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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

aus der Mode; jüngst schrieb sogar ein Unterländer unter sein Bild an die Brunnensäule:

Heiliger Florian,
Du saggrischer Schwanz,
Wir brauchen di nimmer,
Wir hab’n d’ Assecuranz.

So brachte die Feuerassecuranz unsern Heiligen um sein Amt! Das thut aber nichts, dafür wurde unlängst der Jesuit Canisius canonisirt; vielleicht erkürt man ihn als Vorkämpfer gegen den Protestantismus zum Patron der alttirolischen Glaubenseinheit, und dann wird erst unser Herrgottschnitzer zu thun kriegen!

Doch Scherz bei Seite!

Der Frühling lächelt durch die Scheiben der dumpfen Kammer, unser Meister putzt sich, ladet Schüsseln und Knospen auf einen Karren und fährt zu Markt. Die Waare ist bald verkauft. Das Bimmeln der Heerden erinnert ihn an großartige Unternehmungen. Er füllt Körbe mit prächtig angestrichenen und lackirten „Herrgotten“; einen davon packt er, den andern die Tochter auf den Rücken, so schreiten sie am Bergweg, er rechts, sie links. Nun wandelt er von Alm zu Alm, denn Mensch und Vieh braucht Schutz gegen Hexen und Teufel. Daher befestigt man an der Thür ein Crucifix oder nagelt es an eine weithin sichtbare Schirmtanne, bisweilen bietet auch eine Felsennische Gelegenheit, etwas Heiliges anzubringen. Ja wenn der Alte nur mehr Hände hätte, um genug „Herrgotte“ und „Muttergottessen“ zu machen! Nicht selten lernen diese Meister auf ihren Kunstfahrten das Schnapseln und kehren dann zum Verdruß der Weiber als rechte „Branntweinzapfen“ heim. Ich kannte einen solchen. Als er von der Alm zurückkam, fand er seine Alte in Noth und Elend todt. Er schnitzte das Kreuz für ihr Grab so schön wie er konnte. „Es ist das letzte Kreuz, das ich ihr mache!“ sagte er zu mir und wischte eine Thräne ab.

Doch genug von diesen Dingen.

Schließlich erwähnen wir, daß Tirol außer den Herrgottschnitzlern und Tuifelmalern eine große Anzahl echter, tüchtiger Künstler besitzt: Knoller, Koch und Knabl darf man überall mit Ehren nennen.

* r.




Ausplaudereien aus der Apotheke.
2. Des deutschen Volkes Wunder- und Zaubermittel.

Wie, wird man kopfschüttelnd fragen, in unserer aufgeklärten und so hochstrebenden Zeit, sollte da wirklich solche Finsterniß noch herrschen, sollte man da wirklich noch den Glauben an Zaubereien und dergleichen im Volke finden? Es sei von vorn herein daran erinnert, daß wir nur Thatsächliches schildern – und nun führen wir, als Antwort auf diese Frage, die Leser hinaus in die Wirklichkeit des täglichen Lebens.

Dort, am Ende eines Dorfes, steht eine einsame kleine Hütte. Dorthin wallen Jahr aus, Jahr ein Leidende und Hülfesuchende aller Art in ganzen Schaaren. Treten auch wir mit jener krankhaft aussehenden, matt daherschleichenden Frau zugleich hinein. Man ladet uns zum Sitzen ein. Der Mann ist noch nicht anwesend, er ist nach dem Walde gegangen, um Kräutlein zu sammeln, oder nach der Apotheke, um Arzeneien zu holen, wird uns gesagt. Inzwischen setzt sich seine Frau zu der Patientin und fragt, wie unwillkürlich in herzlichster Theilnahme, ihr die ganze Krankheitsgeschichte ab. Dann endlich kommt auch der Mann, mit Mütze und Stock, anscheinend von einer weiten Wanderung, und nachdem er die Leidende scharf angesehen und ihren mitgebrachten Urin prüfend gegen das Licht gehalten, erzählt er der staunenden und mit jedem seiner Worte natürlich immer gläubiger werdenden Frau den ganzen Verlauf und alle möglichen Erscheinungen ihrer Krankheit haarklein. Er hat nämlich hinter einer dünnen Breterwand im andern Zimmer gesessen und das ganze Examen mit angehört. Eine solche „Allwissenheit“ aber giebt natürlich von vorn herein Ruf und unbegrenztes Vertrauen, und die glänzendsten Erfolge seiner Curen bleiben nimmer aus.

Dies wiederholt sich, natürlich in zahllosen Variationen, fast in jeder Gegend; je ärmer eine solche, desto allgemeiner ist erklärlicher Weise der Glaube an den ländlichen Wunderdoctor und desto ärger werden die einfältigen armen Leute von demselben ausgebeutelt. Ohne allen Zweifel dürfen wir mit vollster Gewißheit annehmen, daß mindestens einen solchen Wunderthäter in einem Dorfe oder einer kleinen Stadt (ja in den großen Städten meistens erst recht) jeder Landstrich unseres großen deutschen Vaterlandes ohne Ausnahme noch jetzt in unserer gepriesenen Gegenwart aufzuweisen hat.

Greifen wir nur einige dieser thatsächlichsten Beispiele heraus. In meiner Heimath, einem freundlichen, aber armen Theile Westpreußens, trieb ein Mann, Namens Voß, viele, viele Jahre lang ganz unangefochten sein Unwesen, bis ihn endlich der Tod vor Kurzem zur Rechenschaft zog. „Er hatte einst einen jungen Teufel eingefangen, denselben mit der Zunge an die Krippe seines Pferdestalles genagelt und ihn vermittelst seiner Zaubermittel so gebannt, daß er ihm völlig zu Gebote stehen mußte.“ Das war es, was man, halb Scherz, halb Ernst, von ihm munkelte. Seine Verordnungen, die er stets doctormäßig auf Zettel schrieb, rechtfertigten übrigens eine solche Annahme in der That. Die Leute erhielten ein Gemisch aus Asa foetida (Teufelsdreck), Kreuzkümmel, Schackerell (Cascarillenrinde), Weihrauch, Myrrhen, Lorbeeren etc. zum Räuchern, welches einen wahrhaft pestilenzialischen Duft aushauchte; dem entsprechend waren auch seine übrigen innerlichen und äußerlichen Mittel nach dem goldenen Wahlspruche aller derartigen Heilkünstler: „Schlimm muß Schlimm vertreiben.“ Die Gegend von Schlochau in Preußen machte eine Frau unsicher (und wenn wir nicht irren, prakticirt sie noch jetzt in vollster Glorie), die vermittelst eines uralten Doctorbuches sich einen solchen Ruf erworben, daß sie viele Meilen weit sogar zu den „gebildeten“ Gutsbesitzern geholt wurde. Der biederbe, reiche Oderbruch hat ein Schneiderlein aufzuweisen, dessen zahllose Sympathie- und Wundercuren sich nur auf eine Substanz basiren – freilich aber auch auf eine gar gewichtige: auf den schon unseren Altvorderen geheiligten Mistelzweig. In Posen, namentlich um Bromberg, erntete ein hochbetagter katholischer Pfarrer bis an sein unlängst erfolgtes seliges Ende wahrhaft staunenswerthe Erfolge in Heilung von Weichselzopf- und zahlreichen anderen dort leider nur noch zu allgemein einheimischen Schmutzkrankheiten. Ob er, wie sein ersterwähnter Genosse, ebenfalls durch Beelzebubs Hülfe die Teufel austrieb oder vielmehr den Engel der Reinigung walten ließ, das vermögen wir nicht näher anzugeben. Seine Verordnungen bestanden gleichfalls meist in sehr mystischen Heilmitteln. Solcher Fälle könnten wir – und mit uns ganz gewiß zahlreiche Leser – noch gar mannigfache aufzählen, und bei ihnen allen, ohne Ausnahme, steht das fest, daß die betreffenden Wunderdoctoren stets erkleckliche Geldsummen zusammenraffen – während ihre ausposaunten Heilerfolge, am Lichte der Wahrheit besehen, regelmäßig in das kläglichste Nichts zerfallen.

Was aber in aller Welt hat dies Alles mit der Apotheke zu thun? Verzeihen Sie, meine freundlichen Leser, wir gelangen jetzt eben zu einem inhaltschweren Vorwurf, den wir den Apothekern auch hier wieder machen müssen. Ein wahrhaft ungeheurer Sturm hat sich gegen uns erhoben, ein Sturm von Einwänden gegen das „Unrecht, das wir den Apothekern angethan“. Unter allen diesen der am häufigsten wiederholte und allenfalls berechtigt erscheinende ist folgender: „Da das deutsche Apothekerthum, im schroffen Gegensatz zu jedem (?) ausländischen, an Sicherheit und Billigkeit (?) seinen Patienten unendliche Vortheile bietet, so ist ein gesetzmäßiger Schutz (Privilegium?) für dasselbe nicht blos durchaus billig und nothwendig, sondern es muß dem Apotheker auch freigestellt sein, zum Heil des Publicums (oder doch wohl mehr zum Nutzen des Apothekers!) alle diejenigen Forderungen und Wünsche nach seinem Ermessen zu befriedigen, welche in alt- und tiefwurzelndem Glauben ihren ‚wohlberechtigten‘ Grund haben.“ Ja, man geht soweit, diese alt-ehrwürdigen Volksheilmittel im Heiligenschein der Pietät zu betrachten und es also

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