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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

den rollenden Wogen auf dem Grund aufgestampft, drohte es zu zerschellen, wenn man nicht eilig die Masten gekappt hätte. An den Stumpf des Hauptmastes befestigte man nun das Rettungstau, und diesem entlang versuchte es zum zweiten, dritten und vierten Male das Rettungsboot, durch die Brandung hindurch zu dringen. Alles vergebens, die See schien Herr ihrer Beute zu bleiben. Da ermuthigt der jugendliche Retter endlich die bedrängte Mannschaft, an dem Tau selbst sich zum Walle hinüber zu arbeiten. Dies geschah und für Alle mit des Himmels Gunst. Der Retter war der Letzte, der das Wrack verließ und den Wall erstieg.

Die Ehre des Lieds vom braven Mann hatte ein Jüngling sich verdient. Der Jubel des ganzen Strandes empfing ihn, seine Lieben und die Geretteten wetteiferten in stürmischen Beweisen ihrer Liebe und ihres Dankes, und die Fremden, die vom Nieuwe-Dieper Hafen den Gestrandeten zur Hülfe herzugeeilt waren, fragten voll Bewunderung: Wer ist der Jüngling?

Cornelis Dito heißt er, ist ein Kind des tapfern Fleckens de Helder, eben neunzehn Jahre alt und hat sich den Schiffern längst als tüchtiger Fahrensgeselle erwiesen. Das ist bis dahin seine ganze Lebensgeschichte.

Cornelis Dito.
Nach der Natur gezeichnet von Schleich.

Seine heutige Heldenthat gegen die opferwüthige See wurde entscheidend für sein Loos. Das Hochgefühl, der Retter von so vielen Menschenleben zu sein, that der jungen Seele zu wohl, als daß sich nicht in ihr der Entschluß hätte festsetzen sollen, fortan Menschenretten zum Lebensberuf zu erheben. Nicht die äußeren Belohnungen und Ehrenzeichen, mit denen man ihn zu erfreuen suchte, die großen goldenen und silbernen Medaillen und Dosen, welche der König und holländische Rettungs- und Seemanns-Gesellschaften ihm verliehen, vermochten – wie sehr sie dem jugendlichen Stolze schmeichelten – ihn zu einem solchen Entschluß zu begeistern. Sein Herz hatte die Wonne einer edeln That genossen, und sie allein war es, die ihn zum Helden gegen die See im Kampfe für bedrohte Menschenleben erhob.

So weit das Wirkungsbereich der Lootsen von de Helder sich erstreckt – und es ist ein vielbefahrenes Wasser, denn durch das Mars-Diep segeln alle Schiffe, die vom Westen kommend nach Amsterdam das Steuer richten – so weit erstreckt sich das Rettungsgebiet des Cornelis Dito. Kein Sturm rüttelt das Meer und thürmt die Brandung auf, wo nicht der Retter auf seinem Posten steht, um nach den Gefahren auszulugen, in denen Andere schweben. Und wo eine solche sich zeigt, da durchzuckt es ihn wie den tapfern Soldaten dem Erzfeind gegenüber, nur weit edler und wohlthuender, denn er will in seinem Kampfe nicht Leben tödten, sondern Leben erhalten. So hat er es denn durch viele muthige Thaten in seinem selbstgewählten hohen Beruf veranlaßt und verdient, daß ihn das Volk „den Menschenretter“ nennt – ein Titel, den kein Fürst verleihen kann, denn die höchsten Würden der Menschheit verleihen stets nur die That und das Volk.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 645. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_645.jpg&oldid=- (Version vom 22.10.2022)