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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

die durch den Kampf mit dem Elemente doppelt stark entwickelte, markige Gestalt, dies Alles bezeugte uns, daß der Commandeur des Chamäleon schon eins geworden mit jener Welt des Wassers, in die zu reisen „ein Mann,“ wie Vater Homer sagt, „die Brust mit sechsfachem Erze gepanzert haben muß.“

Nach freundlicher Bewillkommnung der preußischen Landsleute gab der Commandeur das Zeichen. Der Bootsmann herrschte: „Ruder ein!“ worauf mit einem Schlage die zehn Riemen sich in’s Wasser senkten. „Ab,“ und hinaus in die See schoß das Boot, auf den Wellen recht ordentlich schaukelnd. Die schnelle Fahrt brachte uns bald an die Steuerbordseite des Chamäleon, und mit kühnem Schwunge stiegen die Söhne der Kurmark Brandenburg auf Deck des Kanonenbootes. Schon während der Ueberfahrt hatten die Umrisse desselben immer bedeutendere Dimensionen angenommen, so daß wir über seine anscheinende Harmlosigkeit denn doch ziemlich enttäuscht wurden. In der unmittelbaren Nähe traten die verschiedenen Anstalten, die Stangen, Raaen und Leitern, die Schanzen und Stege klar hervor, und wenn das Chamäleon gemäß seiner Bestimmung auch nur ein kleines Schiff ist, birgt es doch die verderbenbringende Gewalt in seinen Planken, zwischen seinen Decken und Schanzen.

Als wir das Schiff betraten, fanden wir, was vom Lande aus nicht bemerkt werden konnte, die Mannschaft auf dem Deck in voller Beschäftigung. Lautlos, ohne zu räuspern, war Jeder bei seiner Arbeit. Es wurden Maschinentheile, Waffen, Gefäße geputzt, einzelne Stellen des Verdecks gescheuert, die Segel ausgebessert etc. Diese lautlose Geschäftigkeit hatte etwas ganz Eigenthümliches. Oben der blaue Himmel, unten das grüne Meer, das Fahrzeug mit seinem Gewirr von Leinen, Stricken und Stangen, darauf die arbeitende Mannschaft, und das Alles von der Sonne so grell, so glühend beleuchtet – man glaubte zu träumen.

Vor allen Dingen zog uns die gefürchtete Armirung des Kanonenbootes an. Das Chamäleon führt drei Geschütze. Zwei davon sind wohlgezogene, eines ein ungezogenes Kind. Die Gezogenen sind Fünfundvierzigpfünder. Sie sehen wie ein Schmuckkästchen aus, so sauber und blank ist Alles an und bei ihnen. Damit die Feuchtigkeit keinen Schaden bringe, ist das Rohr mit feinem Firniß überzogen, die Griffe, die Beschläge blitzten in der Sonne wie Silber und Gold. Die furchtbaren Maschinen stehen auf dem Deck des Kanonenbootes und zwar auf schmalen Eisenschienen, wodurch sie beliebig vor- und rückwärts gerollt werden können. Die Laffetten sind niedrig und gleich den gewöhnlichen Schiffslaffetten gebaut. Das Abfeuern geschieht mittels eines Hammers, der bei dem Zündloche angebracht ist und durch einen Strick gezogen wird, dann auf die Zünd- oder Schlagröhre niederfällt und wieder zurückfliegt, sobald der Schuß entzündet wird. Sorgfältig verwahrt man die Oberfläche des Geschützes durch Uebersätze von Kupferblech, und es ist eigentlich ganz seltsam, wenn man sieht, wie die Todes- und Zerstörungsmaschinen gleich geliebten Kindern sorgsam gehätschelt werden, wie man sie fast in Watte packen möchte und wie die Matrosen mit einer Mischung von Stolz und Zuneigung auf die Ungethüme blicken. Besondere Kanoniere sind auf dem Chamäleon nicht, die Matrosen bedienen das Geschütz selbst. Die Munition steht zum Theil auf dem Verdeck in Kästen, welche unter der Schanze ihren Platz haben. Die Ladung für das ungezogene Geschütz befindet sich ebenfalls in dessen Nähe, und die auf einen Spiegel gesetzten, mit getheerter Leinwand überdeckten und durch Stränge gewürgten Kartätschenballen machen einen höchst unbehaglichen Eindruck auf den Beschauer.

Was befindet sich nicht Alles auf dem Deck eines solchen Schiffes! Die Dinge sehen in der Regel so zierlich aus, als dienten sie zum Spielwerk. Man betrachte nur die Handwerkskästen oder die Behälter, in denen Bürsten, Räumnadeln, Wischer, Zangen und sonstige Requisiten für die Geschütze enthalten sind; Alles ist so niedlich und sauber, als wären es Modellstückchen, dabei befindet sich an jedem Kasten ein Verzeichniß des Inhaltes, so daß man nur zuzugreifen braucht, um alle Gegenstände schnell zu bekommen, welche zur Vernichtung und Zerschmetterung des Gegners dienen können, oder die dazu beitragen, so und so Viele in das Jenseits zu befördern. Ueberhaupt macht ein Kanonenboot zwar nicht den imposanten Eindruck, welchen ein größeres Kriegs- oder eines jener gewaltigen Postdampfschiffe hervorbringt, aber jedem Beschauer drängt sich, wenn er sich auf einem Kanonenboote befindet, unwillkürlich der Gedanke auf, daß er wirklich auf einer Todesmaschine stehe, daß diese Breter, diese Planken, diese Werkzeuge nur dazu vorhanden seien, sicheres Verderben zu verbreiten, Vernichtung an die Küsten zu tragen. Bei anderen Schiffen ist neben der Bewaffnung noch ein gewisser Comfort bemerkbar, das Kanonenboot entbehrt jeder Bequemlichkeit, es ist nur geschaffen, um zu tödten, zu zerschmettern, zu vernichten.

Ein in gewissem Sinne furchtbarer Ort ist der Maschinenraum auf dem Chamäleon. Die fast tropische Hitze eines Sommertages verband sich mit dem heißen Dampfe, mit der Gluthströmung, welche die Kessel der Dampfmaschine von achtzig Pferdekraft entsendeten. Diese Temperatur einer Hölle ist in einen engen Raum gesperrt, zu dem nur ein schmaler Eingang führt. Man hatte die Windfänge hinabgelassen, um einige frische Luft in diese Räume zu bringen, allein das fruchtete nicht viel. Ein sinnbetäubender Dunst strömte uns entgegen und es gehörten sicher eine lange Zeit und ein fester Körper dazu, um den Aufenthalt in diesem Behältniß ertragen zu können. Freilich ist es wohl mehr oder weniger in den Maschinenräumen aller Dampfschiffe ähnlich so, aber die Kanonenboote sind nun einmal enger und niedriger, also ist der Dienst ihrer Ingenieure auch desto härter. Es ist ein großartiger Beruf, denn das Wohl des Fahrzeuges hängt nächst der richtigen Führung des Commandeurs zum großen Theil von der Gewissenhaftigkeit und Sicherheit der Ingenieure ab, die ihr Leben dieser harten Arbeit weihen. Man sagt, die Ingenieure der Dampfschiffe seien die Lebemänner unter der Mannschaft, sie bilden gewissermaßen die Jeunesse dorée unter dem Dienstpersonale eines Fahrzeuges; sie sollen ihre freien Stunden sehr wohl zu benutzen wissen und zuweilen sogar ein wenig über die Stränge schlagen.

Ob das so ist – ich weiß es nicht. Wenn aber die Männer der Maschine, diese Arbeiter, gegen welche die Genossen Vulcans nur Tagdiebe sind, wirklich in den wenigen freien Stunden, fern von der verzehrenden Gluth des brodelnden und dampfenden Kessels, von dem betäubenden Getöse der Maschine und dem erstickenden Dunste des qualmenden Oeles, ihr Leben dreifach zu genießen suchen, wer kann mit ihnen rechten? wer darf es tadeln? Die freie Stunde wird benutzt, die kurzen Augenblicke, in denen es diesen lebendig Begrabenen vergönnt ist, die erquickende Luft zu athmen, müssen schadlos halten für wochenlange, schwere Arbeit. Sie sind alle gut bezahlt, sind geachtete und gebildete Männer, weshalb sollen sie nach mühevollem Tagwerk nicht ihre Ansprüche an das Leben geltend machen? Mögen sie immerhin ein wenig oben hinaus sein – das Stampfen der Maschine macht alle Erinnerungen an fröhliche Stunden, an Saus und Braus zu nichte.

Noch mit unserm Weine beschäftigt, wurde zum Mittagessen gepfiffen. Wir sahen die ganze Mannschaft nach und nach unter Deck verschwinden. Außer uns befand sich nur noch der Posten aus dem Auslug oben. Dieser Mann vom Chamäleon war ebenfalls nicht zu beneiden. Nach Dienstvorschrift war er natürlich mit einem Fernrohre bewaffnet und mußte die gegenüberliegende Küste recognosciren. Was er dort sah, konnte seine Phantasie nicht besonders erregen. Die kahle Hügelreihe, die Häuser von List und einige Schiffchen am Strande, kleine Schooner, welche bei der Ebbe trocken lagen, so daß die Wagen vom Ufer aus dicht heranfuhren, um die Ladung des Schiffes einzunehmen – dies waren die Dinge, mit welchen unser Posten sich unterhalten durfte. Wir schenkten ihm einen Seufzer des Mitleidens, obwohl der Bursche an den langweiligen Beruf schon gewöhnt sein mochte, denn er stand unverrückt in glühendster Sonne auf der Schanze des Backbord und hielt sein Rohr an das Auge, als gälte es die Bewegungen einer feindlichen Armee zu verfolgen.

Unsere Unterhaltung ward durch einen Matrosen unterbrochen, der, aus der Küche heraufgestiegen, den Gästen des Chamäleon einen Teller Erbsensuppe präsentirte. Wir kosteten Jeder einen Löffel und mußten gestehen, daß uns nach dieser Prüfung das gesunde, wohlgenährte Aussehen der Leute kein Räthsel mehr war. Wir Badegäste in Westerland auf Sylt hatten solche Suppe in unsern respectiven Hotels nicht auf dem Tische. Die Leute sind überhaupt trefflich beköstigt und können sich auch über allzu harte Arbeit nicht beklagen. Ein Theil versieht den Dienst, während der andere sich mit den häuslichen Verrichtungen beschäftigt; Nachmittags sind sie mit Ausnahme der Wachhabenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 602. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_602.jpg&oldid=- (Version vom 3.10.2022)