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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde noch ein Hausdieb auf dem Gute Starobjelsk in der Ukraine auf diese Art vom Leben zum Tode gebracht, wie der Chronist Nikititsch Murawiew erzählt. –

Wir kommen nun zu einer andern sarmatischen Art des Sterbens.

Es war ein unfreundlicher, finsterer Herbstabend, als ich in der Rumpelkammer eines Landhauses in Weißrußland zwischen vermoderten Scharteken, mottenzerfressenen Portraits, rostigen Schwertern und zerfaserten Lederwämmsern herumkramte. Der allerälteste Kram des Hauses war da aufgethürmt unter einer dichten Lage von Staub und Spinnweben. Der Vater des jetzigen Besitzers hatte augenscheinlich den schüchternen Versuch gemacht, ein Familien-Antiquarium anzulegen, aber es war beim Versuche geblieben und die letzten Trümmer dieses Versuches kollerten den Mäusen zum Spielzeug in zersprungenen und zerklüfteten Kisten umher.

Ich wendete schon seit einer Viertelstunde einen unenträthselbaren Gegenstand zwischen den Händen bin und her und wurde doch nicht klug daraus. Es war ein schwarzes, hartes unförmliches ausgehöhltes Ding. Endlich nahm ich es entschlossen unter den Arm und ging auf die Thür zu, um Herrn Wassylkoff in seinem Billardzimmer aufzusuchen und ihn über diese hieroglyphische Familienreliquie zu examiniren. Denn neugierig bin ich wie eine Elster. Ehe ich aber noch die Thür erreichte, stolperte ich über den Bedienten, den ich zu meinem Cicerone ernannt hatte, der aber in einem Winkel der Rumpelkammer eingenickt war. Der Alte war eine echte Hauseule. Er wußte jeden Stein des Hauses zu legitimiren, er war ja da geboren worden. Und er erbot sich, mir jede erforderliche Auskunft zu geben über das schwarze Ding, welches nichts anderes war als eine Pechlarve.

„Pechlarve, zu welchem Zwecke?“ Und ich wollte sie probiren. „Da erstickt man ja darunter?“

„Das soll man eben.“

„Wie so, das soll man? Unsinn!“

„Jawohl. Die Pechlarve drückt man den Personen über’s Gesicht, die man ersticken will.“

„Die man … Davon habe ich ja mein Lebtage nichts gehört. Und am Ende ist unter dieser Maske schon jemand ..?“

Der Alte schaute sich bedächtig um. „Das will ich meinen. Das ist eine Reliquie. Der Großonkel des gnädigen Herrn ist damit von seinem Bruder erstickt worden.“

Rußland ist ein seltsames Land. Man tritt da mit jedem Schritte, den man in die Vergangenheit thut, in eine Blutlache. Ich drehte das unheimliche schwarze Ding noch zwei Secunden hin und her und legte es dann zart, aber eilig in die Kiste zurück. Unter dieser dunklen Masse war ein Todesschrei erstickt worden, Todesschaum hatte an der inneren hohlen Seite geklebt! Ich wischte mir die Hände an meinem Rocke ab, daß sie brannten, obwohl sie nicht beschmutzt waren. Und der alte Jordaki erzählte mir in seiner naiven Weise: „Wenn man Jemanden ermorden will, wartet man, bis er schläft. Dann drückt man ihm die Larve über’s Gesicht, aber sie muß frisch sein, damit sie überall anklebt und nicht etwa durch krampfhafte Gegenwehr entfernt werden kann. Es giebt da nur ein Zucken und höchstens einen dumpfen Seufzer, ehe der Mund verpicht ist. Man braucht kein Schreien zu fürchten, und es bleibt keine Spur.“

Der alte Jordaki beschrieb dies mit dem Gleichmuthe eines ausgelernten Gurgelabschneiders, und ich bin überzeugt, der gute Alte hat in seinem Leben keiner Fliege einen Flügel geknickt.

Abends fragte ich Herrn Wassylkoff über die Pechlarven, von denen ich früher nie Etwas gehört hatte. Er bestätigte mir, daß diese Art des Mordens zwar selten, aber schon dagewesen sei. Vor einigen Jahren noch sei in Jassy ein interessanter Rechtsfall dieser Art vorgekommen. Ein halbruinirter Handelsherr hatte seine reiche Mündel, deren einziger Verwandter er war, mit einer Pechlarve erstickt, um sie zu beerben. Die Sache war durch einen mitschuldigen Knecht an’s Licht gekommen, welcher mit seinem Blutlohne nicht zufrieden war und seinen Herrn durch die unverschämtesten Forderungen zur Verzweiflung getrieben hatte. „Aber wie kommen Sie eben heute auf die Pechlarven?“ fragte mich Wassylkoff zuletzt. „Sie haben gewiß beim Herumkramen die alte Maske unten entdeckt. Nicht?“

„Jawohl.“

„Ja, die ist merkwürdig genug. Durch sie ist dieses Gut auf meinen Zweig der Familie übergegangen,“ sagte Herr Wassylkoff, indem er den Rauch seiner Cigarre behaglich in die Luft blies.

V.




Blätter und Blüthen.


Mann oder Kind. So hell und laut wie das Beil des Thomas klang kein anderes Beil durch den Wald; so sicher und lustig wie er fuhr Niemand auf dem gefällten Stamm von der Höhe hinunter in die Tiefe; so lebensvoll und lebensselig jodelte kein Anderer auf den langen, breiten Flößen, die das prächtige Gehölz des Rheinlandes hinunter nach Holland brachten. Wo der Thomas mit anpackte, da ging Alles noch einmal so frisch und rasch und auch bei schwerster Arbeit noch einmal so leicht. Der „lustige Thomas“, der „tapfere Thomas“, der „prächtige Thomas“, so wurde er weit und breit genannt, und als er geheirathet hatte und einen Jungen bekam, da war er noch lustiger, noch tapferer und prächtiger, und seine Frau, die Gertrud, war ganz so wir er, und der Junge versprach es zu werden. Alle Welt hatte ihre Freude an den Dreien; die größte Freude aber hatte Eines an den Andern und ein Jedes wieder an sich selbst.

Auf einmal aber schlug der Blitz ein in das reiche Glück, der Blitz des Beiles, das der Thomas so mächtig im Forste schwang. Es war ein frischer Frühmorgen, da stand der Thomas schon vor einem Stamm, der gefällt werden sollte; seine Frau und sein Junge daneben, um hernach die Spähne zu sammeln, und es waren tüchtige Spähne, die der Thomas gewöhnlich herausschlug. Jetzt reckte er sein Beil hoch auf, warf die Blicke ihm nach, und als ein goldiger Sonnenstrahl auf des Beiles Schneide funkelte, rief der Thomas lustig zu Weib und Kind hin: „Seht Ihr die Sternschnuppe? Hui!“ und an dem niedersausenden Beil fuhr der goldige Strahl zur Erde nieder. War das nicht wirklich wie eine Sternschnuppe anzusehen? Doch Beil und Strahl streiften nur leise den Stamm, fuhren aber dem Thomas in den Fuß. Da gab es nun zwar nicht viel Thränen, aber doch ein großes Herzeleid und noch größer war die Sorge, wie der Mann nach Hause geschafft werde, denn es war noch kein Anderer auf dem Platz. Der Thomas war ja immer der Erste. Er war aber auch jetzt der Erste, der den Muth und die Laune nicht verlor und damit auch Weib und Kind wieder tapfer machte. Ein naher Bergquell gab das Wasser zum Auswaschen der schweren Wunde; der kleine, resolute Anton zog rasch sein Leinenhemdchen zum Verband aus, und als dieser sorgsam angelegt war, stemmte sich der Thomas, die großen, weißen Zähne fest zusammenbeißend, fest an sein Weib, faßte seines Anton’s Schulter an und meinte: „Na, nun rasch zu. Wir haben ja nicht weit bis daheim, und dann ist’s schon gut.“ Und um desto eher daheim zu sein, nahmen sie den Weg über die Eisenbahn; zwar den verbotenen, aber jetzt doch den richtigen, weil der nächste. Nun sollte jedoch das Unglück erst recht kommen, denn an der ersten Bahnschiene stieß der Thomas mit dem kranken Fuße an, stolperte, fiel vor der Bahn nieder und riß den Jungen so mit sich um, daß der mitten auf die Bahn zu liegen kam, aber an einem Schienenhaken hängen blieb und den Fuß brach. Beide konnten sich nicht rasch wieder erheben, und da kam auch schon der Dampfwagen herangebraust und zermalmend hin über den Anton.

So lautete die kurze, aber schreckliche Geschichte, wie sie vom Thomas und seiner Frau erzählt wurde zum Entsetzen und tiefsten Mitleid Aller, die sie vernahmen.

Aber es mußte dabei wohl noch ein besonderer, geheimnißvoller Umstand gewaltet haben, den Beide verschwiegen hatten; denn sie mochten trotz hundertfältigen Anfragens und drängenden Bittens die schreckliche Geschichte nur einmal erzählen und dann nie wieder. Sie verwiesen dann stets auf das, was sie schon gesagt hätten, und es war immer, als wenn ein kalter Schauer sie überlief, wenn sie auf’s Neue daran erinnert wurden. Das dauerte Jahre lang so. Und Jahre lang dauerte die tiefe Schwermuth, die von jenem Unglück an den ehedem so lustigen Thomas und besonders seine ihm so ganz ebenbürtig gewesene Gertrude ergriffen hatte. Das schwer verwundete Bein war längst geheilt; tapfer und tüchtig schwang der Thomas wieder sein Beil, stand die Gertrude ihm wieder zur Seite. Noth und Sorge waren gar nicht an sie herangetreten; die Liebe und Achtung Aller genossen sie nach wie vor, wie sie auch selbst sich einander liebten wie ehedem; kein Wort der Klage hörte man von ihnen, und dennoch, dennoch immer dieselbe tiefe Trauer, die jedes Lächeln von den Lippen der sonst so lustigen, lebensseligen Leute genommen hatte. War es denn einzig die tiefe Trauer um das verunglückte Kind? Bei solchen Naturen, wie sie von je es gewesen waren, so ganz und gar gesund an Leib und Seele, so resolut bei jedem Ungemach, so tüchtig an Verstand, so aus dem doppelten F F „frisch, fromm, fröhlich und frei“, bei solchen Leuten war das durchaus nicht zu denken. Es mußte und mußte da noch ein Geheimniß vorliegen, und lange Zeit bemühte ich mich, das Vertrauen der tief Betrübten zu gewinnen. Wohl reizte mich dabei ein lebhaftes psychologisches Interesse; ja, gestehe ich es offen: sogar ein criminalistisches, der leise Gedanke an die etwaige Möglichkeit irgend einer geheimnißvollen Unthat; hauptsächlich aber war es doch nur der Wunsch, helfen zu können und die wackern Menschen sich selbst und der Welt wieder zu geben, denen sie zu so heller Zierde und Freude gedient hatten. Indessen mußte ich gerade in meiner amtlichen Stellung mit der höchsten Vorsicht, mit dem äußersten Tact dabei zu Werke gehen. Wie es mir endlich gelang, das bleibe wieder mein Geheimniß und ist auch ganz nebensächlich bei demjenigen, was ich erforschen wollte. Genug, daß mir dies gelang; daß Frau Thomas mir einst, in Gegenwart ihres Mannes, ihr schwer gepreßtes Herz erschloß und Folgendes erzählte:

„Als ich meinen Anton bekommen hatte, war mir mein Mann noch lieber und war ich noch froher, wenn er bei mir saß. Aber ich konnte ihn

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 543. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_543.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)