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war ein Mann von hohem Wuchse, kräftigem Körperbau mit fast herkulischer Muskelkraft, kühn, aber trotz der Kühnheit, einer fast ängstlichen Vorsicht wegen, sicher und zuverlässig, außerdem ein braver, rechtschaffener und allgemein beliebter Mann, der Tag und Nacht sorgte und schaffe, seine starke Familie ehrlich zu ernähren. Der häufige Regen im Spätsommer war allen Bergtouren hinderlich, und auch Höppner fand während seines jetzigen Aufenthalts in Engelberg nur einmal Gelegenheit einen Weg nach der sogenannten Strahleck zu machen, bei welcher Gelegenheit Imsanger ihn anderthalb Stunden lang auf dem Rücken über den Gletscher getragen haben soll. Am 22. August war der Morgen sehr heiter und das Wetter hielt sich bis Mittag, obwohl die glühend heißen Sonnenstrahlen und die dicken Nebel um die Spitzen der Berge auf bald wiederkehrende Regen hindeuteten. An diesem Morgen hatte ein in Engelberg angekommener Engländer Imsanger aufgefordert, mit ihm den Weg über den sogenannten Stütz am Vortitlis zu gehen, einen Weg, der von Reisenden noch nicht, von Führern nur selten betreten, dem Imsanger aber bekannt war. Er war sehr schwierig. Auf die Mittheilung Imsanger’s hiervon fordert Höppner denselben auf, mit ihm den Weg zu machen, damit der Engländer nicht vor ihnen das Wagniß ausführe, und um bald zehn Uhr Vormittags verlassen Beide das Dorf, mit den Worten, daß sie spätestens acht Uhr Abends zurückgekehrt sein würden. Des Nachmittags verschleierten sich alle Berge mit dichtem Nebelgewande, ein heftiges Gewitter, verbunden mit starkem Winde, entlud sich und es regnete die ganze Nacht hindurch.

Aengstlich erwartete Alles die Rückkehr der beiden Wanderer; immer später ward es – ward Morgen und sie waren noch nicht zurückgekehrt! Sofort wurden Leute nach ihnen ausgeschickt. Alles war in Hoffnung – Erwartung – Befürchtung. Furchtbar war die Lage der nach ihren Männern ausschauenden Frauen. Nachmittags um vier Uhr kehrten die Boten zurück mit dem Schreckensrufe: „Wir haben sie gefunden, aber todt, tief im Abgrunde!“ Alles war erschüttert. Da aber bei aller Unwahrscheinlichkeit doch die Möglichkeit vorhanden, daß noch Leben in ihnen war, so stand man noch davon ab, den Hinterlassenen der Beiden die Nachricht mitzutheilen, vielmehr schickten sich eine Menge junger Engelberger an, zu den Verunglückten zu eilen und wo möglich noch zu helfen. Zu diesen Hülfebereiten waren wir jetzt gestoßen, und um vier Uhr Morgens traten wir, vierzehn Mann an der Zahl, unter Laternenschein, mit Seilen, Leitern, Stangen etc. und dem nöthigen Mundvorrath versehen, den schwierigen Marsch nach der Ungiücksstelle an. Langsam stiegen wir den links vom Trübsee sich erhebenden, spärlich mit Gras bewachsenen und mit Steinblöcken übersäeten Stock hinan. Ein großartiger Anblick bot sich dem Auge dar, von wilden, grotesken Felsbildungen, riesigen Gletschern, rauschenden Sturzbächen. Bald legten die Bergspitzen ein violettes Gewand an, das immer heller und lichter wurde, bis es sich in eine feurige Gluth verwandelte – ein Zeichen, daß die Sonne bald aufsteigen werde über uns und daß wir einen guten Tag haben würden, und diesen hatten wir sehr nöthig, da bei wiederkehrendem Regen es rein unmöglich gewesen wäre, die Leichen heraufzuziehen. Kaum hatten wir die letzte Spitze des Stocks erklimmt, als tief aus dem Thale heraus ein Ruf erschallte. Wir antworteten, und nach kurzer Zeit stiegen vier Männer rüstig den Berg hinan zu uns herauf. Es waren Berner Bergführer aus Engstelen, welche die Schreckenskunde vernommen hatten und herübereilten, um zu helfen. Nach kurzer Rast wanderten wir einen steilen Bergrücken hinauf, auf welchem über bröckliches, verwittertes Gestein ein schmaler Pfad angedeutet ist. Oben angelangt, gewahrten wir, links von der Spitze des Berges, tief unten im Abgrunde die beiden Leichname. Noch deutlich bemerkte man die Spur, auf welcher sie auf den Gletscher aufwärts gestiegen, und den Punkt, wo sie ausgeglitten waren. Es war allerdings ein sehr gefährlicher Weg, den sie eingeschlagen hatten. Das Engelberger Thal zieht sich von Nord-West nach Süd-Ost. Ziemlich am Ende desselben erhebt sich auf der rechten Seite die himmelhohe, steile, fast senkrechte Felswand des Titlis. Zwischen derselben und dem Laubergrat zieht sich eine enge Schlucht herein, bald weiter, bald verengt von großen Felsstücken. In der Mitte derselben, wo auf der rechten Seite eine andere Schlucht, welche den Laubergrat vom Stockberge trennt, in die erstere mündet, erhebt sich auf der linken Seite ein Gletscher von großer Stärke, von häufigen Schrunden durchrissen, der, bis zum Gipfel reichend, links die Verbindung zwischen dem Gletscher des Nollen des Titlis herstellt und rechts sich in Bogengestalt quer über die Schlucht gelegt hat. Dieser Punkt heißt der Stutz und ihn zu übersteigen, war die Absicht Höppner’s. Es ist eine sehr schwierig zu passirende Stelle, indem von untenauf der Gletscher sehr überhängend, der Stutz aber ungemein abschüssig ist. Nachdem Höppner und sein Führer in einer Sennhütte vor der Schlucht zu Mittag gegessen hatten, traten sie den Weg an und drangen glücklich auf dem Gletscher bis zum Stutz empor. Doch mag der Weg bis dahin ihnen viel Anstrengung gekostet haben, wenigstens hatten sie oft Stufen in den hartgefrornen Firn hauen müssen, um vorwärts zu kommen. Auch den Stutz hatten sie schon beinahe überschritten und mochten vom sichern, gefahrlosen Orte nach oben ungefähr sechzig, von der rechten Seite ungefähr hundert Schritte entfernt sein. Da – mögen der sie umhüllende dicke Nebel und die früh an diesem Tage eintretende Dunkelheit sie im Schritte unsicher gemacht, oder der heftige Sturm sie gepackt haben, oder mag, was allgemein angenommen wird, Höppner beim Uebergang über den Stutz kraftlos geworden, gefallen sein und seinen Führer, mit dem er sich zusammengebunden hatte, mit in’s Verderben gerissen haben – kurz, man sah noch deutlich den Ort auf dem Firn, wo der Fuß ausgeglitten war, wo der Stock des Führers sich eingehakt hatte. Pfeilschnell müssen sie über den halbkugelförmigen Gletscher, der hier die Dicke von ungefähr dreißig bis vierzig Fuß hat, und zwar auf dem Gesicht liegend, gerutscht sein bis zu einem zackigen Felsvorsprung unmittelbar unter dem Gletscher.

Hier hat Imsanger mit aller Kraft versucht, sich anzuklammern und festzuhalten, so daß die Nägel von den Fingern losgesprengt und die Schuhe von den Füßen geglitten waren, aber Alles vergebens! Zweihundert und fünfzig und noch mehr Fuß tief stürzen, in einem Falle hinunter auf den Felsen hart an dem Rand einer Gletscherschrunde! Jedenfalls überschlugen sie sich im Fall und der Schwerere kam unten zu liegen. Ganz eng zusammengeschnürt durch das Seil, lagen sie übereinander. Ist es anders zugegangen? Gott weiß es! kein Mensch kann darüber etwas Genaues mittheilen. Könnte der Hund Imsanger’s sprechen, so würde der es am Besten erzählen. Er hat, als die ersten Bergführer, welche nach den Unglücklichen ausgeschickt waren, an der Unglücksstelle ankamen, noch auf der Stelle des Gletschers gesessen, wo sein Herr hinabgestürzt war, und auch jetzt saß er wieder auf einem vorspringenden Felsblock und schaute still und traurig hinab auf die Leichen. Nicht ohne große Gefahr war es, von hier zu den Leichnamen hinabzukommen. Nach kurzer Berathung entschlossen sich vier Männer, über den Gletscher hinabzuklettern: Jelli aus Engstelen, Aloys Heß, der Thierarzt in Engelberg, dessen Bruder, ein Klosterknecht, und Louis Sattler – für Letzteren ein doppelt schwerer Marsch, da er vor wenigen Jahren seinen Vater durch ähnliches Unglück verloren hatte. Alle Vier kamen zu gleicher Zeit vor dem Stutze auf dem Gletscher zum Vorschein, aber nur Einer von ihnen wagte es, auf dem eingeschlagenen Wege vorwärts zu gehen, Jelli, und mit bewundernswerther Gewandtheit und Kühnheit, ungemein schnell alle Hindernisse überwindend, gelangte er zu erst zu den Todten. Ein schmerzvolles „Mein Gott!“ hörten wir den kühnen Steiger, dem wir mit zitterndem Herzen bei seinem gefahrvollen Gange nach der Tiefe gefolgt waren, laut ausrufen, als er die Zerschmetterten vor sich liegen sah. War doch der „Geni“ sein guter Freund und gleichen Gewerbes, wie gleich berühmt!

Nach und nach erschienen auch die Andern auf dem Platze, nachdem sie einen leichteren Weg aufgefunden hatten. Um halb neun Uhr begann der Versuch, die Leichname heraufzuziehen. Der Abgrund, in dem sie lagen, war ziemlich breit, und da wir uns auf der den Leichen entgegen gesetzten Seite befanden, so trug der Klosterknecht sie in die Mitte der Schlucht. Der Vorsicht halber hatten wir das Seil durch einen kleinen Wasserfall gelegt, damit, wenn es sich an den Felsspitzen reibe, es durch das Wasser an Zähigkeit gewinne. Da besonders Imsanger’s Leiche sich gegen den Felsen stemmte, welcher über die Schlucht ragte und auf dem wir standen, so ließ sich der Bruder desselben am Seile herab und über dem Abgrunde schwebend hielt er die Leiche vom Felsen ab. Höppner’s Leiche machte weniger Schwierigkeiten, da sie in sitzender Stellung emporgezogen wurde; glücklich gelang es also bei der bereitwilligen Anstrengung Aller, der Leichen beider Männer habhaft zu werden. Aber welch ein Anblick! Die Hirnschädel zerschmettert, Arme und Beine zwei, drei Male zerbrochen, die Kleider in Fetzen gerissen, die Körper nackt, mit Blut bedeckt! Auf zwei Leitern gebunden, wurden die beiden Leichname herabgeschafft und gegen zwei Uhr langten sie an der Aabrücke im Thale an, wo eine große Menschenmasse herzugeeilt war. In zwei einfache Särge gelegt, wurden beide Todte, der Katholik und der Protestant, in das katholische Leichenhaus gestellt. Am andern Morgen wurde die sterbliche Hülle Imsanger’s in’s Grab gesenkt, bejammert von einer Wittwe und zehn noch unerwachsenen Kindern, betrauert von Vielen aus Fern und Nah, die den Wackern, Ehrlichen hoch geschätzt und lieb gehabt hatten. Noch desselben Tages fanden unter den Badegästen Sammlungen zum Besten der Hinterlassenen statt und es flossen denselben reichliche Spenden zu; auch erklärte sich die Wittwe Höppner’s bereit, für die Wittwe Imsanger’s eine jährliche Pension auszusetzen. Heute um vier Uhr wird die Leiche Höppner’s von Engelberg nach Dresden gebracht werden. Die trauernde Gattin ist schon abgereist. Wunderbar! Höppner hatte für den Tag, an welchem er die Bergtour unternahm, seine Abreise in die Heimath festgestellt. Jenes Vorhaben bestimmte ihn, die Abfahrt auf den Samstag zu verlegen – und er ist abgereist an diesem Tage, aber als Leiche!

Engelberg, am 26. August 1865.
C. F.




Ein talentvoller Kater. Daß die katzenartigen Raubthiere durch Zähmung dahin gebracht werden, ihr hinterlistiges, blutgieriges und heimtückisches Naturell abzulegen, gehört gewiß zu den Seltenheiten. Selbst unsere zahme Hauskatze, mag sie noch so wohl erzogen sein, verleugnet ihre Gattung nicht. Um so interessanter war mir daher, was mir neulich einer meiner Freunde, von dessen Wahrhaftigkeit ich vollkommen überzeugt bin, von seinem Kater mittheilte. Dieser Kater war nicht blos ein ausgezeichneter Mäusefänger, sondern auch dem Naschen durchaus nicht ergeben. Spaßes halber ließ ihn mein Freund, neben einem Streifen Kuchen, der in der Fensterbank dicht vor seiner Nase lag, eine lange Zeit allein im Zimmer, ohne daß Herr Murr sich versucht gefühlt hätte, auch nur einmal daran zu riechen. Eine Wachtel und mehrere andere Vögel, die frei in der Stube umherhüpften, lebten mit ihm in der besten Freundschaft. Er ließ es sich sogar gefallen, daß der eine oder der andere von ihnen, wenn er schnurrend vor dem warmen Ofen lag, auf seinem Rücken umherspazierte. Seine Gutmüthigkeit hatte die Vögel nach und nach zutraulich gemacht. Doch seine Talente waren noch anderer Art und er entwickelte zugleich eine Intelligenz, die wirklich in Erstaunen setzte. Im Hause war nämlich noch eine Katze, die man ihm als Gemahlin beigesellt. Frau Katze besaß nun leider nichts von den lobenswerthen Eigenschaften ihres Herrn Gemahls, sie war, als echte Katze, naschhaft und stellte den Vögeln nach, wo sie nur konnte. Aus letzterem Grunde litt es der ehrsame, gestrenge Herr Gemahl durchaus nicht, daß seine Gemahlin zu den Vögeln in die Stube kam. Wagte sie es einmal, so trieb sie Murr, um seine Schützlinge zu sichern, mit Bissen und Klauenhieben wieder zur Thür hinaus.

Eines Tages klagte die Köchin, daß in der Speisekammer die Katze mehrere Speisen arg benascht habe. Mein Freund kam auf den Gedanken, den Kater als Observator in die Speisekammer zu sperren, um zu beobachten, wie derselbe den Extravaganzen seiner Gemahlin gegenüber, sich verhalten würde. Schon am folgenden Tage gab es Ehestandskrieg in der Speisekammer – Herr Murr tractirte seine nichtsnutzige Ehehälfte aus dem ff, weil sie eine Mettwurst von der Wand heruntergerissen. Von der Zeit an saß Herr Murr täglich mehrere Stunden, von Eßwaaren aller Art

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