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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 32. 1865.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Sie will sich duelliren.
Von Arnold Schloenbach.
1.

Doctor Ludwig, ein berühmter Publicist und abgesetzter „außerordentlicher“ Professor des Staatsrechtes, war in dem Weichbild der kleinen Residenzstadt A. gleichsam internirt. Einige Stunden weiter, und er stand schon an den Grenzen eines Großstaates, dem er drohender Preßprocesse und schon erkannter Strafurtheile wegen entflohen war und der ihn nun steckbrieflich verfolgte.

Für einen Mann, welcher noch in der ganzen Kraft und Fülle seines Lebens und Strebens stand, wie Doctor Ludwig, für einen Mann von Welt und universeller Bildung, der sich seit vielen Jahren im Mittelpunkt der culturhistorischen Strömungen der Zeit bewegt hatte, für ihn mußte das Leben in der kleinen Residenz wohl die mannigfachsten Schattenseiten haben. Indessen hatte er auch schon so vieles und so Bedeutsames erfahren und genossen, gethan und gelitten, daß ihm dieses neue, kleine Stillleben für eine Zeit lang auch recht behaglich, vielleicht nothwendig erschien. Nur dann und wann ergriff ihn große Sehnsucht nach einem echten Kunstgenuß; denn derselbe Mann, der schon manchen Fürsten und Minister erbleichen gemacht hatte, den man von manchen Seiten her für den leibhaftigen Robespierre und Antichrist hielt, wenigstens ausschrie, er war gegenüber einem großen Kunstwerk so sanft und glücklich, wie nur irgend ein Mensch auf der Welt es sein kann, und dem feinen Organismus seiner Seele war ein großer Kunstgenuß zu Zeiten ebenso sehr Bedürfniß, wie seinem Körper die Nahrung, wie seinem Auge das Licht.

So war es auch jetzt wieder über ihn gekommen. Gerade zur selben Zeit, als für die nächste größere Residenz ein paar Concerte von drei der vorzüglichsten Virtuosen der Gegenwart angezeigt waren, von Joachim, Clara Schumann und Stockhausen, gerade zu derselben Zeit bekam Doctor Ludwig einen sehr anregenden Besuch. Graf Bernting war sein Landsmann, sein Jugend- und Universitätsfreund, bis zu einer gewissen Grenze auch sein Parteigenosse. Mit seinem lebhaften Verstande und mit seinem feurigen Herzen, war Graf Bernting der freie Sohn unserer Gegenwart, aber durch Muttermilch und Erziehung, Verwandtschaft und Gesellschaft und die dadurch gebotenen Rücksichten noch ein Sohn seines Standes, der Sohn eines alten, berühmten und reichen Geschlechtes. Und weil man ihn in der Verwandtschaft noch mit einer gewissen traurigen Zärtlichkeit und bangen Hoffnung wie einen kranken Sohn hätschelte und bevorzugte, den Demokraten in ihm noch mit einer scheuen, zurückhaltenden Delicatesse behandelte, so fühlte sich Graf Bernting gleichsam verpflichtet, dies dankbar zu erwidern und nicht rücksichtslos die Fäden zu zerreißen, die ihn noch an seinen Stand und an sein Haus knüpften, Indessen war er auch wieder so durchaus offen und rechtschaffen, hatte sich so wacker und tüchtig für seine politischen Freunde gezeigt, daß er bei diesen immer einen ehrenwerthen Vertrauensplatz einnahm. Wie er nun seinen ältesten Jugend- und Universitätsfreund Ludwig hoch vor allen Anderen hielt, so hatte dieser auch ihn sehr lieb und freute sich jetzt von ganzem Herzen, als der Graf ihn in seinem Stillleben zu A. laut jubelnd begrüßte.

Man kann sich daher denken, wie verlockend es für Ludwig sein mußte, als der Graf mit aller Lebhaftigkeit und Wärme seines raschen Wesens ihn aufforderte, jenem außerordentlichen Concerte in der Residenz D., wo der Graf sich jetzt für kurze Zeit aufhielt, beizuwohnen und ohne Weiteres mit ihm dahin abzureisen. Zwar konnte dies auf Umwegen zu Wagen geschehen, ohne das feindliche Gebiet berühren zu müssen, aber dann ging der Hauptzweck verloren: man kam erst um Mitternacht in D. an, und das Concert sollte Abends stattfinden. Es mußte also mittels Dampfes gereist und dabei eine jener verhängnißvollen Grenzen berührt werden. Die „strategischen Rücksichten und steckbrieflichen Bedenken“, wie der Doctor die Gründe seiner Internirung in A. nannte, wurden indessen von dem Grafen mit folgender Auseinandersetzung zu beseitigen gesucht:

„Wir fahren nicht mit dem Eilzug, sondern mit dem gemischten Zug, der auch bei der kleinen Zwischenstation W. anhält. Dahin begeben wir uns zu Wagen und fahren dann erst mit Dampf. Dort bist Du natürlich ganz unbekannt, hast also nicht zu fürchten, daß man Dir bei dem Einsteigen etwa ein freundliches Telegramm vorausschickt, und kein Mensch wird bei der nächsten Station unseres edlen Großstaates daran denken, daß mein Freund Ludwig incognito durchreist. Zu allem Ueberfluß nehmen wir für einen Thaler schnöden Trinkgeldes ein Coupé für uns allein, und wenn wir in die Nähe des feindlichen Gebietes kommen, schaust Du unablässig zu dem gegenüberliegenden Fenster hinaus, während ich vor dem Perronfenster stehen bleibe und bei irgend einer verdächtigen Erscheinung nöthigenfalls so lange Capriolen und Umstände aller Art mache, bis der Wagen wieder davon dampft. Dann sind wir bald wieder auf neutralem Gebiet, lachen den ehrenwerthen Großstaat aus und schwelgen noch am selben Abend in den herzlichsten Kunstgenüssen. Allons, mein Freund! Rasch entschlossen und frisch gewagt!“

„Nun denn, ihr schönen Geister von Joachim, Clara Schumann und Stockhausen, schützt mich vor den Gensd’armen meines angestammten Vaterlandes! Da hast Du mich, Roller, und ging’s zum Hochgericht!“ Mit diesen Worten reichte Ludwig seinem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 497. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_497.jpg&oldid=- (Version vom 2.10.2022)