derselbe müsse ein besonderes Geschick zum Lügner und Spitzbuben haben.

Man hat Vater Zschokke von mehrern Seiten getadelt, daß er jeden seiner Söhne während der Schulzeit in den Freistunden bei einem Meister förmlich ein Handwerk habe erlernen lassen. Bei den beiden Aeltesten that er es auch wirklich (Klempner und Zinngießer); warum er bei den Jüngern davon abging, ist uns nicht bekannt. –

Der Weihnachtstag war höchstes Familienfest, wo Jedes nach Alter, Neigung und Bedürfniß reichlich beschenkt wurde. Am Osterfest war die treue Mutter namentlich darauf bedacht, die Ihrigen mit den buntesten Eiern zu erfreuen. Daneben erhielt am Geburtstage Jedes seinen Kranz, seinen Kuchen und kleine Angebinde von Eltern und Geschwistern. An des Vaters Geburtstage, am 22. März, durften Schneeglöcklein im Krystallglase nie fehlen. Diesen seinen Geburtstag pflegte er gern mit einer That zu bezeichnen, die am Lebensweg wie ein Denkstein stehen sollte.

Vater Zschokke liebte es, gewisse Uebungen im Haus Jahr um Jahr regelmäßig wiederkehren zu lassen. So führte er die Seinen, nachdem er die Lichter am Weihnachtsbaum angezündet, Jahr um Jahr mit dem nämlichen langgedehnten Oh! in das festlich geschmückte Speisezimmer ein. Jahr um Jahr wurden die Vorfenster an des Vaters Geburtstage beseitigt und die Gartenbänke hinaus auf die Schattenplätze um das Haus geschafft etc.

Auch die Tages- und Wochenordnung war stets die nämliche. Die fünfte Morgenstunde fand den Vater, im Sommer und Winter, schon am Schreibtisch in seinem Studirzimmer. Um sechs Uhr, wie im Sommer so im Winter, wurde das Frühstück aufgetragen. Dem Vater brachte die Mutter den Kaffee auf’s Zimmer. Er trank denselben, während er schrieb und ein Pfeifchen rauchte, in langen Zwischenräumen. Nach vier Stunden erhielten die Buben das „Zehnibrod“ und dem Vater brachte die Mutter eine Erfrischung, die gewöhnlich aus einem Butterbrod und einem Glas Wein oder einem Spitzgläschen voll Kirschenwasser bestand. Nachdem er sein Büchlein „Branntweinpest“ geschrieben, durfte das „Chrisiwasser“ aber nicht mehr auftreten. Einer der Söhne wurde dann zu Herrn Sauerländer, auf die Post und in’s Schlachthaus gesendet, Zeitungen, Briefe und Fleisch zu holen. Um zwölf Uhr stellten sich die Kinder beim Vater ein und empfingen seinen Unterricht bis zwei Uhr. Darauf ging’s zum Mittagessen. Der Nachmittag war frei. Da las der Vater die Zeitungen, hielt sich, wenn’s die Witterung erlaubte, mit den Seinen im Garten auf und empfing hier seine Besuche. Des Morgens nahm er solche nicht gern an. Die Frau mußte dabei entscheiden, ob der Vater bei der Arbeit dürfe gestört werden oder nicht. Trat man dann in das Heiligthum seines Arbeitszimmers, in dem, neben höchster Einfachheit, die größte Ordnung und Reinlichkeit herrschte, ein, so legte er die Feder nieder, sah den Kommenden ein paar Minuten schweigend an, rieb sich die Augen, als ob er aus einem Traum erwachen müsse, ließ sich hierauf die Wünsche, die man hegte, vortragen und ging dann in die Sache ein. Jeder wurde übrigens von Zschokke freundlich und mit voller Hingabe aufgenommen, der schlichte Landmann, der ihn fragen wollte, wohin der Weg nach Amerika gehe, wie der Fürst, der kam, ihm seine schriftlichen Arbeiten zu überbringen, mit der Bitte, ihnen die letzte Feile anzulegen.

Des Abends um sechs Uhr wurde, zur Sommerszeit im Garten, von der Familie der Kaffee genossen; dem Vater brachte man eine Flasche Wein, aus der er ein paar Gläser trank, und ein Stück Braten oder Wurst. Ein „Schweinerippeli“ zog er Allem vor. Am Sonntag besuchte der Eine oder der Andere aus dem Hause den Morgengottesdienst beim reformirten oder beim katholischen Pfarrer. Dann brach Groß und Klein nach Kirchberg auf, wo beim Großvater zu Mittag gegessen und die Reize eines süßen Nichtsthuns genossen wurden. Um neun Uhr ging regelmäßig Alles zu Bette.

Selbst in den männlichen Jahren entzogen sich die Söhne dem Gehorsam gegen den Vater nicht und handelten kindlich treu nach seinen Grundsätzen. Dafür zeugt folgende Begebenheit. Als am Sonntag, den 21. August 1831, die Nachricht in Aarau eintraf, es hätten die Stadtbaseler einen bewaffneten Ausfall gegen das Landvolk unternommen, es sei Bürgerblut geflossen und das Städtchen Liestal sei in Brand versetzt worden, war eben der Vater nicht daheim, sondern nur die Mutter saß im Garten der Blumenhalde und erzählte einem Besucher unter Thränen die Einzelnheiten des Unglücks. Da kam einer der Söhne aus der Stadt dahergestürzt und erklärte: „Mutter, ich eile nach M. zu F., der soll den Landsturm ergehen lassen, dem Landvolk zur Hülfe.“

„Mein Kind,“ sagt die Mutter, „thue das nicht: wäre der Vater daheim – Du weißt’s, daß er den Aufbruch ungeordneter Volkshaufen verdammt –, er würde Dir auch von Deinem Vorhaben abrathen.“

„Du hast Recht, Mutter!“ entgegnete der Sohn. „Aber daheim kann ich nicht bleiben. Was soll ich machen? Ich weiß es! Mit meinem chirurgischen Bestecke eile ich nach Liestal, den Verwundeten mit meiner Kunst beizuspringen!“

„Das thue, mein Kind, das wird der Vater nicht misbilligen!“

So zog, mit Einbruch der Nacht, der Sohn fort, von einem einzigen Begleiter gefolgt, durch das Juragebirg und die im Aufruhr begriffenen Dorfschaften, und kam in den ersten Morgenstunden des folgenden Tages zu Liestal an, wo er mehreren Verwundeten Hülfe bringen konnte.

In Aarau machte Vater Zschokke selten Besuche. In frühern Jahren freilich speiste er jeden Sonnabend bei Rudolf Meier zu Mittag. Am Montag Abend war er regelmäßig in der Sitzung der „Gesellschaft für vaterländische Cultur“ zu finden; nie aber im Kaffee- oder Wirthshaus. Seine Erholung fand er im Kreis seiner Familie, der überhaupt Jedem den höchsten geselligen Genuß darbot. Wenn aber ein Verein tagte, der seinem geistigen Streben entsprach, dann war er mit ganzer Seele dabei, ließ sein Wort belehrend, warnend, begeisternd walten und bewies sich an der Tafel als der Heiterste und Unterhaltendste, wofür unter Anderm seine Lieder zeugen, die er auf die Jahres- und Festversammlungen der Culturgesellschaft im Bade Schinznach gedichtet hat.

Von Biberstein zog Zschokke im Jahre 1807, um der Buchdruckerei des Herrn Sauerländer näher zu sein, nach Aarau, wo er auf dem „Rain“ ein Haus kaufte mit einem Garten und einem „Gütli“ dahinter. Dann, als ihn ein „kleiner Goldregen“ überraschte, Geldsummen, schon seit den Revolutionsjahren verloren geschätzt, z. B. der von der Baseler Regierungsstatthalterschaft noch rückständige Gehalt, baute er sich seine „Blumenhalde“ auf, ein Landhaus in der Nähe von Aarau, am linken Ufer der Aare, mit weiter Aussicht bis hinaus auf die Schneehäupter der Alpen.

Wie Zschokke’s Vermögensverhältnisse waren, wissen wir nicht, weil davon in der Familie nie geredet wurde. Wenn man aber bedenkt, daß dessen Vater ein „wohlbemittelter Bürger“ war, der während des siebenjährigen Krieges durch bedeutende Tuchlieferungen für die preußische Armee sich ansehnliches Vermögen erworben; daß der Sohn in Beamtungen, namentlich aber durch seine schriftstellerischen Arbeiten, sich guter und nachhaltiger Einnahmsquellen erfreut haben mag, während er und die Seinen höchst einfach lebten: so darf angenommen werden, daß er sich in blühenden Vermögensumständen befand. Ist doch aufgezeichnet, wie er auf mehr als siebenzehntausend Franken Verzicht leisten konnte, um nicht zwei rechtschaffene Familien in’s Verderben zu stürzen. Auch auf sein Amt als Forstinspector, das einzige, das ihm damals einen Gehalt abwarf, verzichtete er freiwillig, als die unfreisinnige Regierung des Aargaus ihm andeutete, es schicke sich für ihn als einen ihrer Beamten nicht, sie im Schweizerboten zu kritisiren.

Zschokke wirkte auf seine Zeit und die Nachwelt durch verschiedene Hebel, deren Stützpunkt stets die Heiterkeit seines Gemüths und seine ausgezeichnete und werkthätige Menschenliebe waren. Er wirkte durch seinen persönlichen Umgang im Kreis der Familie, im Rathssaal (sein letztes Wirken bestand hier in der Theilnahme an der Aufhebung der Klöster des Aargaus) und gegenüber einer großen Anzahl von Besuchern aus allen Ländern und Ständen, namentlich auch als Lehrer; ferner durch einen ausgedehnten Briefwechsel, durch seine Schriften, von denen mehrere in die verschiedensten Sprachen übersetzt worden sind, endlich durch seine Stiftungen.

Die Schriften, welche er verfaßte, sind bekanntlich theils geschichtlichen Inhalts (bairische Geschichte, Schweizergeschichte u. a.), theils enthalten sie Gegenstände der Volkswirthschaft (Gebirgsförster, Goldmacherdorf u. a.), theils Dichtungen (eine lange Reihe von Novellen). Sein Hauptwerk aber bleiben „Die Stunden der Andacht“, dieses Evangelium der Neuzeit, geschrieben Leidenden zum Troste,

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