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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„War denn Friederike schön?“

„Na, ob die schön war! Das will ich meinen … Du kennst sie ja, es ist die jetzige alte Frau Räthin Bauer. Man sieht freilich jetzt nichts mehr davon; sie hat ein ebenso runzeliges Gesicht, wie ich auch – junge Springer, alte Stelzner – lautet das Sprüchwort; aber damals, ja damals! … Ich habe sie einmal gesehen, wie sie zu einer Hochzeit ging, und das habe ich mein Lebelang nicht vergessen können. Da hatte sie ein steifseidenes Kleid an, das war blau wie der Himmel; es schleppte hinten lang nach und rauschte entsetzlich, und die ganze hohe Frisur war mit Rosen besteckt, frisch vom Stock, wie sie im Garten gewachsen waren. … Ach ja, ich weiß noch, dazumal war’s mit dem Leberecht nahe am Ende. Ich wollte ihm noch eine kleine Freude machen und setzte mich an sein Bett und erzählte ihm vom Hochzeitszug und von Werner’s Friederiken, die er doch so gut kannte – wie lustig und stolz sie ausgesehen hatte und was für ein stattlicher Herr sie führte. … Da machte er mir aber ein Paar Augen, die vergeß’ ich in meinem ganzen Leben nicht – nachher steckte er den Kopf tief in’s Kissen, und am anderen Morgen ist er gestorben. Ich mein’ immer, er hat da noch einmal an den vielen Aerger gedacht, den er mit dem bösen Jungen gehabt hat.“

Magdalene sah tiefbewegt auf die alte Frau, die so ahnungslos und ruhig erzählte, wie sie dem über Alles geliebten Bruder unwissend den letzten Todesstoß beigebracht hatte. Während ihrer Erzählung hatte die Alte die Brille aufgesetzt und einen schadhaften Strumpf auf die linke Hand gestülpt, dem sie wacker mit Nadel und Faden zusetzte.

„Die Friederike hat nachher den Rath Bauer geheirathet,“ fuhr die Seejungfer in ihren Mittheilungen fort, „und es ist dazumal ein Gesperr in der Stadt gewesen über den vornehmen Bräutigam, daß kein Kaiser und kein König neben ihm auskommen konnte. Aber Hochmuth kommt vor dem Falle, und man soll den Tag nicht vor dein Abend loben. Der Herr Rath hat kein Geld in der Hand leiden können – es mußte Alles hinaus, und wie er gestorben ist, da war nichts mehr zu finden, und in der Friederike ihrem großen Geldkasten, da hielten die Mäuse Kirchtag… Dazu kam nun noch das Unglück, daß ihre Tochter im ersten Kindbett starb, und ihr Tochtermann, weil er schlechte Streiche gemacht hatte, davonging. Dazumal hat sie mich gedauert – aber alle das Schicksal hat sie nicht mürbe gemacht; sie hielt sich strack und steif wie immer, und in den Trauerkleidern hat sie eben nicht anders ausgesehen, als vorher auch.“

„Ihr Enkelkind, die Antonie, kenne ich wohl von der Schule her,“ sagte Magdalene, und um ihre Lippen glitt ein herber Zug. „Sie saß immer so steif eingeschnürt in den tadellos gehaltenen Kleidern auf ihrem Platz, und ihr gelbes Haar war so glatt an die Schläfe gestrichen, daß es wie ein Spiegel glänzte. Sie that unendlich vornehm, so daß die anderen Kinder mit einer wahren Ehrfurcht zu ihr aufsahen… Ich haßte sie, denn sie hinterbrachte stets dem Lehrer die kleinsten Vergehen, die in der Classe vorkamen, und konnte so zufrieden lächeln, wenn recht harte Strafen zudictirt wurden. Es empörte mich, wenn sie uns auch noch als Muster eines wohlgesitteten Kindes vorgestellt wurde.“

„Ja, Lenchen, das ist nun einmal der Welt Lauf. Zu meiner Zeit war’s gerade so, da waren die Rathstöchter auch immer die gescheidtesten und die besten – das muß wohl so in der Art liegen… Das kannst Du mir aber glauben, wenn die Frau Räthin ihren Bruderssohn, den jungen Herrn Werner, nicht hätte …“

Ein Klopfen an der Thür unterbrach sie, und viel eher hätte sie wohl des Himmels Einsturz erwartet, als das, was sie sah. Der junge Mann, dessen Name noch halb auf ihren Lippen schwebte, trat, sich tief unter der niedrigen Thür bückend, in das Stübchen und bat, nachdem er freundlich gegrüßt, um den Schlüssel zu der Liebfrauenkirche, den, wie er höre, die Jungfer Hartmann seit letzterer Zeit in Verwahrung habe.

Die Seejungfer knixte und riß ihre gläsernen Augen weit auf; das junge Mädchen aber schrie diesmal nicht, wie vor einigen Tagen auf dem Thurm; sie machte auch keine Bewegung, um fortzulaufen – langsam erhob sich ihre schlanke Gestalt vom Stuhle, ja, es sah fast aus, als wüchse sie zusehends. Ihr Gesicht war schneeweiß geworden bis in die festgeschlossenen Lippen; aber in ihren Augen, die sie auf den Eintretenden richtete, funkelte es wie ein zorniger Blitz.

Während die Seejungfer in die anstoßende Kammer eilte, um den begehrten Schlüssel zu holen, näherte sich Werner Magdalenen. Die Abendsonne fiel in dem Augenblick auf seine Züge – sie waren wie von Marmor, so edel, fest, aber auch so ruhig und so kalt. Er schien das Zurückweisende in der ganzen Haltung des jungen Mädchens nicht zu bemerken und sagte höflich:

„Ich habe Sie neulich erschreckt, wie ich mit Bedauern sehen mußte.“

„Ich hatte eben Herrliches geträumt und war nicht darauf vorbereitet, einen Menschen zu sehen.“

„Es ist traurig, so unsanft geweckt zu werden.“

„Ich bin mit Enttäuschungen vertraut, seit ich denken gelernt habe.“

„So jung – und schon so bitter?“

„Erfahrungsreich wollen Sie sagen.“

„Nein, das wollte ich durchaus nicht sagen; ich müßte denn diese Erfahrungen doch erst kennen – von Ihrer Vergangenheit aber weiß ich sehr wenig.“

„Es ist auch der Mühe gar nicht werth, sie näher zu besichtigen.“

„Wenn ich mir nun aber doch diese Mühe nehmen wollte?“

„So würden Sie alsbald finden, daß Sie schon viel zu lange mit mir gesprochen haben.“

„Ich könnte in diesem Augenblick leicht in den Fall kommen, Ihre Bitterkeit für Unhöflichkeit zu halten, die mir die Thür weist.“

„Wenn Sie vielleicht wissen, daß ein armes, unbedeutendes Mädchen auch Tact haben kann, so brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen, daß eine solche Unhöflichkeit in diesem Augenblick nicht denkbar ist.“

Magdalene hatte während dieses Gespräches die linke Hand auf den Fenstersims gelegt. Sie stand halb abgewendet und bog nur den Kopf stolz nach dem Sprechenden zurück. An das, was er sagte, reihte sich ihre Antwort stets wie ein Blitz; nur ihr Auge und ein jäher Farbenwechsel auf den Wangen verriethen ihr rasches Denken, ihre innere Bewegung, sonst blieb das Gesicht völlig ruhig.

Die Seejungfer war indessen ängstlich hin und her getrippelt, dann und wann einen scheuen Blick auf die Sprechenden werfend. Magdalenens Haltung, ihre kurzen Antworten wollten ihr ganz und gar nicht gefallen. Wo, in aller Welt, nahm dies junge Ding den Muth her, dem Herrn, der so vornehm und in so seinem Rock vor ihr stand, so knapp und bündig auf Alles, was er sagte, zu dienen? Die unglückliche alte Jungfer verstand von dem, was gesprochen wurde, nicht ein Wort. Es summte um ihre Ohren, bis das verhängnißvolle „die Thür weisen“ ihr plötzlich Licht über Lenchens unseliges Beginnen verschaffte. Sie verließ eiligst das wohlthätige Dunkel hinter dem Kachelofen, das sie soeben aufgesucht, und sagte mit einem Anflug von Strenge, der aber sehr kläglich ausfiel:

„Ja, Lenchen, was fällt denn Dir ein, daß Du so grob bist mit dem Herrn?“

„Beruhigt Euch, Jungfer Hartmann,“ sagte Werner, gelassen lächelnd, während er das große, blaue Auge auf Magdalene richtete. „Ich bin so eine Art Schatzgräber und lasse mich nicht so leicht zurückschrecken, wenn es sich darum handelt, Gold zu finden.“

Du lieber Gott, der sprach ja fast noch verwirrter, als das Lenchen! … „Ein Schatzgräber“ hatte er gesagt, einer der’s mit der schwarzen Kunst hielt! … Arme Seejungfer! ihr wirbelte der Kopf, und sie zog sich schleunigst in ihr Versteck zurück, denn ihre Prüfung war noch nicht am Ende.

„Wenn Sie Gold suchten, mein Herr,“ nahm Magdalene das Wort, und ein ironischer Blick glitt über das enge Stübchen mit der verräucherten Decke und den getünchten Wänden, „so werden Sie sich nun wohl überzeugt haben, daß Ihre Wünschelruthe den Ort schlecht angezeigt hat… Indeß, die Sage wird Ihnen vielleicht nicht unbekannt sein, daß dies Kloster unterirdische Gänge hat, in denen die zwölf Apostel, massiv von Silber, versteckt liegen, bis ein glücklicher Finder sie an’s Tageslicht bringt. … Wenn ich Ihnen rathen dürfte …“

„Ich danke Ihnen für den freundlichen Wink. Da ich jedoch bis jetzt nicht den mindesten Appetit nach diesen todten Schätzen hege, so werde ich mich an den Apostel halten, in dessen wundervoller Lehre mir ein neues Leben aufgeht, der zu allen Zeiten die Welt durchstreift und liebliche Botschaft bringt. Er entzündet plötzlich ein strahlendes Licht in den armen Menschenkindern, die bis dahin in Blindheit wandelten.“

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