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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Wallfahrten von Männern und Frauen, Jünglingen und Jungfrauen, die aus Polen. Böhmen, Mähren, der Lausitz und den angrenzenden Ländern zur Quelle des Heiles kamen. Blieben die Eltern zu Hause, weil sie die weite Reise nicht machen konnten, so schickten sie ihre erwachsenen Söhne und Töchter nach Offenbach.

Das Palais wurde, so lange Frank darin wohnte, sehr strenge bewacht. Unten am Hauptthore an der Baumallee, wo man noch die zwei Schilderhäuser sieht, standen zwei von den grün uniformirten und rothbewesteten Leibhusaren mit gezogenen Säbeln auf Posten. Im Innern des Hauses und am Eingang in die Gemächer des heiligen Herrn schilderten zwei Mann mit derselben Bewaffnung. Er selbst lebte in seiner olympischen Abgeschlossenheit, handhabte aber im Hause die strengste Disciplin und schien wie durch unsichtbare Canäle von Allem Kenntniß zu haben, was in der Nähe oder in der Ferne vorging. Es war eine Ordnung, eine Unterthänigkeit, ein Zusammenhang, wie zwischen den Profeßhäusern der Jesuiten und ihrem General in Rom, nur war hier in Edom eine größere Ehrfurcht. In Folge dieser strengen Zucht fielen niemals Unordnungen oder Streitigkeiten unter den Hausgenossen oder mit andern Bewohnern von Offenbach vor, welche eine gerichtliche Klage nöthig gemacht hätten und wodurch die bürgerliche Justiz zur Untersuchung der Sache hätte veranlaßt werden können. Denn damit wären die Geheimnisse des Hauses leicht offenkundig geworden. Ein solcher Fall wurde auf das Sorgfältigste vermieden.

Viel besprochen wurde von den Offenbachern, daß die Leibhusaren sammt den übrigen Hausbewohnern im Garten oder im Keller Waffenübungen anstellten. Zu welchem Zweck? fragt sich: etwa zur Vertheidigung des Reiches der Edomiter bei Angriffen, oder zur Eroberung des Stammlandes Polen, welches bereits in Stücke zerfallen war? dieses Letztere hat man außerhalb des Hauses vermuthet und den Glauben gehabt, daß Frank ein politischer Messias für Polen sei. Eben so sonderbar war es, daß im Hause ein chemisches Laboratorium unterhalten und chemische Experimente angestellt wurden, ohne daß man weiß, wozu diese Arbeiten haben dienen sollen.

Da die Secte sich äußerlich zur katholischen Religion hielt, in Offenbach aber eine Kirche dieser Confession damals nicht bestand, so fuhr der heilige Herr jeden Sonntagmorgen in seiner Prachtcarosse mit den vier Schecken und in Begleitung mit Spießen bewaffneter Leibhusaren am linken Ufer des Mains hinaus nach dem hart an diesem Flusse gelegenen Isenburgischen Ort Bürgel, der katholisch ist. Vor demselben stieg er dann aus, trat unter einen Baldachin, den vier Chorknaben trugen und dem stets ein langer Zug seiner Anhänger von achthundert bis eintausend Personen nachfolgten, und zog in die Kirche zur Messe. Viele Landleute aus den benachbarten Orten Fechenheim, Rumpenheim, Mühlheim etc. fanden sich oft unter den Baumgruppen am Mainufer ein, um den geheimnißvollen Polakenfürsten zu sehen, der sich aber von der schaulustigen Menge nicht gern begaffen und sie durch die Leibgardisten zurückweisen ließ. Immer trug er seinen rothen Talar sammt Mütze, die er auch in der Kirche nicht ablegte. Für die katholische Messe verrieth er eine große Sympathie und scheint darin, daß die vom Priester angehauchte und consecrirte Hostie in den Leib Gottes verwandelt wird, eine Analogie mit sich selbst als dem verkörperten Edomitergott erblickt zu haben.

Trotzdem unterhielt er seinen eigenthümlichen Cultus, dessen Beschaffenheit sorgfältig geheim gehalten wurde. Daher fuhr er jeden Nachmittag um vier Uhr mit gleichem Gepränge in den hinter der Tempelseemühle gelegenen Wald, wo er sich ein kleines Bethaus hatte errichten lassen. Hier betete er auf einem prächtigen Teppich der Länge nach ausgestreckt und mit dem Gesicht gegen die Erde, worauf der mit Schellen behangene Reiter die Stelle aus dem Spritzenschlauche mit Wasser übergoß. Man fragt vergeblich, was die Schellen bedeuten sollten, und warum der Fleck Erde durch eine symbolische Handlung übernäßt worden ist. Es giebt keine Religion, die einen ähnlichen Gebrauch hat und woraus sich diese Handlung erklären ließe.

Daß er auch Hoherpriester der Edomitersecte war, zeigte sich einst, als er durch Offenbach in der Richtung nach Frankfurt fuhr. Das Glasverdeck der Carosse war wie gewöhnlich inwendig mit grünen Vorhängen gegen jeden Einblick sorgfältig geschlossen. Da ereignete es sich, daß durch irgend einen Zufall eine Scheibe des Verdecks sprang. Sofort wurde von innen der grüne Vorhang zurückgezogen und mehrere Vorübergehende erblickten den heiligen Herrn nicht in dem gewöhnlichen rothen Talar, sondern in einer ganz anderen Kleidung, welche einige Aehnlichkeit mit der des Hohenpriesters im jüdischen Alterthum hatte. Besonders fiel ihnen ein glänzendes Brustschild auf, welches aus einem Rechteck mit zusammengefügten Edelsteinen bestand und der Form des ehemaligen Urim und Thummim (symbolischer Brustbilder der jüdischen Hohenpriester, welche Licht und Recht andeuten sollen), entsprach. Bei diesem Unfall mußte die Carosse augenblicklich umkehren.

Seine Wohlthaten waren auch in Offenbach ebenso kolossal, wie die Fässer mit Geld, die ihm aus fernen Landen zukamen. Besonders unermüdlich in Spenden an die Armen war seine Tochter, Fräulein Frank, dieselbe, welche sich später als eine Romanowna bezeichnet hat, diese schöne Orientalin mit dem tiefen seelenvollen Feuerblick, mit dem schwarzseidenen Stirnband, auf dem eine Reihe von Perlen und Edelsteinen glänzte, mit dem um den Kopf geschlungenen schneeweißen und durchsichtigen Spitzenschleier, unter welchem dunkle Haarwellen auf den blendend weißen Nacken hervorquollen, mit dem langen, faltenreichen Gewand von himmelblauer Seide. Daher wimmelte es an festgesetzten Tagen vor dem Schlosse auf der Promenade von Bedrängten aller Art, die um eine bestimmte Stunde, wo die Thorflügel des Schlosses geöffnet wurden, unter die Thorhalle traten. Die wachestehenden Leibhusaren hatten Befehl, diesen Zugang zu gestatten. Da erschien Fräulein Frank mit vollen Händen und theilte in reichster Fülle aus. Ach, sie hat nicht geahnt, daß eine Zeit kommen könnte, wo sie mit ihren beiden Brüdern in Noth und Dürftigkeit versinken würde! Aber damals schien sie von dem Glanze ihres Vaters, als verkörperten Gottes der Edomiter, bestrahlt zu sein.

Darin mochte es seinen Grund gehabt haben, daß ein jüdischer Jüngling aus einer angesehenen Familie in Frankfurt von ihren Reizen entzückt wurde, sehr häufig nach Offenbach kam, die Promenade auf- und abging, sehnsüchtige Blicke hinauf nach ihrem Fenster warf, wo sie wohnte, und sich jedesmal verbeugte und den Hut zog, wenn nur ein Wind die grünen Gardinen am Fenster bewegte. Allein die schöne Orientalin gab keiner Liebeswerbung Gehör. Nie nahm sie irgend ein Geschenk als Zeichen der Verehrung an. Nie folgte sie einer Einladung zu einem Balle. Vielmehr liebte sie sammt ihren beiden Brüdern Rochus und Joseph die Abgeschlossenheit, die ihr Vater für seine Person noch strenger hielt, sich niemals öffentlich sehen lassend und nur dann und wann mit seiner rothen Mütze und seinem weißen Bart hinter den Fenstern seiner Gemächer oder hinter dem Glasverdeck seiner Carosse sichtbar werdend. Niemand durfte in seine Gemächer treten, mit Ausnahme des Arztes, wenn er krank wurde.

Immer galt Frank bei den Edomitern noch für unsterblich, für unverweslich, für ewig. Das war eine Täuschung, aus der sein Anhang mit Schrecken erwachte. Denn unerwartet, wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel, trat der Tod des heiligen Herrn am 10. December 1791 ein. Frank starb an einem Schlagfluß in einem Alter von beinahe achtzig Jahren. Schrecken und Jammer im Hause waren unbeschreiblich, denn nicht genug, daß der Nimbus des Gottes wie ein Nebelgebilde zerronnen war, wußte man nicht, was aus der Secte der Edomiter werden sollte.

Am 12. December desselben Jahres fand sein Leichenbegängniß bei einer bittern Kälte statt und wurde nicht allein mit mehr als fürstlicher Pracht begangen, sondern auch, durch das tiefgefühlteste Leid geheiligt. Alle seine Anhänger, deren Zahl sich damals in Offenbach auf ohngefähr achthundert Personen belief, gingen mit in tiefster Trauer. Voran die Frauen, verheirathete und unverheirathete, zweihundert an Zahl, in weißer Kleidung, die Haare mit weißem Band durchflochten und mit brennenden Wachskerzen in der Hand. Nach denselben kam die Leiche im offenen Sarge, eingekleidet in den rothseidenen Talar, den er im Leben getragen hatte und der mit Hermelin gefüttert war. Der Sarg wurde von der Dienerschaft getragen. Hinter demselben schritten seine drei Kinder, dann folgte die übrige Dienerschaft des Hauses nebst der siebenzig Mann starken Leibgarde. Den Beschluß machten die männlichen Personen, mit brennenden Fackeln in den Händen, die Haare gleichförmig mit einem weißen Band gebunden und die Arme mit weißem Flor umwunden. So ging der Zug durch Offenbach nach dem allgemeinen Begräbnißplatz. Hier setzte man den Sarg ab und schloß denselben mit dem Deckel. Der Sarg war ganz mit

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