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verfaulen läßt, anstatt daraus die zwei Eimer Branntwein, die er für sein Haus destilliren darf, zu ziehen. Leider hat in den letzten Jahren der Branntweintrunk in Tirol sehr um sich gegriffen; in Folge der Traubenkrankheit, welche so manches Bäuerlein des Etschlandes mit Pfändung und Gant bedroht, war der Wein theuer und schlecht und das Bier wegen der hohen Accise weder gut noch wohlfeil, da griff man denn zur Schnapsflasche oder mischte einfach Alkohol, aus dem das Fuselöl stinkt, mit Wasser, das ist der sogenannte „Eisenbahneler“.

Auch die Mädchen verschmähen bei uns den Schnaps nicht; ja es ist sogar nationale Sitte, daß der Bub, wenn er fensterln geht, eine tüchtige Flasche Branntwein mitbringt. Dieses geschieht vorzüglich beim Heimgarten zu Weihnacht; er stellt der Geliebten den Schnaps auf, sie holt aus dem Schrank einen großen Gelten oder Kletzenbrod, in dessen Teig Mandeln, Rosinen und trockene Birnen eingebacken sind. Der Bua muß anschneiden; hat er den Besuch versäumt, so gilt das als Aufkündigung der Liebe und dann ist das Mädchen los und ledig. Los und ledig! ja, es fließt aber dabei manches Thränchen, vielleicht wird es im Fasching getrocknet. Auch im Hochsommer giebt es einen Feierabend, wo der Bursch seinem Dirndl die Flasche ans Fenster bringt, er hat sie diesesmal mit „echtem“ gefüllt, bei dem keine Faser vom Glöcklkraut, einem schönen Enzian, der auch an den Felsen des Thales wächst, verwandt wurde. Der Hies hat ihn aus dem besten Faß gezapft, und so wird auch ihm ein Hoch gebracht. Der Abend oder die Nacht. an der das geschieht, ist vor dem Feste der Himmelfahrt Mariä, welche die Landmädchen als Beschützerin der Jungfrauen – wenigstens im Gebet brünstig verehren. Ob sie aber gerade mit dem Buben, wenn er fensterlt, Rosenkranz beten, lassen wir dahingestellt: Kenner der Volkssitte sind so ungalant, das Gegentheil zu behaupten. Die jungen Bursche, welche sich auf den Almen den ganzen Sommer mit dem Vieh beschäftigen, wollen wenigstens diesen Feiertag, wo die Blumen in der Kirche geweiht werden, im Thal zubringen. Da ist es nun ihr Stolz, den Hut mit einem Strauß geschmückt vor die Geliebte hinzutreten.

„Mit Edelweiß!“ denkt mancher.

Dieses zierliche Blümchen, welches jetzt fast jeder Berliner Gemsenjäger am Hut trägt, wird in Tirol nicht so sehr geschätzt wie in Baiern. in neuester Zeit suchen es jedoch die Kräutersammler und Wurzelgräber auch dort sehr emsig, um durch den Handel einige Kreuzer zu verdienen. Im Flachland meint man freilich, daß sich fast an jeden Stern von Edelweiß ein Abenteuer knüpfe, als ob, wie am Kaffee der Schweiß des Negers, das Blut des Aelplers daran klebe. Dem ist nicht so, es giebt Gegenden, wo man es mit der Sense mähen kann, da hat es eben so wenig Werth wie die Almrose, von welcher der Tiroler behauptet, daß sie nicht blos schnell welke, sondern auch den Blitz anziehe.

Edelweiß und Almrose schätzt ein kecker Tirolerbua selten; sein Stolz ist eine Staude der Jochraute, die er mit der goldenen Hutschnur befestigt. Oft schon mehrere Wochen vor Mariä Himmelfahrt späht er das steile Geschröf aus, um einen schönen Stock auszufinden; weiß er einen, so schweigt er, damit ja Niemand davon erfahre. So Mancher stürzte schon von der Wand und lag zerschmettert, die Jochraute in blutiger Hand, auf der Schutthalde. Wer sich vermißt, Jochraute zu bringen, und leer zurück kehrt, wird lang ausgelacht, daher wagen die kecken Bursche Leib und Leben, um vor dem Mädel zu prangen. Wo es unmöglich ist barfuß oder mit Steigeisen hinzuklettern, wird ein Seil angepflöckt oder von einem Cameraden gehalten, an dem man sich in den schrecklichen Abgrund hinabläßt. Sind Buben und Dirnen in der Höhe um Wildheu zu holen und hat einer Rauten entdeckt, so nimmt er wohl den Schatz an Ort und Stelle. Wie bebt da das Mädchen, wenn es dem kecken Gesellen auf seiner Fahrt zuschaut, und küßt ihn, kehrt er zurück, um so lieber. Eine Episode bei einem solchen Rautenzug hat unser hochwürdiger Freund Mathias Schmid, ein wackerer Tirolerkünstler, in der beigefügten Zeichnung mit viel Humor dargestellt; das Mädchen hält den Buben, der sich in den Abgrund beugt, ängstlich bei der Joppe. Ein verliebtes Dirndl heißt seinen Buben wohl auch: „Mein Rautenstock.“

Wie sieht denn aber dieser gepriesene echte Rautenstock aus? Wie eine Wermuthstaude, mit der er, was schon sein Name: Artemisia glacialis und mutellina, verkündet, nahe verwandt ist. Also sehr unansehnlich, dafür hat er einen würzigen Geruch und wird an manchen Orten dem Branntwein zugesetzt. Der Werth desselben besteht daher, wie bei so vielen Dingen dieser Welt, in der Einbildung, aber:

„Ein lebfrischer Bua
Muß an Rautenstock hab’n!“

A. P.




Eine gefahrvolle Luftfahrt.
Von Johann Heinrich Runge.[1]

Der botanische Garten von Belfast in Nordirland bot ein anmuthig bewegtes Bild. Auf den breiten sauberen Wegen, auf dem frischen grünen Rasen tummelten sich Tausende von Schaulustigen jeden Standes. Der Tag, der dritte Juli d. J., war schön, kaum ein Wölkchen war an dem tiefblauen Himmel zu sehen, und ein sanfter Wind fächelte Kühlung. Der größte Theil der Fabriken und Geschäftshäuser war, dem erwarteten Schauspiel, einer Luftfahrt des berühmten Aeronauten Coxwell, zu Ehren, geschlossen, und außer den zahlreichen Einwohnern unserer gewerbthätigen Stadt, die hinausgeströmt waren, hatten Eisenbahnen und Dampfschiffe noch eine Menge Fremde zugeführt. Alle wollten den „großen Ballon“ sehen.

Damit die zudringende Menge nicht bei der Füllung des Ballons hinderlich sei, war auf einem großen Rasenplatze eine niedrige, aber starke hölzerne Brüstung aufgeführt, aus deren Mitte sich der Koloß erhob. Man mag sich einen Begriff von den Dimensionen des Ballons machen, wenn ich bemerke, daß einhundertzwölftausend Cubikfuß Gas zu seiner Füllung erforderlich waren.

Etwa um fünf Uhr Nachmittags war der Ballon gefüllt; das Schiff, ein viereckiger Korb aus starkem Weidengeflecht von einem Durchmesser von etwa acht bei sechs Fuß und einer Tiefe von vier Fuß, wurde darunter mit Stricken befestigt, Ballast und die nöthigen Apparate, wie ein starkes Tau mit Anker, Karte etc. wurden eingenommen und gegen fünf ein halb Uhr stiegen die Passagiere ein. Mit unserm Capitän, Herrn Coxwell zählten wir eilf Personen; mehr Passagiere konnte der Korb nicht fassen. Ungefähr eine Viertelstunde lang, bevor Alles zur Abfahrt bereit war, schwankte der Riese von einer Seite der Umzäunung zur andern, wie ungeduldig, sich seiner Fesseln zu entledigen, und bei jeder Schwankung wurden Massen der Umstehenden, die ihn zu halten suchten, zu Boden geworfen. Endlich erscholl das Wort „fertig“, ein Druck auf die Feder, an welcher das Haupttau befestigt war – und der Riesenball schwebte ruhig und majestätisch empor unter dem Jubel der Menge. Wir kamen einem Baume nahe. „Ballast hinaus!“ Einige Sandsäcke wurden in die Augen und auf den Sonntagsstaat der Untenstehenden entladen, und die Gefahr war beseitigt.

Eine leichte Brise trieb uns über die Stadt hin in einer nordöstlichen Richtung. Wir stiegen höher und höher. Immer kleiner wurden die Gegenstände unten, ohne indessen viel an Deutlichkeit zu verlieren. Die Menge von über fünfzigtausend Menschen glich bald einem bunten Farbengewirr. Da lag die Stadt mit ihren zahllosen Fabriken, Prachtgebäuden, Schulen, Casernen und öffentlichen Instituten, mit ihrem mastenreichen Hafen unter uns ausgebreitet wie ein niedliches Kunstgebilde. Alle groben Contouren, aller Schmutz, alles Widerliche war verschwunden, man erblickte nur Schönheit und Harmonie. Da war die herrliche Bai von Belfast mit ihren zahllosen Ortschaften und Villen und weiterhin erglänzte endlos das Meer. Wir segelten über den achthundert Fuß hohen Cave Hill, der uns wie eine Gartenmauer

  1. Der Verfasser dieser sehr interessanten Mittheilung ist ein junger Deutscher, der, schon frühzeitig nach England gekommen, seit eilf Jahren in Belfast in Irland, dem Mittelpunkt der irischen Leinwandfabrikation, lebt. Er sendet uns die Beschreibung seiner merkwürdigen Luftfahrt, hauptsächlich um durch unser „Weltblatt“ – wir dürfen es wohl selbst so nennen – den Uebertreibungen entgegenzutreten, mit denen die englische Presse die gefahrvolle Luftreise erzählt hatte, welche wahrhaftig nicht noch poetischer Ausschmückungen bedarf, um schreckenerregend genug zu sein.
    D. Red.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 494. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_494.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)