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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

derjenigen eines Pferdes ähnelt, links und rechts auf dem Wasser schwimmt und die Farbe des Körpers, vielleicht etwas lichter hat. Die Fischer haben eine große Furcht vor dem Thiere, das fast alljährlich, aber nur in den Hundstagen, gesehen wird, so daß sie sich zu dieser Zeit, besonders bei stillem Wasser, nur mit Asa foetida in den Taschen auf die See begeben, weil das Thier den Geruch dieser Substanz scheuen soll.

So weit gehen etwa die thatsächlichen Angaben. Was sonst erzählt wird, ist eitel Fabel, Uebertreibung und Einbildung; die Jagdgeschichten des Continents werden in den norwegischen Seeplätzen durch Fischer- und Schiffergeschichten ersetzt. Aber etwas Thatsächliches muß doch dem Dinge zu Grunde liegen, sonst könnte eine solche Uebereinstimmung nicht vorhanden sein. Und hier müssen wir gestehen, daß wir durchaus vor dem Unbekannten stehen. Was wir wissen und ich soeben anführte, kann nur auf ein Säugethier hindeuten – kein anderes Thier kann eine Mähne, ein stumpf abgeschnittenes Maul mit Barthaaren besitzen. Aber ein Seesäugethier von solcher Größe mit einer Mähne ist auch im Norden nicht bekannt, und doch ist der Norden, seit so viele ausgezeichnete Naturforscher dort sich gebildet und mit andern civilisirten Nationen um die Wette gearbeitet haben, kein unbekanntes Land mehr. Von einer Schlange kann, wie alle Naturforscher einstimmig anerkennen müssen, gar keine Rede sein. Die Natur eines Reptils ist unverträglich mit solchen Lebensäußerungen. Die großen Augen, das lautlose Athmen, das Untersinken ohne weiteres Bedürfniß, das Erscheinen nur zu ganz bestimmter Jahreszeit in den Hundstagen und nur in sehr beschränkten Buchten könnte einzig auf einen Fisch unbekannter Art sich beziehen. Aber auch hier wäre es wunderbar, wenn gar kein Ueberbleibsel, gar kein Stück eines solchen Fisches je zum Vorschein gekommen wäre. Nichtsdestoweniger ist dies der Fall. Viele wollen die schwimmende Seeschlange gesehen haben – den Naturforschern, die sich am Moldefjord oft wochenlang in der Erscheinungszeit aufhielten, Männern wie Danielsen, Koren, Rathke und Sars, ist noch nie eine solche Erscheinung aufgestoßen und noch nie hat man gehört, daß eine Seeschlange angegriffen und getödtet oder todt an den Strand getrieben, oder ein Knochen, den man ihr zuschreiben könnte, mit den Schleppnetzen aus der Tiefe hervorgeholt worden sei.

In andern Gebieten hat man freilich in der neuesten Zeit wenn auch noch unvollständige Documente gigantischer Tiefenthiere entdecken können. In den Jahren 1639 und 1790 wurden zwei riesige Tintenfische an die Küste Islands getrieben, von welchen einzelne Stücke in dem Museum von Kopenhagen aufbewahrt sind. So viel ich mich erinnere, denn die Notiz, welche Steenstrup darüber veröffentlichte, ist mir gegenwärtig nicht zur Hand, lassen die tassengroßen Sangnäpfe auf Thiere schließen, welche Arme von der Dicke eines Schenkels und von zwanzig bis dreißig Fuß Länge hatten. Ein solches Thier muß eine schauderhafte Bestie sein. Wer jemals einen der gewöhnlichen Tintenfische, einen Pulper oder etwas dergleichen gesehen hat, wer weiß, daß das Anklammern der acht mit Saugnäpfen dicht besetzten Arme, die höchstens zwei Fuß Länge haben, ein Bein des Badenden zur Erstarrung lähmt, wird sich von einem solchen Ungeheuer einen Begriff machen können!

Außer den verstümmelten Resten sind uns aber neuere Zeugnisse überliefert worden, die wohl das Gepräge der Wahrheit an sich zu tragen scheinen.

Am 30. November 1861 traf das Dampf-Aviso Alecto, Capitain Bouger, Lieutenant der französischen Marine, zwischen Madera und Teneriffa auf einen ungeheuren Tintenfisch, der an der Oberfläche schwamm. Der Körper des Thieres maß fünf bis sechs Meter, ohne die acht gewaltigen, mit Saugnäpfen bedeckten Arme. Die Augen waren ungeheuer groß, grüngelb, fürchterlich unbeweglich; der mit einem Papageienschnabel bewaffnete Mund maß wohl einen halben Meter im Durchmesser. Man schätzte den ungeheuren, spindelförmigen, mitten sehr dicken Körper auf zweitausend Kilos (vierzig Centner). Die am hinteren Ende angebrachten Flossen waren abgerundet, wie zwei fleischige Lappen. Man bemerkte das Thier um zwei Uhr Nachmittags. Der Commandant ließ darauf zusteuern und dann halten; leider aber ging die See zu boch, so daß das Schiff stark rollte, während das Thier ihm aus dem Wege zu gehen suchte. Man lud die Gewehre und bereitete Harpunen und Seile. Nach den ersten Kugeln tauchte das Thier unter dem Schiffe durch. Es erhielt mehrere Salven; nach jeder tauchte es unter, erschien aber dann wieder auf der Oberfläche und bewegte seine langen Arme nach allen Richtungen. So dauerte die Jagd etwa drei Stunden. Der Commandant Bouger wollte sich um jeden Preis des Ungeheuers bemächtigen, wagte aber nicht, ein Boot auszusetzen, da er fürchten mußte, das Thier möchte es umreißen. Die Harpunen, die es erhielt, hafteten nicht in der weichen Masse; die Kugeln, deren etwa zwanzig getroffen hatten, schienen keine große Wirkung zu haben. Endlich erhielt es einen Kernschuß; es spritzte Schaum, Blut und schleimige Massen in Menge aus, die einen starken Moschusgeruch verbreiteten. Jetzt haftete auch eine Harpune und es gelang, ihm eine Schlinge umzuwerfen, die zwar über den glatten Körper wegglitt, aber an den Flossen festhielt. Man suchte nun das Thier an Bord zu winden und hatte es auch schon großentheils über Wasser, als eine heftige Welle die Harpune ausriß. Die Schlinge schnitt jetzt in’s Fleisch ein, das Gewicht des Körpers war zu groß, der Schwanz riß mit den Flossen ab und blieb in der Schlinge hängen und der Leib fiel in das Meer, wo er rasch zu Grunde sank. Die abgerissenen Flossen wogen etwa zwanzig Kilogrammen. Sie wurden nach Sta. Cruz auf Teneriffa gebracht, wo die Fischer beim Anblick der ungeheuren Ueberreste in nicht geringen Schrecken geriethen.

Wahrscheinlich war das Thier sehr krank oder erschöpft, so daß es am Untertauchen gehindert war.

Einer Zeichnung zufolge, die einer der Officiere des Alecto während des Kampfes machte, hatte es eine röthliche Farbe, acht gleich lange Arme und den Körperbau eines Kalmars. Diese haben aber außer den acht gleich langen, überall mit Saugnäpfen versehenen Armen zwei noch viel längere Arme, welche nur an dem verbreiterten Ende mit Saugnäpfen versehen sind und in besondere Taschen zurückgezogen werden können. Auf der Zeichnung fehlen diese langen Arme. Fehlten sie überhaupt? Waren sie schon vorher abgerissen? Oder trug sie das Thier in den Taschen zurückgezogen, ohne sie zu entwickeln?




Die Familie des Messias.

Sada-Góra ist ein gräuliches Judennest in der Bukowina, das in geringer Entfernung von Czernowitz liegt. Man trifft da nur Kaftane und Pelzturbans, herabwallende Peies (Juden-Locken) und von Branntwein erhitzte Gesichter. Und doch hat dieses versteckte und häßliche Städtchen eine Anziehungskraft, einen Magnet, der alle wundergläubigen Israeliten von weit und breit mit derselben Sicherheit anzieht, wie nur je irgend ein wunderthätiges Madonnenbild des mittelalterlichen Italien die gesammte wundergläubige Christenheit angezogen bat. Dieser Magnet ist die Familie des Messias. In Sada-Góra lebt nämlich gegenwärtig eine der Familien, aus welchen, alten Traditionen, Verheißungen, Prophezeiungen und Stammbäumen zufolge, der jüdische Messias hervorgehen soll. Zu Bels in Galizien, zu Kozk in Podlachien, zu Kozienica im Sandomirschen und in vielen Judenorten des Czarenreiches leben solche Familienhäupter des zukünftigen Messias, die man Zadiks, d. h. Fromme, nennt, und die für große Provinzen und Kreise eine Anziehungskraft haben. Diese Zadiks haben ihre Entstehungsgeschichte. Als der fünfundzwanzigjährige schwärmerische Jüngling Sabbatai Zebi aus Smyrna im Jahre 1666 sich als wunderthätiger Juden-Messias ausgab, wurden die leichtgläubigen Israeliten in Europa, Asien und Afrika in eine excentrische Bewegung versetzt und Hunderttausende sahen in ihm den künftigen Erlöser aus der Knechtschaft. Tausende schwuren noch auf ihn, als er zum Islam übergetreten war und als er von 1676 an zu einem muhammedanischen Heiligen canonisirt wurde. Ein Theil der enttäuschten Massen wurde ernüchtert, ein anderer warf sich aus Schamgefühl dem mächtigen Katholicismus in die Arme, an dessen Spitze später der erst vor kurzem in der Gartenlaube geschilderte wunderliche Frank mit seinen unerschöpflichen Reichthümern stand, und den dritten größeren Theil bildete

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