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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Der „Friesen“ des schleswig-holsteinischen Heeres.
Nach dem brieflichen Bericht eines Augenzeugen.

Die Kampfgenossen des schleswig-holsteinischen Krieges aus den Jahren 1848, 1849 und 1850 werden sich noch mit freudiger Wehmuth des Wackern erinnern, dessen mit Bleistift geschriebenem, kaum mehr lesbarem Briefe wir die nachstehende interessante Mittheilung entnehmen. War er doch der Geliebteste und Beliebteste unter allen Cameraden, eine treuherzige, blonde Heldengestalt, „hochhäuptig über Alle,“ in Wesen und Aeußerem viel ähnlich jener herrlichen Erscheinung aus den deutschen Befreiungskriegen, von welcher uns Jahn und Arndt begeistert erzählten; und so hieß er denn auch mit Recht damals allgemein der „Friesen“ des schleswig-holsteinischen Heeres. Es war der Lieutenant P. C. Ohlsen aus Seegard in Angeln. Er hatte früher unter den Dragonern gedient und war nach Ablauf seiner Zeit ein tüchtiger Landmann geworden. Als die Herzogthümer sich „gegen den Brief“ erhoben, verließ er den Pflug und die Bücher, um als Freiwilliger in das Corps des Grafen von Rantzau zu treten; der Thatendrang trieb ihn aus diesem in das Aldosser’sche, später von der Tann’sche Freicorps, in welchem er es rasch zum Zugführer und Adjutanten brachte.

Der Einsender ist damals sein Camerad gewesen und hatte wenig liebere Freunde unter der ganzen wilden Schaar. Wir fochten zusammen bei Holtsee (Eckernförde), Missunde, Klein-Solt, Flensburg, Aroesund. Bei Hoptrup zeichnete sich Ohlsen besonders aus – wie er denn überall der Vordersten Einer war, der den riesigen Pallasch um das gewöhnlich entblößte Lockenhaupt schwang gleich einer zum gewissen Siege führenden Standarte. Ein vorzüglicher Reiter und Fechter, Ringer, Schwimmer und Läufer, besaß er eine ganz ungewöhnliche Körperkraft, die er oft im Scherz, aber auch herrlich im blutigen Ernst bewährte. Feinde hatte er nicht; ein Wink von ihm vermochte mehr, als des Hauptmanns eifrigstes Gepolter. Die Neu-Organisation der schleswig-holsteinischen Armee führte den Lieutenant Ohlsen in das vierte Jägercorps. Er war in den Schlachten und Treffen bei Kolding, Gudsoe und vor Friedericia immer der Bravste unter den Braven, und erhielt nach der letzteren Affaire das wohlverdiente Kreuz. Unter Willisen kämpfte er bei Idstedt, Missunde und Friedrichsstadt; den Sturmversuch auf die letztere Festung nannte er „eine tolle That“, aber er that seine Schuldigkeit, während die besten Freunde rings um ihn fielen, wie die Flocken, unverletzt, als sei er gefeit.

Als das schleswig-holsteinische Heer aufgelöst ward, sagte er dem verlorenen Vaterlande Valet und trat in der Bitterkeit seines Herzens in die deutsch-britische Legion, um den Tod auf entlegenen Schlachtfeldern zu suchen. Er ist ihm geworden, wenn auch nicht so, wie er ihn wünschte. Zwar ist es dem Einsender unbekannt, ob Ohlsen mit in der Krim gewesen ist; dagegen weiß er mit Bestimmtheit, daß er mit der Mehrzahl seiner Cameraden nach Südafrika wanderte und sich mit ihnen in British-Kaffraria ansiedelte. Hier fiel er, der Erste, durch einen heimtückischen Kaffernpfeil, auf das Tiefste betrauert von seinen Freunden und Allen, die ihn kannten.

Dieser hochherzigen deutschen Heldengestalt ein kleines Denkmal zu setzen, ist der Zweck der nachstehenden Mittheilung, nicht der, eine Wunde wieder aufzureißen, die heute, nach sechszehn schweren Jahren, noch nicht vernarbt ist. Möge, wenn das Vaterland wiederum sich erhebt für die heiligen Güter seines Heerdes, ihm nicht der „Friesen“ fehlen, der ihm ja bisher jedesmal erstanden ist! Und möge, wenn von den kühnen Jünglingen erzählt wird, welche freudig Gut und Leben hinwarfen, um ihr Volk von fremdem Joch zu befreien, auch der Name „Ohlsen“ ein bescheidenes Plätzchen finden! – – Lassen wir nun jenen Brief sprechen:

Zwei Tage sind vorüber nach der blutigsten Katastrophe dieses unheilvollen Feldzuges! Wir sind geschlagen, gejagt worden, wir haben Alles verloren, aber nicht die Ehre! Das ist auch unser einziger Trost. Der Blick in die Zukunft ist noch trüber, als der auf die Gegenwart – was soll aus uns, was aus unserem lieben Vaterlande werden? Seit zwanzig Tagen lagen wir vor Friedericia. Dies ist eine Festung nordöstlich von Kolding, dicht am kleinen Belt, welcher hier nicht breiter ist, als ein mächtiger Strom; man erreicht die gegenüberliegende Küste der Insel Fünen etwa in einer Viertelstunde. Die Festung gilt für sturmfrei, d. h. sie kann nur mittels regelmäßiger Blokade und durch Beschießung genommen, nicht erstürmt werden; unsere tapferen Jungen glaubten aber nicht daran, spotteten der hohen Cavaliere und Ravelins, der Palissaden und Redouten, der dräuenden Kanonenschlünde und der verheißenen Unterwassersetzung der Umgegend – „wir wollen schon hinein kommen!“ sagten sie, „führt uns nur. Vor Hannemann ist uns nicht bange.“

Meine Compagnie war erst seit drei Tagen von Veile, nördlich von Friedericia, in dem sehr leicht, um nicht zu sagen leichtsinnig, verschanzten Lager eingetroffen; ich bemerke dabei, daß unsere Avantgarde unter Prittwitz seit Ende Mai schon in Aarhuus lag und daß wir uns täglich fragten: „Wann werden wir auf dem Skager-Rak stehen?“

Wir hatten ziemlich bequeme Baracken bezogen; es mangelte nicht an Stroh, das in massenhaften Quantitäten aus den benachbarten Dörfern Jordrup, Bredstrup, Stonstrup und wie sie alle heißen, requirirt worden war; Holz hatten Thore, Knicke und das südwestlich gelegene Vogelsangwäldchen zur Genüge geliefert. Es ist kaum glaublich, welchen Einfluß auf das Wohlbefinden und die Zufriedenheit des Soldaten im Bivouak oder verschanzten Lager das Stroh hat: es ist wahrhaftig das nothwendigste Material nach Speise und Trank, wo es fehlt, da giebt es Kranke in Menge und lauter mürrische Gesichter. Die letzteren fehlten leider unter uns nicht, trotz des vorhandenen Strohreichthums. Wir hatten am 22. April die Dänen aus Kolding gejagt; seit dem 28. Mai war Friedericia von dem Gros der „Reichsarmee“ eng cernirt, aber dies war auch Alles. Wir dürsteten nach Thaten und lagen uns faul die Rücken wund. Keine andere Beschäftigung, als die langweiligen Feldwachen, der Vorpostendienst, hier und da die verhaßte Arbeit des Laufgräben-Oeffnens; zur Abwechselung einige Ausfälle des Feindes, welche stets wie Schein-Affairen aussahen, endlich die regelmäßig wiederkehrenden Requisitionen und Fouragirungen in der Umgegend. Wie zum Spaß und um sein Andenken aufzufrischen, warf der Däne täglich ein paar schläfrige Bomben zu uns herüber, welche man zuletzt gar nicht beachtete. Dem zweiten Jägerbataillon schlug eines schönen Tages ein solches Ungethüm gerade durch den mächtigen Menagekessel, wobei es freilich crepirte; aber mit der köstlichen Bouillon war es diesmal vorbei und ein paar Leute trugen üble Brandwunden davon. Verwundete hatten wir nur sehr wenige, Kranke gleichfalls; das Lazareth befand sich in Viuf.

Gern hätten unsere Artilleristen ihrerseits solche Grüße mit Procenten erwidert, aber höchst selten nur war dies ihnen gestattet, es hieß, „es fehle an Munition und diese müsse gespart werden“; so lagen sie denn mürrisch im Schatten der Faschinen, welche die Rückwand der Landschanzen bildeten, und betrachteten gähnend die über sie hinwegsausende Verschwendung der „Tapperen“. Die gezwungene Unthätigkeit der jungen, aus den heterogensten Elementen zusammengesetzten, aber muthigen und vom besten Geiste beseelten Armee gereichte derselben überhaupt keineswegs zum Nutzen. Es wären Versuche mit Exerciren gemacht worden; dies haßt aber bekanntlich der Soldat nirgends mehr, als im Felde, und so unterblieb es auch bald. Man fragte gegenseitig: „Warum sind wir unthätig? Was geht mit uns vor?“

Ueber die politischen Constellationen der Zeit ist man im Felde selten unterrichtet. Die Nachrichten kamen uns immer vierzehn Tage oder drei Wochen zu spät zu in höchst zerlesenen, kaum noch buchstabirbaren Exemplaren des Altonaer Mercur oder der Schleswigschen Zeitung: wenn wir überhaupt so glücklich waren, solcher unschätzbaren Verkündigungen habhaft zu werden. Daß es sich in Deutschland zum Schlimmen wende, daß in Preußen die Sache Schleswig-Holsteins – wenn überhaupt jemals ernstlich erfaßt! gern aufgegeben werde, wußten wir oder ahnten es viel mehr. Aber es war in uns zu viel guter Jugendmuth, zu vieles Vertrauen auf die Gerechtigkeit unseres Krieges, zu viel Selbstbewußtsein, als daß wir schon an das Aergste hätten denken mögen. Nichtsdestoweniger schüttelten viele Köpfe, zuckten viele Achseln, wenn die Namen der (preußischen) Feldherren genannt wurden, in deren Hand unser und des Landes Schicksal lag; auch

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