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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Union für die allein richtige erklärte, jedoch große Lust gehabt hatte, eine Ladung Salz auf einem leichtgehenden Schooner von Nassau nach Wilmington, Nord-Carolina, einzuschmuggeln, und noch gelegentlich die Aengstlichkeit seiner Associés verwünschte, die ihre Bedenken gegen Blokadebrecher trotz südlicher Sympathien und enormer Profite im Fall des Durchkommens des Schmuggelschiffes nicht überwinden konnten. Alle diese Debatten und Gespräche gingen auf dem Deck der ersten Kajüte vor sich, denen die Passagiere der zweiten Kajüte, über die aus einer Messingstange bestehende Grenze sich legend, andächtig lauschten, Freude äußernd über jede neue Tiefquarte, die den Vertheidigern der südlichen Aristokratie beigebracht wurde. In der zweiten Kajüte nahm dieselbe Debatte eine noch lebhaftere Richtung. Ein exconföderirter Soldat erregte förmlich die sittliche Entrüstung des im Eingang erwähnten Pittsburger Abolitionisten, der, von einem Schuhmacher zum Doctor der Homöopathie emporgekommen, nach den Grundsätzen der letzteren Heftigkeit mit Heftigkeit erwiderte. Der conföderirte Exsoldat versuchte jedoch, um zu imponiren, einen Staatsstreich: um seine Verachtung gegen die Vereinigten Staaten mehr als symbolisch auszudrücken, zerriß er plötzlich vor Aller Augen eine Fünfzig-Dollar-Vereinigte-Staaten-Banknote. Der Effect dieses selbstverleugnenden Patriotismus war für den Augenblick nicht übel, jedoch ging er bald darauf durch die Entdeckung verloren, daß die Banknote nichts werth war, weil nachgemacht. Die Versteigerung einer conföderirten Hundert-Dollar-Note im Salon der ersten Kajüte, obgleich nur zum Scherz veranstaltet, brachte eine Amerikanerin aus Alabama, die mit ihrem deutschen Manne in deutschen Bädern Gesundheit suchen wollte, vollständig aus dem Häuschen. Sie verbat sich dergleichen Verhöhnungen ernstlich. Ein unterdrücktes Lachen war die Antwort der Umgebung.

Die zahlreichen, von der Seekrankheit nicht berührten Kinder wurden allmählich mit dem Gehen auf Deck so vertraut, daß sie sich anfaßten und hintereinander herliefen. Springseile tauchten auf und ein junger Costa-Ricaner, der in einer osnabrückschen Handelsschule von unserer Cultur beleckt werden soll, übte sich im Werfen eines Lasso, zu dem er einen Strick annähernd hergerichtet. Die dreiundvierzig Kinder der ersten Kajüte, obgleich in verschiedenen Sprachen (spanisch, französisch, englisch und deutsch) erzogen, wußten sich doch bald zu verständigen, mittels des Englischen. Unter denjenigen, die bei allem Wetter stets das Deck als Seekrankheit-Assecuranzbureau behaupteten, fiel eine kleine, zierliche Amerikanerin in’s Auge nebst ihrer kleinen Tochter, einem Kinde von jener durchsichtigen feinen Gesichtsfarbe, die man in England und Amerika so schön findet. Sie war die reiche Frau eines talentvollen deutschen Malers, der sie in Southampton erwartete, um mit ihr über Paris nach Rom zu geben, wirklich begrüßte auch der Herr Gemahl auf der Rhede von Cowes (Southampton gegenüber) die so kostbare Gemahlin mit nicht geringer Freude, war jedoch unangenehm überrascht, in einem der deutschen Passagiere einen Mann zu entdecken, dem er vor Jahren, natürlich in einem genialen Anfalle, welchen die prosaische Welt nicht als solchen anerkennen wollte, fünfzig Dollars in New-York entwandte. Der Bestohlene war jedoch mit Rücksicht auf die niedliche Frau großmüthig genug, sich damit zu begnügen, auf dem Deck hin- und hergehend scharfe Blicke auf den „Genialen“ zu schleudern und ihm die Minuten zu Stunden zu machen, die bis zur Abfahrt des kleinen Dampfers verrannen, welcher zunächst das Gepäck von etwa sechszig Passagieren nebst 900,000 Dollars in Gold einzuladen hatte.

Welche merkwürdigen Begegnungen mitunter vorkommen, bewies der Fall zweier Juden, die vor achtundzwanzig Jahren auf demselben Segelschiffe nach Amerika fuhren und jetzt zum ersten Mal sich auf der „Amerika“ wiederfanden, die Beide derselben Heimath entgegenführte. Der letzte Sonntag, den man voraussichtlich auf dem Meere zusammen verlebte, wurde besonders gefeiert; von einem Dutzend, wenn nicht gar dreizehn Passagieren, ward eine feierliche Bowle Ananas-Punsch beim Oberkellner, oder ceremonieller „Head-Steward“, Hupe beordert und einige Stunden lang mit Toasten und obligaten Reden genossen, welche verschiedene am andern Ende der Kajüte vorhandene Whistpartien nervös machten.

Des braven Capitains Wessels Gesundheit wurde natürlich mit Pathos getrunken und er mit dem Nordstern verglichen, an den der Schiffer in stürmischen Nächten mit unwandelbarem Vertrauen als seinen Wegweiser sich hält. Aber diesem Klimax der geselligen Stimmung folgte rasch eine Reaction. Erstaunt über die eigne Kühnheit, zogen sich die Meisten wieder in das Schneckenhaus des Particularismus zurück, um gegen Ende der Reise in Atomen nach allen Gegenden der Windrose zu zerfahren. Das moderne Oceandampfschiff steht zu dem Segelschiff in demselben Verhältniß, wie die Eisenbahn zu dem immer mehr in Seitenthälern verklingenden Postwagen. Das Zeitalter der so viel gepriesenen deutschen Gemüthlichkeit ist vorüber oder doch nur ein schwacher Abglanz der romantischen Blütheperiode noch sichtbar. Dagegen sind auf der andern Seite die sehr wesentlichen Verbesserungen und Annehmlichkeiten nicht zu übersehen, welche die jetzige Art des Seereisens bietet.

Das Leben auf einem Bremer oder Hamburger Dampfschiffe insbesondere unterscheidet sich von dem in einem großen Hôtel nur dadurch, daß das Schiff auf dem Wasser schwimmt und mitunter die Flaschen, Gläser und Teller von den Tischen herab unwillkommene Besuche auf dem Schooße der Passagiere abstatten. Sonst hat man seine Milch zum Kaffee, Dank der Condensationserfindung, frisches Fleisch aller Art, Dank der Eiskammer, und Wasser genug für alle Zwecke, Dank dem Condensator der siebenhundert Pferdekraft starken Dampfmaschine. Ein eigener Pasteten- und Tortenbäcker sorgt für die feineren Ansprüche der Zunge, d. h. für die der ersten Kajüte. Die Zungen in der zweiten müssen Epikur aus eigenen Ressourcen opfern oder mehr pythagoräisch leben. Für die Unterhaltung des Geistes sorgt eine Bibliothek, der Mehrzahl nach aus deutschen Werken bestehend. Für Amerikaner bieten sich Dickens’ Household Words, Swift’s Werke u. A. dar, für Franzosen Le Sage’s Gil Blas, Racine und Corneille.

Auf der „Amerika“ gab es ferner regelmäßig des Abends Concerte. und zwar sowohl von Blas- wie von Streichinstrumenten. Das Orchester bildeten sieben oder acht Kellner oder Aufwärter der zweiten Kajüte. Sie hatten ein ganz niedliches Repertoire und verstanden es trotz allem Geschaukel des Meeres den Bogen gerade zu halten. Ob diese Kellner erst Musiker wurden, um ihren sehr mäßigen Lohn aufzubessern, oder ob sich Musiker in Kellner umwandelten, um durch Betreibung von zwei Geschäften sich ein besseres Leben auf dem Meere zu bereiten, können wir nicht sagen. Die Jagd nach Geld war jedenfalls bei allen Schiffsangestellten vorherrschend. Alle hatten ihre Kajüten geräumt, vom Schiffsdoctor und Oberkellner bis zum Heizer herab, um die ersteren dafür vierzig Dollars, die letzteren zehn bis zwölf Dollars extra zu verdienen. Ihre Schlafstellen waren an Passagiere gegeben, die in den Staatszimmern kein Unterkommen mehr finden konnten. Des Nachts sah man daher im Salon der ersten Kajüte unter den Tischen schlafende Kellner, auf den Sophas schlafende Schiffsdoctoren und Oberkellner, und selbst im Zwischendeck ließ der „heilige Goldhunger“ Heizer und andere Angestellte ihr Exil von ihren eignen schönen Lagerstätten ertragen. Selbst die Speculation feiert unter diesen amerikanisch-deutschen Amphibien der Oceandampfschiffe ihre Triumphe. So belohnte sich das Vertrauen des Oberkellners auf den Sieg der guten Sache der Vereinigten Staaten durch eine ziemliche Reihe Goldstücke. Er hatte mit seinem deutschen Golde amerikanische Banknoten gekauft, als dieselben, an Gold gemessen, kaum vierzig Cent per Dollar werth waren, und er wechselte sie eben jetzt um, als der Dollar (Papiergeld) nahezu auf achtzig Cent in Gold wieder gestiegen war. Er bedauerte nur, seiner Zeit nicht sein ganzes Geld in amerikanischen Papieren angelegt zu haben.

Nach einer Fahrt von dreizehn Tagen warf das Dampsschiff in der Mündung der Weser Anker und die Ausladung begann. Daß nur amerikanische Häfen Wasser genug haben, um zu jeder Zeit das Einlaufen von Schiffen zu gestatten, erfüllte die Herzen der Amerikaner mit Stolz und tröstete sie über das unfreundliche Wetter bei der Pilgerreise auf dem Deck des kleinen Dampfers nach Bremerhaven. In Geestemünde erfolgte die erste Berührung mit dem Staat, die Republikanern so verhaßt ist, nämlich Zollbeamle visitirten die unschuldigen Mantelsäcke der Passagiere, klebten Stempel selbst auf alte Hüte und legten die Plombe um die Waggons, in denen sich das Kisten- und Koffergepäck der Leute befand. Merkwürdigerweise werden für diese Gepäckmassen vom norddeutschen Lloyd keine Marken oder „checks“ ausgegeben, so daß auf dem Bremer Depot nach Ankunft des Extragepäckzugs spät Abends allemal eine ziemliche Verwirrung entsteht, indem verschiedene Hundert Leute gleichzeitig aus Hunderten von Koffern und Kisten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 538. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_538.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)