Seite:Die Gartenlaube (1865) 515.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Für sie kaum schlimmer, als es ist. Was wäre für sie ein Leben, wie sie jetzt es führt? Was wäre ihr der Tod, bei solchem Leben?“

„Aber Du!“

„Warum soll ich nicht mein Leben daransetzen, ein solches Geschöpf gerettet zu sehen?“

„Aber sie könnte doch niemals glücklich sein, wenn sie Dich tödtete!“

„Das wäre dann ihre Sache.“

„Und Du könntest es doch auch nicht sein, wenn Du sie –“

„Wer fragt dabei nach mir! Und muß es denn gleich gestorben sein? Ah, bah! Es trifft und stirbt sich nicht so leicht. Und dann: es hat nun einmal ‚der Götter Wille‘ ein Ungemeines uns aufgelegt, seltsame Geschicke für uns heraufbeschworen. Wir sind also auch keine gewöhnlichen Menschen, darum laß uns das Ungewöhnliche wie unseres Gleichen ansehen und behandeln. Wahrhaftig es ist ja am Ende auch nicht der Mühe werth, immer so im Train des Alltagslebens umherzukreisen und zuletzt im Dunst des Werkeltags zu zerstäuben. Und ist es Unsinn, so wollen wir den Unsinn mit Methode begehen.“

Eine merkwürdige Mischung von schmerzlicher Ironie und Begeisterung lag in der ganzen Art und Weise, wie der Doctor sprach. Sein Freund hatte den sonst so ruhigen, phrasenlosen Mann noch nie so gesehen, desto hinreißender, ja imponirend, erschien er ihm jetzt. Er gab sich ihm ganz hin und übermüthig rief er aus:

„So sei’s denn gewagt! Und auf die Kniee der Götter lege ich den Ausgang.“

Er eilte zu seiner Schwester und rief ihr entgegen: „Der Doctor nimmt Deine Forderung an! Im vollsten, wahrsten Ernst nimmt er sie an!“ setzte er mahnend und warnend in strengem Tone hinzu. Ihre Augen flammten auf, dann wurde sie plötzlich blaß und schaute vor sich hin, bis auf einmal ein heißes Roth ihr Antlitz färbte.

„So bin ich noch nie verstanden, noch nie geehrt worden,“ antwortete sie mit strahlendem Blick. „Und wer das vermag, der ist bedeutender, als ich jemals einen Menschen kannte. Ich habe ihm Unrecht gethan – er ist doch ein großer Charakter.“

„Bei Gott, das ist er!“ rief der Graf freudig bewegt aus; er hoffte, daß die Schwester ihr Vorhaben aufgeben würde. „Und nun,“ fuhr er fort, „solltest Du ihm auch die Hand reichen zur Versöhnung und –“

„Wenn’s geschehen ist,“ entgegnete sie kalt und stolz, „und wir uns die Hände noch reichen können, gewiß! Aber nicht eher.“

„Verstehe mich und ihn nicht falsch,“ antwortete der Graf, „es war nur so ein Augenblick von Hoffnung, der mir entgegenflog, daß Du Dich eines Andern besonnen. Du sollst Deinen Willen haben, ganz und gar, und dann komme über Dich, was kommen mag.“

„Es komme!“ sprach sie gelassen und reichte ihm die Hand. „Aber nun sorge auch, daß es bald geschieht. So rasch wie möglich.“

„Gewiß! Es sind indessen doch noch mancherlei Bedenken – –“

„Was für Bedenken?“

„Formen, Vorsichtsmaßregeln, Secundanten, Unparteiischer, Wundarzt. Das Alles will sehr erwogen, will doppelt vorsichtig behandelt sein.“

„Ist das Alles nothwendig? Warum sind nicht wir Drei genug? Warum kannst Du nicht Secundant für uns Beide und zugleich Unparteiischer sein? Wir verlassen uns Beide auf Dich, daß Du treu und wie ein Ehrenmann die Sache führst. Das Uebrige ist unsere Sache. Hat man nicht Beispiele, daß es auch so erledigt wurde?“

„Möglich!“

„Nun also! Drum ohne Säumen. Auch ihm wird’s so wohl genehm sein. Eiligst denn, schon morgen! Morgen früh!“

„Aber der Arzt, und doch auch wohl weibliche Hülfe; für den Fall, daß Du selbst getroffen – –“

Sie erröthete einen Augenblick und schlug die Augen nieder; nicht aus Furcht, sondern in Züchtigkeit der Frau. Dann aber sah sie wieder auf und sagte:

„Wir wollen’s erst abwarten, ob solche Hülfe nöthig ist, und sollte wirklich gelitten sein, ei, dann will ich doch lieber mehr und länger leiden, als durch so peinigende Vorkehrungen mich auf ein Schlimmes vorbereiten.“

„Nun, es paßt das eben zu Deiner ganzen Art, zu Deiner – Deiner Extravaganz, und auch hierin muß ich Dir nachgeben.“

„Es wird das Beste sein, Bruder; desto eher werde ich wieder ruhig, laß mich allenfalls noch sagen: gescheidt und vernünftig werden. Doch vorausgesetzt, besteht Dein Freund auf einen Arzt, so füge ich mich.“

„Er würde es nur Deinetwegen.“

„Dann ist’s schon gut! Und nun – auf morgen!“

„Auf morgen! Wirst Du bis dahin noch Deine Angelegenheiten ordnen? Papiere – Briefe.“

„Nein! nein! Ich will nichts thun, als das erwarten, was kommt.“

„Du hättest eine Heldin werden können, während Du jetzt nur – – Gute Nacht, Schwester!“

„Eine Thörin bist! Nicht wahr? O ja, das ist’s! Und deshalb recht bald! Recht bald! Gute Nacht!“

Mit einem schweren Seufzer trennten sich die Geschwister.

Als der Graf seinem Freunde mittheilte, was die Gegnerin wünsche, sprach dieser halblaut: „Ich bin mit Allem zufrieden. Am liebsten sogleich, spätestens morgen in der Frühe.“




6.

Am anderen Morgen in der Frühe hielten zwei Wagen vor einem dichten Gehölz, die Equipage des Grafen und ein Wagen des Hotels Driburg. In jenem saßen der Graf und seine Schwester; in diesem saß Doctor Ludwig. Man hatte im Hotel vorgegeben, eine große Spazierfahrt auf unbestimmte Zeit und Länge machen und unterwegs noch einige Freunde aufnehmen zu wollen. Die Wagen folgten sich in mäßiger Entfernung. An dem Eingang zu dem Gehölz stieg zuerst der Graf aus, eine Pistolencassette vorsichtig unter dem langen Sommermantel verbergend. Bald war die Schwester an seiner Seite, und schweigend, wie sie im Wagen gesessen, gingen sie in den Wald. Gleich darauf folgte ihnen der Doctor. Den Kutschern war die Weisung gegeben, hier zu warten, bis die Herrschaften von ihrem beabsichtigten Waldgang zurückkehren würden. Der Graf kannte den Platz, wo schon manche Kämpfer sich gegenüber gestanden hatten. Er war weit und hell und lag doch dicht umbuscht und einsam da. Als der Platz erreicht war, stellte der Graf seine Cassette auf eine kleine bemooste Steinplatte und wandte sich dem herantretenden Doctor zu. Ebenso die Gräfin. Es gab eine stumme, ernste Begrüßung und einzelne Sonnenstrahlen fielen durch die hohen Wipfel auf bleiche Wangen. Ringsum war es still. Der Graf öffnete den Kasten und lud die Pistolen. Die beiden Gegner folgten unwillkürlich jeder seiner Bewegungen, standen aber fest und ruhig da. Der Graf maß zehn Schritt Barrière ab und deutete den Gegnern durch Zeichen ihre Plätze an. Dann faßte er mit der Rechten die Pistolen an, warf ein Taschentuch darüber und schritt zum Doctor hin, die Schafte der Pistolen zur Wahl ihm vorhaltend. Der Doctor ergriff ohne Wahl den ersten Schaft, den seine Finger berührten; den zweiten bot der Graf jetzt seiner Schwester dar. Sie faßte ihn an wie einen Stein, den man ohne Nachdenken aufhebt und fortwirft.

Nun standen alle Drei wieder regungslos, und noch immer war es grabesstill rings umher. Aber der Zeitpunkt war da, wo der Graf in seiner Eigenschaft als Unparteiischer noch den üblichen Vermittelungsversuch anstellen mußte. In diesem Augenblick war es ihm, als wenn er plötzlich aus einem somnambülen Zustande erwache. Er sah in der ganzen Situation, worin er sich mit Freund und Schwester befand, das schauerlich komische Spiel einer überreizten Phantasie, zugleich eine sündhaft thörichte Frivolität. Es wirbelte ihm vor den Sinnen; waren es denn wirklich Freund und Schwester, waren es wirklich vernünftige, selbstbewußte Wesen, die er vor sich sah? Und doch, sie waren es! Wie standen sie so sicher und ruhig, so klar und stolz da vor ihm! Es gab keinen andern Ausweg, das Entsetzliche mußte geschehen. In ruhiger Form vollzog er darum nach beiden Seiten hin seine Pflicht als Vermittler. Umsonst!

„Ich kenne nur den einen Weg der Ausgleichung: die vollständigste Bitte um Verzeihung und die unzweideutigste Bekennung begangenen Unrechts von Seiten meines Gegners,“ antwortete die Gräfin.

„Ich habe mein Wort gegeben, mich der Forderung meiner Gegnerin zu stellen, und ohne dies Wort zurückzubekommen, muß ich es halten,“ antwortete der Doctor.

„Und Du wirst dieses Wort nicht zurückgeben?“ wandte sich der Graf an seine Schwester.

„Wenn er es nicht verlangt: Nein!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 515. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_515.jpg&oldid=- (Version vom 3.10.2022)