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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

der Letzte – an der Thür stand einer der Wärter – es mußte gewagt sein, er schritt dem Fasse zu, als ob er es aufnehmen wollte.

„Jetzt schnell!“ rief eine Stimme hinter ihm, es konnte nur der Soldat gewesen sein, doch er sah es nicht mehr. Sich zu Boden werfen und rückwärts in das Faß schlüpfen war das Werk einer Minute. Mit den Händen gab er sich einen Stoß und sein Fahrzeug bewegte sich. Ein schneller Blick belehrte ihn über die Strömung und abwärts dem Meere zu ging die gefährliche Fahrt. Er hatte sich drinnen auf den Boden niedergekauert; dadurch hielt er die Oeffnung nach oben und wohl saß er ganz still, um nicht umzuschlagen. Hatte er auch beinahe einen Schuh hoch Wasser auf dem Boden seines Fahrzeugs, so schien das Faß doch mehr durch seine Hast beim Abstoßen damit gefüllt zu sein.

Wie lange er so trieb, er wußte es nicht; es däuchte ihn eine Ewigkeit. Da stieß er an einen Gegenstand an – es war ein Boot. Er blickte auf und ein glückliches Frauenauge schaute in das seine. Schmerzlich und beseligend zugleich war die Erkennungsscene, und als er erst, mit Vorsicht seinem gebrechlichen Fahrzeug entstiegen, neben ihr saß und der kräftige Ruderer vorn ausgreifend das Boot dem Lande zu dirigirte, erwachte mit aller Gluth das Gefühl des Dankes für das Weib, das sich doch bewährt hatte.

Betsy hatte an Alles gedacht. Zuerst entfaltete sie einen neuen eleganten Anzug und schleunig war die Sträflingskleidung den Fluthen anvertraut, ein neuer Hut erhob sich aus der neben ihr stehenden Schachtel und sogar das Rasirmesser zog sie hervor. Da half kein Kokettiren – mit der Scheere wurde der Bart gestutzt, und war’s auch kein Vergnügen, daß er die Verseifung mit Salzwasser machen mußte, es ging schon einmal auch so.

Halbwegs zwischen Brooklyn und Jersey City, da, wo der Hudson am breitesten ist, hatte die Verwandlung und auch das Begegnen stattgefunden. Bei trübem Wetter sieht man von der Küste kaum hinüber – mithin war keine Entdeckung zu gewärtigen.

Wir wollen die Schwüre und Betheuerungen, die Erklärungen und Versicherungen, welche gewechselt wurden, mit dem Schleier der Liebe bedecken, welche auch diese That vollführte. Es liegt uns nur ob, zu berichten, was wir aus dem süßen Flüstern zweier Glücklichen an Thatsachen erlauscht haben. Betsy war auf ihr wiederholtes Drängen endlich von ihrem Vater fast durch die Reihen der bereits bis nach Virginien vorgedrungenen Heere nach dem Norden begleitet worden.

Tage lang waren sie zu Fuß gewandert, um die Vorposten zu umgehen, und nur erst als sie auf Unions-Gebiet gekommen waren, hatten sie sich der Eisenbahn bedient. Oft angehalten und bei der Verkleidung, in die sie sich gesteckt, bis auf die Haut untersucht, hatten sie erst in Westvirginien andere Kleider gekauft und die Mittel dazu, sowie auch zu seiner Befreiung, hatte sie erfinderisch in einigen großen Banknoten in ihrem ausgehöhlten Haarpfeil geborgen. Durch die langsame Reise ihrer auf den Rücken mitgeführten Vorräthe beraubt und nicht wagend, die Banknoten den Augen gieriger, mißtrauischer Feinde preiszugeben, hatten sie, als das wenige südliche Geld, das sie bei sich trugen, verausgabt war, verschiedene Male ihre Nahrung und Obdach als ausgeplünderte Patrioten erbetteln müssen. Von Henry’s Verhaftung und Verurtheilung waren sie schon gleich nach derselben durch die nördlichen Zeitungen unterrichtet worden, die ein großes Geschrei davon machten.

„Nie hatte ich seitdem mehr Ruhe, mein Henry,“ sagte das muthige Weib, „und mir geschworen, eher in den Tod zu gehen, als die Versuche zu Deiner Befreiung aufzugeben. Nur fürchtete ich stets, Du selbst würdest Dich denselben widersetzen und mich als Deiner unwürdig zurückstoßen. Ich habe genug gelitten, daß ich Dich in’s Unglück gehen ließ, doch glaubte ich nicht, daß Du Dich nach New-York wenden und so lange zaudern würdest. Hat mich früher die kindliche Anhänglichkeit zu meinen Eltern gezogen, so sollst Du nun sehen, was die Liebe eines Weibes vermag.“

„Laß jetzt die Vergangenheit ruhen und uns lieber bedenken, was demnächst geschehen soll. Daß ich nicht nach dem Süden gehe, wirst Du wohl als ausgemacht annehmen. Ich bin zwar jetzt, nachdem Du mich mit Leib und Seele geraubt hast, Dein Eigenthum, hoffe aber, daß Du mir hierin nachgiebst.“

„Du würdest zwar vor der Hand dort sicherer sein, allein es ist unendlich schwer die Linien zu passiren, so daß ich mich Deinem Willen im Norden zu bleiben um so lieber füge, als selbst mein Vater die Sache des Südens als verloren betrachtet. General Butler hat bereits New-Orleans besetzt, und ganz Missouri und Westvirginien sind in den Händen des Nordens.“

„Ich meinerseits bin entschlossen in die Armee zu treten und werde dort am sichersten sein. Aber was soll ich mit Dir beginnen? denn Dein Vater ist im Norden nirgends sicher, wo jeder Mann ihn kennt.“

„Er wird, nachdem er Dich gesehen und Deinen Entschluß kennt, nach Mississippi zurückkehren und sich den Rücken frei zu halten wissen. Ich ziehe mit Dir in den Krieg und werde in der Pflege von Verwundeten im Felde oder in irgend einem Hospitale ein Unterkommen finden. Nur dann werde ich Ruhe haben, wenn ich mich in Deiner Nähe weiß.“

„Aber die Schrecknisse des Kriegs, die Rohheiten, denen Du ausgesetzt sein wirst?“

„Ich kenne den Krieg schon und schaudere nicht mehr vor seinen Folgen.“

Das Boot legte unterhalb Jersey City an’s Land, und bald waren sie mit Mr. Floyd vereinigt. Der Nachtzug brachte sie noch nach Philadelphia und nach einigen Stunden Schlaf trennten sich Vater und Tochter für immer. Der Abschied zwischen Floyd und seinem Schwiegersohn war höflich und kühl, obgleich der Schwiegervater nach dringenden Bitten Verzeihung von Gibson erlangt hatte. Es war das letzte Mal, daß auch sie einander sehen sollten, denn nach drei Tagen schon, eben als die beiden Gatten in Baltimore zur Armee gingen, um ihre Pläne zu verwirklichen, kam ihnen das Gerücht zu, daß Mr. Floyd als muthmaßlicher Spion ergriffen und erschossen worden war.

Diese Schreckensnachricht wirkte furchtbar erschütternd auf Betsy’s Gemüth; jetzt gerade, wo sie im Begriff war, sich zeitenweise von ihrem Gatten zu trennen, drohte sie der Schlag zu vernichten. Henry hatte sie die Sorge um ihr Kind anvertraut, welches sie in dem zarten Alter nicht den Gefahren der beschwerlichen Wanderung aussetzen wollte, und freundlos ohne Stütze stand sie da, wenn das Schicksal ihr auch den Gatten rauben würde. Aber auch jetzt kämpfte sie den Schmerz nieder, denn sie wußte, daß sie aller Kraft bedurfte, das schwere Werk, welchem sie sich widmen wollte, zu erfüllen.

Sie trat in das Lazareth zu Baltimore als Krankenwärterin ein und wurde mit Freuden empfangen. Unter dem Namen einer Miß Sarah Underhill gerirte sie sich als die Schwester des Soldaten John Underhill, als welcher ihr Gatte dem Corps des General Grant beim dritten New-York-Regimente zugetheilt war. Mit seltener Aufopferung und Treue lag sie dem schönen Beruf ob, und das Gebet manches Sterbenden wie die Segenssprüche der Reconvalescenten folgten ihren Schritten. Sie wurde nicht allein das Vorbild der Andern, sondern auch in allen Fällen, wo besondere Willenskraft und Muth erforderlich waren, stand sie zuerst neben den Aerzten. Hunderte von ausgewechselten Gefangenen, die, in einer allem menschlichen Gefühl Hohn sprechenden Weise von den Südstaatlichen behandelt, als Skelete in die Heimath zurückkamen, erlagen hier den erduldeten Martern, und Betsy war nicht allein Helferin, sondern auch Trösterin der Leidenden. Gar manches junge Blut, das mit Muth und Begeisterung in den Kampf gegen den wüthenden Krebsschaden des Vaterlandes ausgezogen und gefangen genommen, erst nach langer, qualvoller Haft ausgewechselt wurde, hauchte bei ihr den letzten Athemzug, der dem Weib oder der Mutter daheim galt.

So waltete sie wie ein Engel segensreich in dem engen Kreise, während draußen auf dem Felde der Ehre ihr Gatte seine Brust dem Feinde bot. Sein siegreiches Corps war unter seinem heldenmüthigen Führer bis nach Centreville vorgedrungen und mußte hier der Uebermacht weichen. Zurückgeworfen und von der Cavalerie der Rebellen verfolgt, wurde er mit einem kleinen Theil seiner Compagnie versprengt und gerieth in Gefangenschaft. Mehrere Monate ohne Nachricht von ihm, verfiel Betsy in tiefe Melancholie und Trost in den rastlosesten Anstrengungen suchend, sank

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