Seite:Die Gartenlaube (1865) 600.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

gleichsam für einen Frevel zu halten, falls der Apotheker es wagen wollte, sie nicht zu verabreichen, selbst wenn er sie gar nicht besitzt! Betrachten wir dieß Verhältnis; indessen einmal aus anderen Gesichtspunkten – denen des Rechts, der Billigkeit und Humanität.

Dem Volke zum Heil und Segen – allein auch den Apothekern zum nicht geringen Vortheil – hat die Sanitätspolizei allenthalben den alten Olitätenkrämern, Balsamträgern etc. längst schon das Handwerk gelegt. Und hoffentlich haben wir in nicht gar ferner Zeit auch ernstlichen Schutz gegen den unheilvollen Geheimmittelkram zu erwarten. Bis dieser letztere eintritt, müssen wir an die Aufklärung uns halten, welche von verschiedenen Seiten geboten wird.

Während so nach allen Seiten hin in freudigster Regsamkeit für Licht und Wahrheit redlich gekämpft wird – wie verhalten sich da die Apotheker? Sie genießen behaglich den Schutz des Gesetzes, doch statt jetzt auch ihrerseits wacker mitzuwirken für das wirkliche Heil und Wohl der Menschheit, glauben sie vielmehr ohne die Begünstigung des Aberglaubens und der Finsternis nicht bestehen zu können, fürchten sie das Vertrauen der Leute zu verlieren, wenn sie Wahrheit sprechen und sich schnöder Unredlichkeit enthalten wollten! –

Wie wir bereits selbst zugestanden, liegt allerdings ein harter Kampf in der Aufgabe, die einfältigen Leute von ihrem Wahn und „guten Glauben“, selbst zu ihrem augenscheinlichen Vortheile, zurückbringen zu wollen; allein sollte ein solches Streben des schönen Berufs eines ehrenhaften Apothekers nicht ungleich würdiger sein, als die „Pietät“, mit welcher man derartigem Aberglauben huldigt?! Unser so schnell und hitzig von den Apothekern aufgenommener Streit ist daher von vornherein vollständig erledigt. Alle diejenigen braven und ehrenwerthen Apotheker nämlich, denen die von uns aufgedeckten Düsterkeiten der Apotheke selbst ein Gräuel sind, die froh und erleichtert aufathmen würden, wenn sie von derlei unredlichem Geschäft befreit wären, sie sämmtlich werden uns freudig zustimmen und froh darüber sein, daß endlich einmal diese Mißstände vor der Allgemeinheit aufgedeckt und dadurch ihre Abhülfe doch mindestens vielleicht ermöglicht worden. Alle übrigen aber mögen uns erst beweisen, daß wir auch nur im Geringsten den Boden der Thatsachen verlassen haben. Ja, sie mögen uns auch nur nachweisen, daß wir durch das Aufdecken dieses Apothekenzopfthums ihr pecuniäres Interesse in bedeutendem Grade gefährden – während wir doch dem armen leidenden gar manchen sauer erworbenen Pfennig dadurch zu ersparen hoffen dürfen!

Nehmen wir jetzt noch die Reihe der eigentlichen Wunder- und Zaubermittel unseres Volkes kurz durch. Wohlgemerkt verstehen wir darunter nur solche, welche ausschließlich zu mystischen Zwecken gebraucht werden und sich sonst als Heilmittel oder dergleichen keinerlei Anwendung erfreuen. Unter ihnen obenan steht der Teufelsdreck oder Asa foetida. Daß derselbe als ein sehr heilkräftiges Arzneimittel von den Aerzten gebraucht wird, ist wohl allgemein bekannt. Als Volksheilmittel dagegen findet er im rohen Zustande keine andere Verwendung, als zum Räuchern bei Zauber- und Wundercuren. Er wird dann unter den Bezeichnungen Stinkasand, „Wat vom Schwarten“ oder Teufelsdreck gefordert. Hier und da gegen krampfige Leiden einzunehmen, meistens aber auch zum düsteren Gebrauch, wird die Tinctur unter dem Namen Teufelsdrecks-, Stiefelknechts- oder Knoblauchstropfen gekauft. Der menschenfreundliche Apotheker sollte also stets die Leute nach dem Wozu fragen, ihnen den Aberglauben auszureden suchen oder beim Gebrauch als Hausmittel für Menschen oder in der Viehheilkunde nur die Tropfen oder den gereinigten Stinkasand verabreichen. Dieser letztere, der in den beiden genannten Fällen oft zu Klystieren etc. verwandt wird, muß möglichst in der Kälte und in einem Metallmörser sehr fein gepulvert, mit Eigelb angerührt und dann mit der wässerigen Flüssigkeit, Thee oder dergleichen abgequirlt werden. Anders läßt er sich nicht damit vermischen. Um daher nicht den Verlust der sehr heilkräftigen Wirkung zu erleiden, sollte man ihn stets nur von Sachverständigen, am besten in der Apotheke, zubereiten lassen.

Ihm schließen sich der schwarze oder Kreuzkümmel und Schackerell als die gebräuchlichsten Räucherzusätze an. Der erstere, außerdem unter den Namen Kreuzkörner, Teufelskörner und Satanssaat gekauft, ist längst aus den Verzeichnissen sämmtlicher Heilmittellehren gestrichen und dient nur noch dem Moloch des Aberglaubens, um dem Einfältigen sein Geld aus der Tasche zu locken. Die Casearillenrinde wird von den Aerzten in verschiedenartigen Arzneimitteln bei Durchfällen und Magenschwäche verordnet. Als Volksheilmittel findet sie nur selten noch als Fiebermittel Gebrauch, sonst nur zu jenen Teufelsräuchereien. Man fordert sie noch unter den Namen Chakrill, Schakerill, Schikrill, Schabrell und Schakerillenbork.

Ein außerordentlich geschätztes Wunderheilmittel ist der Allermannsharnisch, welcher noch unter den Bezeichnungen „Adam und Eva“, Erunsih, „Allermenschenärgerniß“, „Er und Sie“, „Kurz und Lang“, Siegmars-, Siegwars-, Sieg- und gemeine Schwertelwurzel sehr häufig gekauft und bei Menschen und Vieh gebraucht wird. Der Apotheker hält dem Volke zuliebe zweierlei: Radices victoriales longae et rotundae, also eine lange und eine runde Wurzel des lilienartigen Gewächses, welche aber aus dem Arzneimittelschatz längst verbannt sind und auch als Haus- oder Volksheilmittel fast keinerlei Gebrauch finden, sondern eben nur zu mystischen Räuchereien, Bähungen etc. dienen. Um des lieben Aberglaubens willen werden sie indeß auch den Menschen und Thieren eingegeben. Außerdem wird ein geheimnißvolles Gemisch von ihnen, nebst mehreren der vorerwähnten, in einem Säckchen im Stall vergraben oder an die Krippe genagelt – gut gegen Zaubereien allerlei Art.

In außerordentlichem Ansehen steht auch, namentlich bei den unwissenderen Juden, das Dürrwurzkraut. Wie bei dem vorigen Wundermittel ist auch bei ihm von keiner besonderen arzneilichen Wirkung die Rede, und der Apotheker muß es ebenso nur des leidigen Aberglaubens wegen halten und verkaufen. Seine Volksthümlichkeit und seine Anwendung gehen ebenfalls aus seinen zahlreichen Namen hervor; es wird gekauft als Berufungs-, Beschrei-, Glied-, Grind-, Scheer-, Verwasch-, Zielken-, Ziesken-, Zeisig-, Zeischen- und Wergenkraut, Neunkraft, Scharfkräutig und Ziest. Möchte doch endlich, namentlich in Bezug auf diese beiden letzteren durchaus werth- und zwecklosen Stoffe, einmal Aufklärung und Licht in die Massen dringen, damit sie nicht noch immerzu ihr Geld dafür hinauswerfen. Allen Lehrern auf dem Lande sei die Belehrung hierüber vorzugsweise warm und dringend an’s Herz gelegt.

Sehr wichtig, als Mittel des Aberglaubens, ist ferner die Zaunrübenwurzel, auch als Alraun und Alrunke, uralten, mystischen Andenkens gefordert. Sie hat für den Kaufenden durchaus keinerlei Werth. Die bei Wechselfiebern etc. in Arzneimischungen nur noch selten gebrauchte Nelkenwurzel dient ebenfalls zu argem Mißbrauch, indem sie als Teufelsabbiß- und Benedicterwurzel zu mystischen Zwecken verabreicht wird. Hier und da, aber wohl selten, hält man in den Apotheken auch noch die eigentliche Succisa oder Teufelsabbißwurzel, Morsus diaboli. Daß die jetzt endlich aus dem Arzneimittelschatz gemerzte, weil völlig werthlose Mistel gleichfalls zu Wundercuren dient, ist ziemlich bekannt, weniger aber wohl, daß auch mit dem in der That heilkräftigen Cardobenedictenkraut, unter all den Namen: Gesegnete Distel, Tutzthee, Trutzthee, Bitterdistel, Cardictenkraut, „Ochs wie Du“, und Cactus pinnititus, viel Unsinn getrieben wird. Wir führen dies nur beiläufig auf, während wir hier fast alle wirklichen Haus- und Arzneimittel sorgfältig fern lassen, um zu zeigen, wie man auch gute Stoffe in Mißbrauch gezogen hat.

Ein höchst gefährliches Wundermittel ist der als Dolldill, Dollsamen, toller Dill und Dulldill geforderte Bilsenkrautsamen. Glücklicher Weise darf er aber nicht verkauft werden; die Liebbaber empfangen daher unschuldigen Dill-, Petersilien- oder anderen Samen. Zur Abwechselung giebt sich der Apotheker auch wohl einmal die Mühe, dem Volksglauben durch ein expreß bereitetes Präparat zu huldigen. Es ist dies ein ekelhaftes Gemisch aus stinkendem Thieröl (Oleum animale foetidum) und Leinöl, das unter den Namen Schwalben-, Schwülken-, Ziegel-, Ziegelstein-, Sehnenzieh-, Brand- und Dichterstein-Oel und sogar unter dem stolzen Namen Oleum Philosophorum verkauft wird. Wenn seine Wirkung auch für die meisten Fälle gleich Null anzuschlagen ist, so wollen wir es doch allenfalls als Volksheilmittel, namentlich in der Thierheilkunde, gelten lassen. Ihm schließt sich das ähnliche Regenwurmöl an, welches unter den Namen Merken-, Melken-, Pirats- und Sproßöl ebenfalls viel geholt wird – und, früher

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 600. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_600.jpg&oldid=- (Version vom 3.10.2022)