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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

sogenanntes Tanzhaus, d. h. das für größere Vergnügungen bestimmte gemeinschaftliche Gebäude, und außerdem lebt ja der Mensch in der Regel am liebsten unter denen, welche mit ihm gleiche Religion, Sitte und Sprache haben.

Die Aenderung der glücklichen Lage, in welcher die Frankfurter Juden sich früher befanden, beginnt mit der ersten Zeit des fünfzehnten Jahrhunderts. Sie trat allmählich ein, nahm aber nachher immer schneller zu und erreichte mit dem Beginn des siebenzehnten Jahrhunderts ihren höchsten Grad. Schon um 1425 hießen die Juden in Frankfurt nicht mehr Bürger, sondern sie wurden ebenso Judenbürger genannt, wie man sie in der neuesten Zeit israelitische Bürger genannt hat. In der Juden-Ordnung von 1480 wurde ihnen geradezu verboten, sich Bürger von Frankfurt zu nennen. Ebendaselbst war ausgesprochen, daß jeder Jude sein Recht, in Frankfurt zu wohnen, alle drei Jahre erneuen lassen müsse, daß er aber auch innerhalb dieser Zeit ausgewiesen werden könne.

Das Härteste, was die Juden im fünfzehnten Jahrhundert traf, war das 1460 erlassene Gebot, ihre bisherigen Wohnungen zu verlassen und dagegen fortan insgesammt in einer bestimmten, für sie herzustellenden Gasse zu wohnen. Dieses Gebot ging im Allgemeinen aus dem zu Ungunsten der Juden veränderten Geiste der Zeit hervor, hatte aber seinen besonderen Grund noch darin, daß die Frankfurter Juden bisher größtentheils in der Nähe der Hauptkirche gewohnt hatten und man dies als eine Entweihung des christlichen Gottesdienstes ansah. Es sei, sagte man, eine Beschimpfung der christlichen Religion, daß die Juden in nächster Nähe einer Kirche ihren Gottesdienst hielten, auch werde durch die in letzterer hörbaren Ceremonien der Juden der christliche Gottesdienst gestört und dieser werde außerdem auch noch dadurch herabgewürdigt, daß die Juden von ihren Wohnungen aus die Sacramente der Christen mit ansehen und ihre Kirchengesänge hören könnten; man müsse daher die Juden und ihre Synagoge nicht nur aus der Nähe der Hauptkirche entfernen, sondern zugleich auch an einen Ort versetzen, an welchen ihnen jede nähere Berührung mit den Christen unmöglich gemacht sei. Diese Versetzung und Absonderung der Juden war dem Rath schon 1442 durch Kaiser Friedrich den Dritten befohlen worden, der Rath hatte jedoch das kaiserliche Gebot nicht befolgt. Im Jahre 1458 wiederholte Friedrich der Dritte seinen Befehl, und nun gehorchte der Rath. Von 1460 an wurde dann an der Herstellung einer neuen Judengasse gearbeitet und 1462 mußte dieselbe von den Juden bezogen werden.

Diese Gasse hatte man in einer schwach bewohnten Gegend der Stadt angelegt und von den nächsten Christenhäusern auf eine solche Weise abgesondert, daß die Juden fortan wirklich in einem völlig abgeschlossenen Raume wohnten. Sie lag nämlich an der Grenze der Alt- und der Neustadt, auf einem Theile des ausgetrockneten Stadtgrabens, welcher um die Mauer der Altstadt lief. Auf der einen Seite war sie durch die alte Stadtmauer von den Häusern der Altstadt abgesperrt, auf der anderen aber hatte man sie von denen der Neustadt dadurch geschieden, daß auch dort eine Grenzmauer erbaut worden war. Sie hatte drei Eingänge, einen an ihrem Anfang, einen anderen an ihrem Ende und den dritten in ihrer Mitte. Die beiden ersteren vermitteln den Verkehr mit der Neustadt, der letztere den mit der Altstadt.

Die Juden hatten, als der Rath die Erbauung dieser Gasse beschloß, Alles aufgeboten, um ihre Vertreibung aus ihren bisherigen Wohnungen abzuwenden. Sie hatten 1460 in einer Bittschrift an den Rath vorgestellt: in der neuen Judengasse seien sie durch die alte Stadtmauer von den Bewohnern der Altstadt so sehr geschieden, daß diese ihnen, wenn sie Hülfe bedürften, dieselbe nicht leisten könnten, während auf der anderen Seite nur Gärtner und andere den Tag über auf dem Felde oder im Walde beschäftigten Leute wohnten; die Juden seien aber schon in der letzten Zeit auf denjenigen Straßen, in welche die Thore der Judengasse führten, oft mit höhnenden Zurufen und mit Steinwürfen verfolgt, ja manchmal sogar mit Schlägen bedroht worden; wie viel mehr würde dies erst dann der Fall sein, wenn sie künftig bei allen ihren Geschäften durch jene Straßen gehen müßten; außerdem würden sie, in einer so abgelegenen Gegend, zur Zeit der beiden Messen hülflos der Mißhandlung oder Plünderung durch die vielen anwesenden Fremden preisgegeben seien etc. Am Schlusse ihrer Bittschrift hatten sie das Anerbieten gemacht: sie wollten, damit der Hauptgrund für ihre Vertreibung aus der seitherigen Judengasse wegfalle, den der Kirche gegenüber befindlichen Ausgang aus derselben zumauern lassen, sich künftig mit einem einzigen Ausgange, welcher auf der entgegengesetzten Seite liege, begnügen, auch rings um ihr bisheriges Quartier eine hohe Mauer, ja sogar hinter derselben noch eine zweite aufführen lassen, sowie die in der Nähe der Kirche stehenden Häuser verkaufen und sich dafür auf der entgegengesetzten Seite Wohnungen miethen und endlich noch sich gefallen lassen, daß auch dort der Zugang zu ihrer Straße verschließbar gemacht werde.

Alle diese Vorstellungen und Anerbietungen fruchteten nichts; es blieb bei dem gefaßten Beschlusse, und die Juden mußten 1462 in die neue Judengasse wandern, welche gleich Anfangs Neu-Aegypten genannt wurde, weil die gezwungene Niederlassung in ihr die Juden ebenso als Knechte der Christen bezeichnete, wie ihre Vorfahren einst Knechte der Aegypter gewesen waren. Uebrigens waren die Wohnhäuser der neuen Gasse auf Kosten der städtischen Behörde erbaut worden, und diese hatte ebenso auch eine Synagoge, ein kaltes Bad, ein Tanzhaus und ein jüdisches Wirthshaus errichten lassen, wogegen aber alle bisherigen Gebäude der Juden städtisches Eigenthum wurden. Die Juden mußten von den ihnen eingeräumten Häusern, welche ihnen keineswegs als Eigenthum übergeben worden waren, einen jährlichen Zins an die Stadtcasse entrichten. Erst hundert und fünfzig Jahre später wurden die Häuser der Judengasse für Eigenthum ihrer Bewohner erklärt, jedoch nur die Gebäude selbst, nicht auch der Grund und Boden, auf welchem dieselben standen, weshalb bis in die neueste Zeit statt des früheren Hauszinses ein Grundzins entrichtet werden mußte. Uebrigens hatten schon von 1465 an alle neuen Bauten auf Kosten der Juden selbst gemacht werden müssen.

Dic in den Jahren 1460–1462 erbaute Judengasse ist 345 Jahre lang, also bis in unser Jahrhundert hinein, der alleinige Wohnort der Frankfurter Juden geblieben. Abzurechnen sind hiervon nur wenige Jahre, in welchen die Juden oder doch ein Theil von ihnen einige Male wegen Feuersbrünsten und einmal wegen ihrer Vertreibung aus Frankfurt nicht in der Judengasse wohnten. Eine geringfügige Vergrößerung erhielt die Gasse nur einmal (1713), als die Juden vor dem südöstlichen Ende derselben einen Bleichgarten erkauft und, nach langem Widcrstreben der Frankfurter Behörden, durch den Reichshofrath das Recht erlangt hatten, diesen zu ihrer Gasse hinzuzuziehen. Erst 1807 wurde den Juden auch ein Raum außerhalb der Gasse zum Wohnen angewiesen, indem damals der Fürst Primas als Beherrscher von Frankfurt nicht blos die Thore und Ringmauern der Judengasse abzubrechen befahl, sondern auch den Juden die Erlaubniß ertheilte, ihre Wohnungen in einem bestimmten größeren Bezirke neben ihrer Gasse zu wählen. Einige Jahre später (28. Decbr. 1811) gewährte derselbe Fürst den Frankfurter Juden den Genuß gleicher Rechte mit den Christen und hob dadurch ihre Absperrung von diesen für immer auf. Seit dieser Zeit haben die Juden das Recht behalten, in allen Theilen der Stadt zu wohnen.

Die Frankfurter Judengasse war, bis sie 1711 völlig abbrannte, ein finsterer Wohnbezirk, denn sie hatte fast durchaus nur eine Breite von zwölf, an ihren breitesten Stellen von fünfzehn bis sechszehn Fuß, und bestand aus hundert und fünfundneunzig dicht an einander gebauten Häusern, welche zum Theil sehr hoch waren. Natürlich war es unmöglich, in ihr mit einem Wagen umzuwenden, und damit die deshalb öfters eintretenden Stockungen einigermaßen beseitigt würden, hatte der Rath 1580 den mittleren Zugang zur Gasse erweitern lassen.

Bei der engen, finsteren und ungesunden Beschaffenheit ihrer Gasse war den Juden auch noch der Genuß der frischen Luft außerhalb derselben verkümmert. Die Gasse war an ihren drei Eingängen mit Thoren versehen, und diese wurden nicht nur Nachts, sondern auch während der Sonntage und der christlichen wie der jüdischen Festtage geschlossen gehalten. Nur in Fällen der Noth gestattete man dann den Aus- und Eingang, und zwar vermittelst einer kleinen in jedem Thor angebrachten Thür. Ferner durfte kein Jude die Stadt-Allee betreten, d. h. den einzigen Platz zum Spazierengehen, welchen das mit hohen Mauern und breiten Gräben umgebene, Morgens spät geöffnete und Abends früh geschlossene ältere Frankfurt enthielt. Als in neuerer Zeit die die Stadt umgebenden Gräben und Wälle in Promenaden verwandelt worden waren, durften die Judcn anfangs auch diese nicht betreten, sondern sie mußten sich auf der an den Promenaden herziehenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_566.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)