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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

gewissenhaft aus Regenwürmern dargestellt, jetzt als Gemisch auch weiter keinen Zweck hat. Beide könnten füglich aus den Apotheken endlich fortbleiben.

Das unschuldige Wolverleikraut, dessen Blumen (Arnica) von so unschätzbarer Wirkung in vielen Krankheiten sind, muß leider dem Schwindel und Aberglauben als Brenn-, Fall-, Fruen-, Gemsen-, Melk-, Stich-, Scharbocks-, Fahlenpfots- und Wulverlingskraut und Fohlenfüße ebenfalls dienen. Auf die größtentheils unheimlichen, sämmtlich fast nur für Wundercuren dienenden Namen Knoblauchskraut, Lachenkraut, Peters-, Läuse-, Bathenzel- Kraut, Marienblätter und dergleichen – verabreicht der gute Apotheker häufig genug erklärlicher Weise was ihm gerade zur Hand ist. Viel geheimer, oft recht schauerlicher Unsinn wird dann noch mit der auch als Arzneimittel geschätzten Johanniswurzel (Wurmfarrnwurzel) getrieben, sowie auch mit der nicht mehr im gesetzlichen Arzneimittelschatz befindlichen, dagegen zu Pferdepulvern etc. vielfach gebrauchten Meisterwurzel. Beide werden abwechselnd auch als Teufelsklau, Pestilenzwurzel und Türkenblut gefordert. Den Beschluß in dieser würdigen Reihe macht das Sepienbein, welches als Walfischschuppen, Tintenfischbein, Seeschaum und Blackfischbein gekauft und zu allerhand schwer zu ergründenden Heilzwecken (außerdem aber auch zu industriellem Gebrauch) verwendet wird. Daß die Apotheker nun außerdem noch „Elephantenläuse“ - (Anacardiae – „Drachenzähne“ – Päonienkörner –, Krebssteine – Lapides Cancrorum – und den berüchtigten Stinktmarin – Stincus marinus, eine in Lavendelblüthen aufbewahrte Eidechse, – gleichsam aus Gutmüthigkeit vorräthig halten und ihren curiosen Liebhabern verkaufen, das müssen wir ihnen jedenfalls noch hoch aufnehmen.

Diejenigen von ihnen aber, die sich durch diese Darlegungen wiederum gekränkt fühlen sollten, fragen wir: Hand auf’s Herz! Ihr Herren, ist in allediesem die geringste Unwahrheit? Und noch mehr: wie lange ist’s denn her, daß Ihr noch Mumie – Mumia vera – verkauftet als Armsünderfleisch, Armsünderpulver, „Mummi und Puppi“, „Schwarte Ehr“ und „Galgentheil“, – ferner Kälberlunge und Kälberblut - Pulmonium und Sanguis hirci, als Wolfs-, Bären-, Fuchs- etc. Lungen, respective Blut – und vielerlei dergleichen ekelhaftes und unsinniges Zeug sehr bereitwillig verkauftet? Oder habt Ihr am Ende (natürlich nur um das Vertrauen der Leute nicht zu verlieren) das Alles nicht noch in den Apotheken?!

Carl Ruß.




Eine Todesmaschine auf dem Meere.
Von George Hiltl.

Wir waren, eine Gesellschaft Berliner Kinder, zum Seebade in Westerland auf der Insel Sylt. An einem schönen Julimorgen machten wir einen Ausflug nach der Nordspitze des Eilands, dem sogenannten List, wo das Dänenthum noch zahlreiche Anhänger besitzt. Es ist ein öder Haidestrich, dieses List, mit den Dünen, die es säumen, und bietet wenig Anziehendes, um so mehr interessirte uns aber die in’s Auge gefaßte Besichtigung eines Stückes preußischen Bodens, der, noch vor der Gasteiner Vereinbarung, bis nach Sylt gekommen war. Ich nenne preußischen Boden ein Schiff mit der Adlerflagge, denn nach altem richtigen Satze ist das Deck eines Schiffes gleich dem Boden des Landes, dem es angehört.

Schon einige Tage vorher war der liebenswürdige Commandeur des bei Sylt auf Peilung befindlichen königlich preußischen Kanonenbootes Chamäleon nach Seebad Westerland gekommen. Seiner Einladung, ihn an Bord zu besuchen, hatten meine Badegenossen, ein paar preußische Officiere, Folge geleistet und mich aufgefordert, die jedenfalls interessante Partie mitzumachen, worauf ich denn auch im Vertrauen auf die bekannte Freundlichkeit des Chamäleon-Commandeurs sehr gern einging. Am hohen Strande angelangt, erblickten wir in ziemlich weiter Entfernung das Chamäleon vor Anker liegend. Es sah, von hier aus betrachtet, wie ein ungeheures Krokodil oder wie ein todter Walfisch aus, in dessen Rücken mächtige Harpunen steckten. Die Boote, welche zu beiden Seiten herabhingen, glichen großen Warzen, und nur der hohe, gelb angestrichene Schornstein störte diese Vergleiche des Kanonenbootes mit den Bestien der Meeresgründe.

Das Chamäleon lag so still, so ruhig, so friedlich vor uns, von der herrlichsten Sonnenbeleuchtung in höchst vortheilhaftes Licht gestellt, es sah, um einen populären Ausdruck zu gebrauchen, so aus, „als ob es nicht fünf zählen könnte“. Ein leiser Rauch, kaum stärker, als der einer transportablen Kaffeeküche auf den Boulevards von Paris, quoll aus dem Schornstein hervor und auch das Leben an Bord schien erstorben. Freilich konnte man auch anderen Gedanken Raum geben, denn das Kanonenboot glich auch einem Todesboten, einem Leichenbitter, einer Pulverkiste, einem lauernden Drachen, dessen Kopf noch unter Wasser lag und dessen Anblick erst vollkommen schrecklich sein mußte, wenn es seinen Rachen öffnete, um Feuer und Qualm zu speien.

Einer der Herren hatte mit dem Commandeur die Verabredung getroffen, daß eine Art von Signal vom Ufer aus gegeben werden solle, sobald wir zur Ueberfahrt bereit seien, und so flatterten denn verschiedene Taschentücher vom Ufer aus. Die Wache auf dem Chamäleon bemerkte auch bald diese Winke; es ward plötzlich auf dem Decke lebendig, wir sahen einige weiße Gestalten in das Boot steigen, es hinablassen und in kurzer Zeit schoß dasselbe, mit fünf Matrosen und einem Bootsmann besetzt, pfeilschnell durch die Wogen auf die Lister Spitze zu. Wir eilten hinunter und wurden bald durch den sehr höflichen Bootsmann begrüßt. Er berichtete uns, daß der Herr Commandeur nicht an Bord, sondern am Lande sei, daß er aber befohlen habe, nach ihm zu senden, sobald wir angelangt sein würden; wir möchten daher nur immer Platz nehmen.

Mit der den Landratten auf Schiffen und Booten eigenen Ungeschicklichkeit balancirten wir uns über verschiedene Ruderbänke hinweg zu den angewiesenen Sitzen. Während ein Junge von der Besatzung des Chamäleon über die Hügel in das Dorf eilte, um den Commandeur zu benachrichtigen, musterten wir unsere Bootsmannschaft. Es waren prächtige, ausgefressene, dicke Bursche mit langen Haaren und sonnverbrannten Gesichtern. Sie trugen Arbeitszeug, d. h. leinene Hosen und Oberhemden, darunter blauwollene Hemden mit breitem, weißgerändertem Ueberschlagkragen. Auf dem Kopfe saß die runde, blaue Matrosenmütze mit schwarzem Streifen, worauf in gelben Lettern zu lesen war: Königlich preußische Marine. Einer trug auch eine Mütze mit der Inschrift: Augusta. Sie tuschelten leise mit einander. Ich weiß nicht, ob sie sich etwa auf einen Jubel freuten, der ihnen durch irgend einen faux pas der Landratten verursacht werden sollte, oder ob wir ihnen willkommene Gegenstände der Zerstreuung waren. Der Bootsmann saß am Steuer in blauer Uniform, sein breites, seidenes Halstuch in den berühmten Seemannsknoten geschlungen, was die Matrosen übrigens auch gethan hatten. An schwarzem Bande hing eine silberne Pfeife auf seine Brust herab und ein brocheartiger Gegenstand hielt das Hemde unter dem Halse zusammen. Alle waren barfuß und hatten die Aermel hochgestreift, wodurch ihnen Erleichterung in der großen Hitze und uns die Gelegenheit geboten wurde, die mannigfaltige Tättowirung auf den musculösen Armen zu betrachten, jene sonderbare Koketterie der Seeleute, sich die Arme und Hände mit eingeätzten Herzen, Zahlen und Namen zu bedecken, die in blauer oder rother Farbe paradiren, vielleicht eine aus den Inseln der Südmeere mitgebrachte Mode, von den Angehörigen wilder Stämme adoptirt.

Während wir diese Dinge betrachteten, ertönte vom Ufer her schon ein lauter, kräftiger Ruf. Der Commandeur erschien. Ein junger, kraftvoller Officier in blauer Uniform, bot derselbe das Bild eines echten Seemannes. Gebräunter Teint, die eigenthümliche Färbung der Haut, welche Arbeit, Sonnengluth und schneidender Wind erzeugen, der schwankende Gang, eine fortwährende Bewegung zwischen Laufen und Balanciren, als ob die ungewissen Breter des Fahrzeuges stets unter seinen Füßen befindlich seien,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 601. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_601.jpg&oldid=- (Version vom 3.10.2022)