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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

für junge Handwerker und andere Vereine hatten in ihm einen eifrigen Förderer und verdanken seinen populärwissenschaftlichen Vorträgen die vielfachste Belehrung und Anregung. An das Leben machte er die bescheidensten Ansprüche, zumal ihm seine Kränklichkeit zur Entsagung manchen Genusses zwang; dafür fand er aber in seinen Ferien-Wanderungen, nah und fern, und in seiner schriftstellerischen Thätigkeit die vollste Befriedigung und süßeste Erholung.

Beschäftigt mit der Idee, ein größeres Werk über die Industrie des Thüringer Waldes zu schreiben, griff er, wie alljährlich, so auch in den Ferien des letzten Sommers zum Wanderstabe; sein elfjähriges, wißbegieriges Söhnchen begleitete ihn. Treu dem Grundsatze des alten Weisen „Omnia mea mecum porto“ trug er stets – und auch auf dieser seiner letzten Wanderung – das ihm von seinen Schülerfahrten her lieb und theuer gewordene „Ränzel von Seehundfell, wie es paßt zum Wanderstabe“, und fast wäre dasselbe auch sein Sterbekissen geworden. – Rüstig kam er am 3. August v. J. nach einem mehrtägigen anstrengenden Gebirgsmarsche in Schnepfenthal an, um von da aus unter Führung eines befreundeten Collegen und Gesinnungsgenossen den an Naturschönheit und Industrie so reichen nordwestlichen Theil Thüringens genauer kennen zu lernen. Genußreiche, glückliche Tage verlebten die Freunde auf ihren gemeinschaftlichen Wanderungen – es waren die letzten des „fahrenden Schülers“! Denn als er das interessante Städtchen Schmalkalden verließ, um das Land der armen Nagelschmiede, den wenig gekannten Gebirgswinkel von Oberschönau, aufzusuchen, befiel ihn auf offener Waldstraße sein altes Magenleiden und zwang ihn zur Umkehr. Mit Mühe und Noth erreichte er seine Heimath Rudolstadt und in Folge wiederholten Blutbrechens endete sein reiches, edles Leben am 13. August 1864.

Berthold Sigismund’s Ruf als naturwissenschaftlich-pädagogischer Volksschriftsteller ist ein wohl und fest begründeter. Wenn Schiller als Erforderniß einer guten Volksschrift hinstellt, „dem ekeln Geschmack des Kenners Genüge zu leisten, ohne dadurch dem großen Haufen ungenießbar zu sein, sich an den Kinderverstand des Volkes anzuschmiegen, ohne der Kunst von ihrer Würde zu vergeben“, und die Popularität als eine so schwierige Aufgabe bezeichnet, „daß ihre Lösung der höchste Triumph des Genius genannt werden müsse“ – so hat Sigismund durch seine Arbeiten bewiesen, daß diese Aufgabe keine unmögliche sei. Wahre Musterstücke hat er in populär-naturwissenschaftlichen Abhandlungen geliefert; und wie manches Treffliche hätte sein rastlos strebender Geist uns noch hinterlassen, wenn ihn nicht der Tod so früh vom thatenkräftigen Leben abgerufen. Um so frischer möge sein Gedächtniß bei Alt und Jung im Vaterlande sich erhalten!




Eisstatuen und Pechmasken.
Ein Sittenbild aus dem alten Rußland.

Es gab früher in Rußland zwei Arten, überflüssige Menschen vom Leben zum Tode zu bringen, die an und für sich so originell, national und echt kalmückisch sind, daß sie immerhin unter andern Denkwürdigkeiten eine kleine Stelle verdienen. Beide mögen vielleicht schon von russischen Schriftstellern zu romantischen Effecten benutzt worden sein, aber eine historische Untersuchung über dieselben dürfte für Deutschland wenigstens noch nicht existiren. Ich bin nun viel zu unwissend und „étourdi“, um eine ernste geschichtliche Abhandlung zu schreiben, aber was ich gelegentlich über die beiden Todesarten erfahren habe, will ich hier erzählen. Von den Eisstatuen hörte ich zum ersten Male in Perojaslaw. Ich stand mit einem russischen Militärbeamten am geschlossenen Fenster und wir schauten plaudernd durch die von der Kaminwärme zerfließenden Eisblumen hindurch auf die schneebedeckten Wirthschaftsgebäude und Stallungen des Verpflegungsmagazins hinaus. Die Luft und der Nebel draußen gefroren zu feinen Nadeln, die spitzig gegen die Scheiben raschelten.

„Sehen Sie dort den Baum an,“ sagte ich, „er hat eine förmliche Eiskruste; man sieht gar nichts von einer Rinde. Alles ist Diamant. Alles glänzt und glitzert, er ist dick überzogen und versteinert. Wissen Sie, daß es bei einer solchen Eisluft, wie heute, wo der Hauch im Fluge zu festen Eiszapfen friert, nicht schwer sein müßte, ganze Häuser mit einer solchen Diamantkruste zu überziehen?“ fuhr ich in meinem launenhaften Gedankengange fort. „Man braucht nur immer neues Wasser über das Dach zu schütten, welches jedenfalls im fließen schon frieren würde, und so …“

„O ja, nur ist die Idee leider nicht mehr neu. Man hat hier zu Lande schon aus Allem Eisbilder gemacht. Aus wirklichen Bäumen, Häusern und Menschen.“

Ich lachte. „Aus wirklichen Menschen?“

Pan Ignazy Wladimirowitsch Repin schaute mich mit seinen ruhigen grauen Augen an. „Freilich, aus wirklichen Menschen. Wo bliebe denn sonst der Witz?“

Das war kein Scherz mehr. Ich fragte und erhielt Bescheid.

„In den barbarischen Zeiten der früheren Jahrhunderte hat mancher Herr seinen Sclaven, der eben eine Strafe verdiente, zu seinem Ergötzen oder zur Ueberraschung seiner Gäste auf diese Weise gemordet.“

„So grausam gemordet? Es ist nicht möglich!“ sagte ich, indem ich fröstelnd vom Fenster zurücktrat und mich an’s warme Feuer flüchtete.

„Und doch ist’s so.“

„Wie ging das zu?“

„Sie wollen es hören?“ lächelte Wladimirowitsch mit seinen entsetzlich dicken, echt kaukasischen Lippen. „Sie haben Vergnügen an solchen Geschichten? Ich dachte, Sie hätten ein weiches Herz.“

„O ja, wir Enthusiasten haben alle weiche Herzen. Aber ich höre doch für mein Leben gern Etwas, wobei es Einen gruselt. Je schrecklicher, desto besser.“

„Ja, Dichtungen.“

„Nein, nein, Wirklichkeit.“

„Nun, mein lieber Herr mit dem weichen Herzen, mit Wirklichkeiten können wir Ihnen hier in Rußland dienen, daß Ihnen die Haare zu Berge stehen. Also Sie wollen wissen, wie das zuging. Sie konnten sich an keinen Besseren wenden. Ich habe die Beschreibung noch aus dem Munde meines Großvaters; der hat selber noch einer solchen Execution beigewohnt. Die grauen Zeiten des Mittelalters sind bei uns erst ein hundert Jährchen vorüber. Also, man stellte den zu bestrafenden Leibeigenen mitten in den Hof (es mußte natürlich ein Tag sein, wie dieser, wo die Vögel in der Luft und die Luft selber erfroren) und band ihn an einen Pfahl. Dann goß man einen Kübel Wasser über ihn aus. Der ganze Mensch fing sogleich an zu rauchen, wie ein Schlot. Aber schreien konnte er nicht. Die übergroße plötzliche Kälte preßt den Magen und die Kehle zusammen und erstickt den Schrei. Dann kam der zweite Kübel, dessen Wasser schon hängen blieb und in trägen, dicker werdenden Tropfen über den Körper kroch. Beim dritten Xübel klebten bereits die Augenlider und die Lippen zusammen und alle Glieder waren mit einer dünnen Eiskruste überdeckt. Nun ein Kübel nach dem andern, damit man die häßlichen Züge nicht mehr sehe, bis nur noch ein unförmlicher, abscheulicher, glitzernder, weißdurchsichtiger Klotz übrig war, über dem die Nacht nicht schnell genug hereinbrechen konnte.“

Der Leser, der in der traulichen sommerlichen Gartenlaube diese Schilderung liest, während bunte Schmetterlinge über das Haidekraut flattern und die brennenden Blumen um ihn herum duften, nicht wahr, er schauert trotz seiner Behaglichkeit mit mir und fragt sich, ob es möglich ist, daß es Menschen (Menschen!) gab, die so grausame Strafen ersannen und so grauenhafte Scherze trieben? Aber ich holte mir in den Büchern des Ignazy Wladimirowitsch Gewißheit. Ich rede hier nicht von Romanen oder Sagen, sondern von historisch beglaubigten Begebenheiten, die in ehrwürdigen schweinsledernen Chroniken stehen. So war nach Karamsin im Jahre 1666 der Bauer Kantemirù aus der Ukraine auf diese Art dafür bestraft worden, daß er vom Czaren übel sprach. Im Jahre 1770 wurde ein Edelmann von der Kaiserin Katharina zu einer Geldstrafe verurtheilt und auf Lebenszeit vom Hofe verbannt, weil er einen seiner Leibeigenen mit „kaltem Wasser überschütten ließ, bis er erfroren war“. Die Sache war dadurch herausgekommen, daß der damalige Günstling Lanskoi auf dem Wege nach Nowgorod sich nach dem unheimlichen Klumpen erkundigte, den man auf die Straße geworfen hatte. In den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_542.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)