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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

und Boden, in dem Garten irgend eines vornehmen Hausbesitzers! … Unter einem luftigen Pavillon, jenseits des Blumenparterres, saß eine reizende Gruppe junger Mädchen. Sie plauderten, nachlässig in den Sessel zurückgelehnt und eine Arbeit in den Händen haltend, während mehrere andere einen Rosenstrauch in der Nähe plünderten und unter lautem Lachen die prächtigen Zentifolien in ihre Flechten steckten. Sie flatterten in ihren leichten, weißen Gewändern wie Tauben durch die Gebüsche, und Magdalene blieb, trotz ihres tiefen Schreckens, einen Augenblick wie angefesselt vor dem wunderlieblichen Bilde stehen. Dann aber wollte sie in den Gang zurückfliehen. Sie wandte sich um – da war jedoch keine Thür, keine Maueröffnung zu sehen, wohl aber stierte sie aus einem grünbemoosten, mächtig wallenden Barte das ernste Steingesicht eines großen Heiligenbildes an.

Mit bebenden Händen tastete sie an der Mauer nach einem Knauf oder irgend einem Mittel, die verschwundene Pforte wieder aufzufinden. Sie durchwühlte die Brennnesseln am Fuße der Statue, befühlte jede Steinfalte des priesterlichen Gewandes und rüttelte zuletzt verzweiflungsvoll an dem Bilde, das wie zürnend seine starren Augen auf sie gerichtet hielt – vergebens, hier war ihr der Rückzug abgeschnitten, und vorwärts konnte sie nicht gehen, ohne den Hausbewohnern zu begegnen. … Sie mußte an den Auftritt in Werners Hause denken. Ihre ärmliche Kleidung, die nicht ein mal durch ein schützendes Tuch bedeckt war, konnte ihr auch heute ähnliche Demüthigungen zuziehen. Sie sah ein, daß man anfänglich ihrer Erzählung keinen Glauben schenken würde, weil sie ja so unglaublich klingen mußte, und bis sie im Stande war, die Wahrheit zu beweisen, wie viele Anfechtungen hatte ihr stolzes Gemüth bis dahin zu erdulden!

Noch einmal blickte sie hinüber nach den jungen Mädchen; sie sahen so harmlos und lieblich aus, sie waren jung wie sie, vielleicht, wenn sie muthig auf sie zuging und ihr Abenteuer erzählte, glaubten sie ihr und nahmen sie bis zur einbrechenden Dunkelheit auf oder gaben ihr eine Hülle, um über die Straße gehen zu können.

Schnell betrat sie den Kiesweg, der drüben vor dem Pavillon mündete, aber kaum hatte sie das erste Blumenbeet erreicht, als sie heftig erschrocken stehen blieb. Aus einem großen, eisernen Gitterthor, gerade ihr gegenüber, trat im schwarzen Seidenkleide, einen mächtigen Schlüsselbund über der sorgsam vorgebundenen weißen Schürze, die Räthin Bauer, gefolgt von ihrer Enkelin, die gleich der hinter ihr gehenden Magd eine Platte voll Tassen und Kuchenkörbe trug. … Es blieb Magdalenen kein Zweifel, der unterirdische Gang war ein Verbindungsweg zwischen zwei Klöstern gewesen, sie befand sich in Werner’s Garten.

Das Herz stand ihr fast still vor Angst, aber da kam ihr plötzlich ein trostreicher Gedanke. In diesem Hause wohnte ja auch ihr alter, guter Jacob; wenn es ihr gelang, seine Stube zu erreichen, dann war sie geborgen. Die Fenster des hohen Wohnhauses blinkten durch die Aeste einiger Kastanienbäume über ein niedriges Dach, jedenfalls das Hintergebäude, zu ihr herüber. Sie wußte nun die Richtung, die sie einzuschlagen hatte, und bog in einen schmalen Seitenweg ein, der durch ein Bosquet führte.

Nach wenigen Schritten stand sie vor einem kleinen Gebäude, das sich an die Rückwand des Hinterhauses lehnte und oben große Glasfenster hatte. Halb zugezogene seidene Gardinen verbargen das Innere, zu welchem mehrere an beiden Seiten mit Topfgewächsen besetzte Stufen führten. Vielleicht stand dies Zimmer in Verbindung mit dem Hintergebäude oder führte wenigstens in den Hofraum. Magdalene trat schnell hinein; es war Niemand darin, aber es hatte auch, wie es schien, keinen zweiten Ausgang.

An der Wand hin, die keine Glasscheiben hatte, liefen Bänke mit dunkelrothen Polstern. In der Mitte stand eine verhüllte Staffelei und auf den Tischen lagen im bunten Durcheinander Zeichnungen und Bücher. Das war ohne Zweifel Werner’s Atelier. Einen Augenblick blieb sie wie angezaubert stehen und blickte in den Raum, den die zugezogenen Gardinen in eine grüne Dämmerung hüllten. … Hier schaffte und waltete er und hier auch, hatte der alte Jacob gesagt, war das Bild des italienischen Mädchens, das Werner als seine künftige Frau bezeichnet hatte. … Wenn sie einen Zipfel der Hülle über der Staffelei hob, dann konnte sie vielleicht die Züge derjenigen sehen, der es gelungen war, jenes stolze Herz zu besiegen … nein, und wenn es Engelszüge waren, sie hätte sich nicht überwinden können, das Tuch zu lüften.

Ein Geräusch hinter Magdalene ließ sie erbeben, sie wandte sich um. Auf der untersten Stufe stand eine alte Magd, Staubtuch und Besen in den Händen, starr vor Erstaunen, während ihre Blicke wie Spinnen über die Gestalt des jungen Mädchens liefen.

„Nu, da seh’ mir Einer an!“ rief sie endlich, „das nenn’ ich doch frech, am hellen, lichten Tag sich in die Häuser zu schleichen. Wenn man betteln will, da ist da vorn eine Hausflur, da bleibt man hübsch stehen und wartet, bis die Leute kommen, aber man läuft nicht so mir nichts, dir nichts bis in den Garten hinein, das ist ja schlimmer, wie bei den Zigeunern. … Na warte, das will ich doch gleich der Frau Räthin sagen.“

„Ich bitte Sie um Gotteswillen, liebe Frau!“ bat Magdalene in Todesangst.

„Ach was, ich bin keine Frau!“ entgegnete die Alte grämlich. „Wenn Sie mir etwa schmeicheln will, da ist Sie an die Rechte gekommen, sag’ ich Ihr! … Ihre Strafe muß Sie haben,“ fuhr sie fort, indem sie den Kehrbesen auf die Erde stampfte. „Wenn doch nur lieber gleich der junge Herr da wäre!“

„Was willst Du denn von mir, Katharine?“ fragte Werner’s Stimme in dem Augenblick. Er bog um die Ecke und sah ebenso erstaunt in’s Zimmer, wie vorher die alte Magd.

Magdalene stand bewegungslos und verbarg ihr Gesicht in beiden Händen. Werner sprang die Stufen hinauf.

„Sie wollten zu Jacob und haben sich verirrt, nicht wahr?“ fragte er hastig.

Magdalene schwieg.

„Ach was, zum alten Jacob geht man nicht durch den Garten, Herr Werner!“ sagte die Alte ärgerlich. „Das lustige Jüngferchen da wird schon wissen, warum es sich verirrt hat.“

„Ich habe Dich nicht um Deine Meinung gefragt, Katharine,“ sagte Werner streng. „Gehe jetzt vor in das Haus und sage Niemand, daß Du diese junge Dame hier getroffen hast; ich werde selbst mit meiner Tante darüber sprechen.“

Die Magd entfernte sich stillschweigend.

„Jetzt,“ wandte sich Werner an Magdalene, „sagen Sie mir, was Sie hierher zu mir führt.“

Um keinen Preis hätte das junge Mädchen in diesem Augenblick erzählen mögen, wie sie hierher gekommen. Sie dachte an die Beweggründe, die sie veranlaßt hatten, in die Tiefe hinabzusteigen. Sie fühlte überhaupt, daß sie nicht andauernd ihm gegenüber sprechen könne, ohne in die heftigste Aufregung zu gerathen; hatte sie doch Mühe, den Kopf aufrecht zu erhalten und ihre Züge zu beherrschen. Sie sagte deshalb kurz:

„Ich habe nicht zu Ihnen gewollt und glaube auch nicht, daß ich genöthigt bin, mich Ihnen gegenüber meines Hierseins wegen zu vertheidigen. Die Versicherung wird Ihnen genügen, daß mich in der That ein Irrthum hierher geführt hat.“

„Wenn ich mich nun aber mit dieser Versicherung durchaus nicht zufriedengestellt erkläre?“

„So steht Ihnen frei, zu denken, was Sie wollen.“

„Ah, immer kampfgerüstet, selbst in der peinlichsten Lage!“

„Wenn Sie meine Lage peinlich finden, so versteht es sich von selbst, daß Sie mich so rasch wie möglich aus derselben befreien. Es wird Ihnen ein Leichtes sein, mir einen Weg zu zeigen, auf dem ich mich unbemerkt entfernen kann.“

„Sie wollen den Damen da draußen nicht begegnen?“

Magdalene schüttelte heftig mit dem Kopfe.

„Dann thut es mir leid, Ihnen nicht helfen zu können. Sie sehen, dies Zimmer hat nur diesen einen Ausgang. Sie müssen schlechterdings durch den Garten, wenn Sie in den Hofraum wollen, und sehen Sie dort hinüber,“ er schob einen Vorhang ein wenig zurück, „dort promeniren die Damen eben vor der Gartenthür!“

„Nun, dann seien Sie wenigstens so rücksichtsvoll, mich hier allein zu lassen, bis die Damen sich aus dem Garten entfernt haben.“

„Auch das kann ich nicht. Das Schloß an dieser Thür ist seit heute Morgen defect, sie kann deshalb nicht verschlossen werden. Ließe ich Sie hier allein, dann wären Sie nicht sicher vor ähnlichen Anfechtungen, wie Sie eben durch die alte Katherine zu erleiden hatten … Es läßt sich durchaus nicht ändern, ich muß hier bleiben zu Ihrem Schutz.“

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