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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

seine Schriften über den Thüringer Wald, das Voigtland, die Lausitz, das sächsische Erzgebirge aus.

Daß er die ethnographischen Verhältnisse der engern Heimath zu seinem ganz besondern Studium machte, läßt sich erwarten. Es war ihm daher kein Auftrag ehrenvoller und willkommener, als der seiner Regierung, eine Landeskunde für das Fürstenthum Schwarzburg-Rudolstadt zu bearbeiten. Er unterzog sich der eigenthümlich schwierigen und mühsamen Aufgabe mit ganzer Liebe und mit einem Fleiße, dessen er sich nach dem Ausspruche Lessing’s mit Recht selbst rühmen kann. Diese Landeskunde, von welcher leider nur die Oberherrschaft Schwarzburg-Rudolstadt vollendet wurde, die Bearbeitung der Unterherrschaft Frankenhausen aber kaum bis zu den Vorarbeiten gedieh, ist ein würdiges Seitenstück des rühmlichst bekannten Werkes von Brückner über das Herzogthum Meiningen.

Sowie wir Sigismund’s Eigenthümlichkeiten als Dichter und Naturforscher, als Förderer der Jugenderziehung in seinen heimathlichen Verhältnissen begründet fanden, so läßt sich auch die Vorliebe für Volk und Industrie in ihren äußersten Wurzelfäden bis in seine Jugend verfolgen, und sie fand in dem spätern Leben immer neue und reichere Nahrung. Als Knabe mit keck-ritterlichem Wesen lebt und webt er in den Spielen der Jugend, versteht er es, als kleiner Tausendkünstler allerlei Apparate und Spielzeuge herzurichten, und keiner seiner Cameraden war geschickter in der Anfertigung von Weidenflöten, Pfeifen und sonstigen Orchesterinstrumenten zu jenen lieblichen Frühlingsconcerten, die er uns so ergötzlich und mit seliger Jugenderinnerung in „des Knaben Lust und Lehre“ schildert. Unter schlichten, fleißigen Bürgern aufgewachsen, lernte er schon früh ihre volksthümlichen Sitten und Gebräuche, ihre Beschäftigungen und Gewerbe kennen und wurde selbst von seiner Großmutter zu ländlichen Arbeiten angehalten. In der Tischlerwerkstatt seines Nachbars war er täglich zu finden und nahm an diesem Handwerk ein so großes Interesse, daß er seinen Vater dringend bat, ihn doch Tischler werden zu lassen. Der Vater hatte Mühe, diese Neigung zu bekämpfen, und mußte ihm wenigstens gestatten, neben seinen Gymnasialstudien zu Rudolstadt noch zu tischlern. Durch’s ganze Leben widmete er den Gewerben eine liebevolle Aufmerksamkeit und war um die Förderung derselben bemüht. Der junge Tischler machte übrigens auf der Schule die glänzendsten Fortschritte und erwarb sich die Liebe seiner Lehrer in so hohem Grade, daß er schon im achtzehnten Lebensjahre mit den besten Zeugnissen zur Universität entlassen werden konnte. Die Wahl des Berufes wurde ihm schwer. Er hatte Neigung zum Lehrerberuf, allein seine Liebe zu den Naturwissenschaften und sein warmes Mitgefühl für die Leiden der Menschen bestimmten ihn, wider Erwarten seiner Eltern und Lehrer, die medicinische Laufbahn zu ergreifen. Er studirte von 1837–1842 zu Jena, Leipzig und Würzburg, wurde von letzterer Universität zum Doctor promovirt und ließ sich als praktischer Arzt in Blankenburg nieder. Kränklichkeit, mit der er von Jugend auf zu kämpfen hatte, aber in noch weit höherem Grade der lebhafte Drang nach Erweiterung seines geistigen Horizontes, sowie der Wunsch, auch anderwärts Land und Leute kennen zu lernen, veranlaßten ihn, im Jahre 1843 seinen ärztlichen Wirkungskreis zeitweilig aufzugeben und als Hauslehrer in die Schweiz zu gehen.

Berthold Sigismund.

Der Aufenthalt in der Schweiz und zumal die mit seinem Zögling unternommenen Alpenreisen gehörten zu seinen angenehmsten Erinnerungen. Ein Universitätsfreund aus England, durch dessen Umgang er in die englische Literatur eingeführt worden war, verschaffte ihm hierauf eine Stelle als Lehrer der deutschen Sprache und Naturgeschichte zu Worksop[WS 1] bei Nottingham. Nach einjährigem Wirken an dieser Schule und mehrmonatlichem Verweilen in London, während welcher Zeit er Englands Sprache und Volk eifrigst studirte, begab er sich nach Paris, um dort die medicinischen Studien fortzusetzen. Bedenklich leidend, aber „mit hellerem Kopfe“ kehrte er im September 1845 zu den lieben Seinen zurück, erholte sich bald unter der treuen Pflege derselben und trieb mit neuem Eifer Naturwissenschaften und englische Literatur. Selbst die ärztliche Praxis wurde wieder aufgenommen. Mit welchem Samaritergeiste er als „schlichter Bauerndoctor“ wirkte, zeigt am deutlichsten seine Gedichtsammlung „Asclepias, Bilder aus dem Leben eines Landarztes“ (Leipzig bei Wöller); sie ist das schönste und rührendste Zeugniß seines tieffühlenden Menschenherzens. „Ein treuer Krankenwärter, der theilnahmsvoll die armen Leute pflegte und weicher ihre Schmerzenskissen legte“, beklagt er es nicht, wenn ihm der Beruf selbst am Sonntag keine Ruhe und Erholung läßt:

„Ich finde, und das ist mein schönstes Fest,
Auch Sonntagsfreuden an dem Werktage.“

Freilich kam er bei seiner Praxis auf „keinen grünen Zweig“ und opferte ihr noch dazu seine Gesundheit; dagegen fand er in derselben mehr denn je Gelegenheit, seine Volks- und Menschenkenntniß zu erweitern und seine menschenfreundliche, edle Gesinnung zu bethätigen. Auch nach einer andern Seite hin geschah dies, als ihn das Vertrauen seiner Mitbürger zum Oberbürgermeister in Blankenburg wählte. Dieses Amt, dessen Verwaltung in die verhängnißvollen Jahre 1846–1850 fiel, brachte ihm aber auch trotz seiner Redlichkeit, Milde und Freundlichkeit gar manche bittere Erfahrungen, deren er jedoch später nur lächelnd gedachte, und er folgte daher um so lieber dem Rufe als Professor der Naturwissenschaften und der englischen Sprache an das Gymnasium zu Rudolstadt, als ihm diese Stellung einen Wirkungskreis bot, der ganz seiner Neigung und Befähigung entsprach. Ruhe und Milde, Liebenswürdigkeit und Charakterstärke, klarer, anziehender Vortrag machten seine Lehrerwirksamkeit zu einer höchst segensreichen. Als gewiegter, umsichtiger Schulmann zeigte er sich namentlich in seiner letzten Schulrede über die Einführung Shakespeare’s als Schulschriftsteller. Zu Ende des Jahres 1851 verheirathete er sich, ein Schritt, der sein Lebensglück zu einem vollkommenen machte. Von dieser Zeit an entfaltete er trotz seiner wankenden Gesundheit eine Thätigkeit, die wahrhaft bewunderungswürdig zu nennen ist, wenn man bedenkt, daß er neben den zahlreichen Berufsgeschäften und Privatstunden nicht nur die eigenen Kinder unterrichtete und leitete, sondern auch noch Zeit erübrigte, seine Lieblingsstudien zu pflegen und nach außen durch Wort und Schrift gemeinnützig zu wirken. Der Gewerbeverein, dessen Präsident er war, die Fortbildungsschule

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Workshop
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 541. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_541.jpg&oldid=- (Version vom 28.8.2022)