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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

von dem Urteilsvermögen der höher organisirten Thiere, namentlich der Pferde, hege.

In besonderem Bezug auf die Gespanne unserer Diligence, welche sich von Station zu Station immer gleich, oft bis zum Verwechseln gleich blieben, hatte ich im Verlauf der Fahrt noch häufig Gelegenheit, Belege dafür zu finden. Fast ausschließlich hatten wir Hengste und zwar junge feurige Thiere vorgehängt; oft kam es nun, daß wir an Stationen hielten, woselbst vieles Karrenfuhrwerk sich versammelt hatte, dessen Anblick malerisch genug war. Vor den hochräderigen, langbäumigen Karren mit ihrer segeltuchbedeckten Ladung gingen oft sechs bis acht Pferde und zwar eines hinter dem anderen gespannt, meistens ungeheuere Ardenner Stuten, deren riesig hohe Kummete mit glänzenden Messingstollen, metallenen Kämmen, Glöckchen, Muscheln und anderen Zierrathen, darunter besonders in die Augen fallend scharlachrothe befranzte Wollenschärpen, geschmückt waren. Mitten in diesem Gewühl standen unsere Hengste wie die Lämmer ohne jegliche Aufsicht, bis endlich ein kleiner, barfüßiger Junge daherkam und die vier Kolosse mir nichts dir nichts kategorisch in den Stall zog. Später habe ich bei großen Volksfesten in der Umgegend von Paris die Pferde der Gensdarmen, gleichfalls meistens Hengste, welche derselben Race angehören, eben so fromm und artig gesehen; im dichtesten Gewühl der Menschenmenge, von dieser gestreift und gestoßen, standen sie, ohne sich zu rühren, und ließen naseweise Gamins gemüthlich unter ihrem Bauche durchkriechen. Es ist, als gäbe das Bewußtsein der unwiderstehlichen Kraft diesen edlen Thieren die Milde und Frömmigkeit ihres Charakters. Und darin ist das Percheronpferd fast einzig in seiner Art. Denn aus der Perche, einer Landschaft nördlich der Seine, stammen die Pferde der Diligencen und der Gensdarmen, und Frankreich besitzt in ihnen eine Arbeitsrace, um welche andere Länder es beneiden. Erst neuerdings ist man auch im Ausland auf ihren Werth aufmerksam geworden, und die Bemühungen, welche man gegenwärtig in Deutschland macht, um sie einzubürgern, sind es, die mir meine Fahrt auf der Diligence und das kleine Abenteuer derselben in’s Gedächtniß zurückgerufen haben.

In der That sieht man bei uns jetzt von Jahr zu Jahr mehr Percherons verwendet, vorzugsweise zum Lastfuhrwerk und im Ackerbau. Es fehlt in Deutschland entschieden an einem kräftigen Pferdeschlag für die Arbeit, weil alle bisherigen, von den Regierungen geleiteten oder begünstigten Züchtungsbestrebungen entschieden das Interesse der Cavalerie weit mehr zum Ziele hatten, als dasjenige der Production und des Verkehrs. „Der Bauer braucht keine Pferde, für den sind Ochsen gut genug!“ hat bekanntlich jener X’sche Gestütsdirector der Deputation um Reform geantwortet. Indessen zwingt die Nothwendigkeit zur Selbsthülfe, und so sehen wir gegenwärtig neben der Bewegung zu Gunsten des britischen Vollbluts durch die Rennen eine zweite – jedenfalls berechtigtere – in der deutschen Pferdehaltung für die Einführung der Arbeitspferderacen. Frankreich liefert von denselben in erster Reihe die Percherons, in zweiter die leichteren Normannen und die ungefügen Ardenner; Großbritannien concurrirt mit den Suffolks und Clydesdales. Das britische Fleischerpferd, das man vor den Karren der Hauptstadt bewundert, ist eine Merkwürdigkeit, aber kein Gebrauchsthier.

Welchen Werth man schon gegenwärtig in Deutschland auf die Percherons legt, davon gaben die diesjährigen großen Ausstellungen zu Stettin und Dresden redendes Zeugniß durch die Zahl und die Schönheit der daselbst aufgestellten Exemplare ihrer Race. Eines der edelsten darunter, der wahre Typus der Prachtrosse der Perche, ist der Schimmelhengst Diamant des Gutsbesitzers Nathusius in Meyendorf (Provinz Sachsen), dessen höchst gelungene Abbildung wir dem Leser vorführen, um ihm einen Begriff zu geben von dem imposanten Eindruck, welchen ein solches schönes Thier in der Action auf Jeden, selbst den nicht Sachverständigen, hervorbringt. Dieses Bild der unbewußten Kraft, der höchsten Entwickelung thierischer Stärke in ansprechender Form erinnert unfehlbar an die Darstellungen des Herkules in der Antike. Dem Diamant ist in Dresden der erste Preis zuerkannt worden, wie er denselben auch schon 1863 auf der großen internationalen Ausstellung in Hamburg erhalten hat. Das auf unserem Bild dem Schimmelhengst folgende, sich bäumende Pferd ist der fünfjährige Suffolk-Hengst Crisp des Herrn von Jagow in Crüden (Altmark), welcher gleichfalls in Dresden und Hamburg prämiirt worden ist. Die Suffolks – meist Kohlfüchse mit gelben Mähnen – sind noch gedrungener, stuffiger, als die Percherons, und sollen die letzteren an Ausdauer im weichen Boden – also beim Ackerbau – übertreffen, stehen ihnen aber nach an Gelehrigkeit und Frömmigkeit. Durch Kreuzungen dieser kräftigen Ausländer mit dem deutschen Landschlag könnte man letzteren leicht veredeln und so mit der Zeit das schwere Gebrauchspferd züchten, an dem es Deutschland noch entschieden fehlt. Bei der Ausstellung zu Dresden, welcher unsere Erinnerung und das dazu gehörige Bild die Entstehung verdanken, zog die Musterung jener gewaltigen Hengste stets das größte Publicum an, welches nicht müde wurde, seine Bewunderung zu äußern. Sogar die Vollblut-Araber und Engländer, die Orloff-Traber und Trakehner errangen weder den Beifall, noch die Aufmerksamkeit und – Kauflust, deren sich jene zu erfreuen hatten.

Ich bin etwas abgekommen von meinem Wege: aus der französischen Diligence auf der großen Heerstraße durch Lothringen und die Champagne nach dem deutschen Florenz an der Elbe. Aber diese Association der Gedanken und Oertlichkeiten ist erklärlich und entschuldbar durch den Gegenstand, der sie vermittelt hat, und das sind die Percheron-Pferde; denn so oft ich sie sehe, die edlen, geduldigen Riesenthiere mit ihren runden Formen, so muß ich unwillkürlich gedenken der heiteren Tage und sonnigen Nächte auf der Diligence.




Die Judengasse in Frankfurt a. M. und die Familie Rothschild.
Von G. L. Kriegk.
(Schluß.)
Die neue Judengasse. – Die verbundenen Keller der Judenhäuser. – Ursprung vieler jüdischer Familiennamen. – Börne’s Geburtshaus. – Das Stammhaus der Familie Rothschild. – Amschel Moses Rothschild und Maier Amschel Rothschild. – Gründung seines Geschäfts. – Seine Frau Gutta Schnapper. – Erstes Begegnen Maier Amschel’s mit dem Landgrafen von Hessen-Kassel. – Die Geldlieferungen an das in Spanien kämpfende englische Heer. – Maier Amschel’s fünf Söhne.

Ungeachtet der größeren Breite, welche man nach dem Brande von 1711 der Judengasse gegeben hat, ist diese noch immer enge und düster, da die dreistöckigen und mit hohen Giebeln versehenen Häuser auch damals wieder dicht an einander gebaut worden waren. Erst in den drei letzten Jahrzehnten hat die Judengasse ihren finsteren und beengenden Charakter verloren, weil eine beträchtliche Zahl von Häusern ihrer Baufälligkeit wegen durch die städtische Behörde zum Abbruch verurtheilt wurde und das Einreißen derselben auf beiden Seiten der Gasse mehr und minder große Lücken geschaffen hat. Dadurch hat sie endlich auch den ihr früher mangelnden Luftwechsel erhalten. Neuerdings hat die Judengasse auch darin eine wesentliche Aenderung erlitten, daß jetzt etwa die Hälfte ihrer Bewohner aus armen Christen besteht.

Die Häuser sind, mit Ausnahme eines einzigen, des sogenannten steinernen Hauses, aus Gebälk mit Fachwerk erbaut. Wegen ihrer großen Schmalheit und Tiefe sind die meisten im Inneren fast dunkel. In manchen von ihnen hatte man früher, aus Furcht vor Verfolgungen und Plünderungen, keine zum Dachstuhl führende Treppe, sondern statt derselben war eine Leiter angebracht, welche der unter das Dach Fliehende hinter sich hinauf ziehen konnte. Aus dem gleichen Grunde war in manchen Häusern der Keller mit dem des Nachbarhauses durch eine Thür verbunden, welche gewöhnlich durch einen vorgestellten Schrank verdeckt war und im Nothfalle die Flucht in den nächsten Keller, sowie aus ihm in mehrere andere ermöglichte. Diese Einrichtung kam vor etwa vierzig Jahren zu Tage. Als nämlich im Fuldaischen viele Hirschgeweihe gestohlen worden waren und die Frankfurter Polizeibehörde die Anzeige davon erhalten hatte, ordnete diese an den

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