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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

und tödten, die Zeit der Humanität und Association thut mehr, sie zwingt sie für Cultur und Verkehr zu arbeiten! Fast jede gute Maschinenfabrik producirt jetzt Dampfhämmer und die Ateliers von Fernley, Rigby, D. Ivy, Condie, Thwaistle und Carbutt, Molar und Whaley in England, Schwarzkopf, Borsig, Wöhlert, Haswell und Zimmermann in Deutschland, und Cavé in Frankreich haben sich um die Verbesserung der Constructionen wahre Verdienste erworben.

Je nach Bedarf und Moralität hat man auch zum Betriebe von Apparaten, die dem Nasmyth’schen Dampfhammer im Princip ähnlich sind, comprimirte Luft und Wasserdruck angewandt und Armstrong’s und Haswell’s hydraulische Hämmer haben sich für gewisse Zwecke großer Vorzüge vor den Dampfhämmern zu rühmen. Der Raum verbietet, auf diese Constructionen sowie auf die Vorrichtungen einzugehen, durch die man in letzter Zeit versucht hat, den von der Menschenhand geführten leichten Schlag beim Schmieden complicirter Stücke nachzuahmen. Balmforth in Leeds hat darin das meiste Glück gehabt. In den letzten Jahren, wo der gigantische Aufschwung des Verkehrs, der Drang dem Ocean seine Schrecken zu nehmen, auf der heitern Seite menschlicher Thätigkeit, die Kriege in der Krim und in Nordamerika auf der düstern Seite, den Menschen gedrängt haben, mit immer gewichtigeren Waffen die feindliche Natur und den feindlichen Bruder zu bekämpfen, sich eben so ängstlich hier zu sichern, wie dort emsig zu tödten, gipfelt sich die Production ungeheuerer Schmiedeeisenstücke in den Steven, Schrauben und Schaufelwellen der Oceandampfer, in den Panzerplatten der „Monitors“ und in den Rohren der ungeheuren Marine- und Wallgeschütze. Mit diesen Producten sind die Schmiedewerkzeuge, die Hämmer, gewachsen, deren Riesen von vier-, fünf- und sechshundert Centner Gewicht aber Friedrich Krupp’s Hammer in seiner Stahlfabrik zu Essen kopfeslang noch überragt.

Nicht mehr wie ein Hammergerüst steigt das Gestell dieses Giganten in der kirchenhohen Halle empor, in der er arbeitet, sondern wie ein eiserner gegliederter Thurm, in dem der fast tausend Centner schwere, schmiedende Theil zehn Fuß hoch auf- und niedersteigt. Der Block, auf dem der Ambos ruht, wiegt hier fast siebentausend Centner, das Ganze an zwölftausend Centner. Zwei große Dampfkrahne heben die ungeheueren Schmiedeblöcke, bis vierzigtausend Pfund an Gewicht, aus den Oefen und schieben und wälzen sie auf den Ambos, wo der Hammerblock mit dumpfem Donner und mehrere tausend Fuß im Umkreis fühlbarer Erschütterung auf sie niederfällt, dem Stahl zu Kanonenrohren, Achsen, Radreifen, Schiffswellen, Schienen etc. jene unvergleichliche Dichtheit verleihend, die Krupp’s Artikel vor allen andern ihrer Art auszeichnet.

Der Hammer allein absorbirt so viel Dampf zu seinem Betriebe, wie eine Maschine von fast eintausend Pferdekraft, und wenn er sich mit mächtigem Brüllen aus dem Cylinder entladet, die Erde vom Schlag des Hammers bebt und der Stahl wie Brei vom Ambos sprüht und alles dies dem Druck der Hand von wenig Männern gehorcht, die wie Pygmäen unter den arbeitenden Riesengliedern des Mechanismus umhereilen, so fühlt wohl Jeder mit stolzem Schauer, daß für einen Geist der Zeit, der mit solchen Werkzeugen an seinen Schutz- und Trutzwaffen schmiedet, kein menschgebornes Wesen mehr Ketten schmieden kann.




Land und Leute.
Nr. 20. Wurzelgraben und Rautenholen.

Wir haben die trefflichen Aufsätze des Doctor Bock in der Gartenlaube oft mit Vergnügen gelesen, ein Universalmittel kennt er aber trotz aller Gelehrsamkeit doch nicht. Und das wäre?

Du kannst es im ganzen Land Tirol erfragen, jede Kellnerin weiß es, und kommst Du Abends müde im Achenthal bei der Scholastika an oder seufzest Du über Uebelkeit, so schaut Dich das blonde Moidele mitleidig an und sagt: „Trinken’s Enzeler, der ist für Alles gut!“ Sie bringt Dir ein kleines Gläschen, neben dem einige überzuckerte Mandeln liegen, Du riechst daran. „Puh! und das soll man trinken?“

Ja freilich, es ist Enzeler, und noch dazu echter, den man nicht überall kriegt. Trink nur, lieber Freund; hast Du so viel überstanden, bringt Dich dieses Schnäpschen auch nicht um und Du bist dann halb und halb in den Alpen naturalisirt oder nationalisirt.

Wie der Schotte seinen Whiskey, der Berliner seinen Kümmel, so preist der Tiroler den Enzeler und betrachtet diesen Branntwein und das Murmentelschmalz – das Fett des Murmelthieres – als Universaltincturen; wer’s glaubt, wird gesund, wenn ihm nicht viel fehlt. Wir wollen kein zweites Gläschen Enzeler verlangen, sondern gehen in den Wald; bald führt ein Pfad über den Abhang neben dem schäumenden Wildbach vorbei, wir erreichen eine Hütte, die wie ein Blockhaus aus behauenen Balken aufgeführt ist. Die Wände sind vom Wetter gebräunt, aus den Fugen hängt das Moos, durch jede Ritze dringt ein unangenehmer Qualm. Zu hinterst lodert ein Feuer unter einer kupfernen Destillirblase, ein alter Mann in zerlumptem Gewand tritt uns entgegen.

„Grüß Gott, Hies, ich hab Dich lang nicht mehr gesehen; das letzte Mal haben wir auf Stegen miteinander geredet.“

„Ja, ja, auf Stegen!“ erwiderte Hies traurig. „Da krefle ich auch nicht mehr hin; mit dem Sennern ist’s aus, ich bin zu alt und schwach geworden. Seht, da hab ich mir das Hüttel gepachtet und brenn’ Schnaps; bring’ mich just schon durch. Aber kosten mußt ihn doch, ich hab’ einen prächtigen Enzeler!“

„Enzeler!“ rufst Du schaudernd.

Wer A gesagt hat, soll sich vor dem B nicht fürchten. „Bring’ ein Glasl, Hies – sollst leben!“

Wir setzen uns auf einen Block vor die Thür. Dort droben prangen im herrlichsten Grün üppige Alpenmatten, ein leises Bimmeln klingt zu uns herab und hellauf jauchzt der Senner von der Höhe. Auf jenen Bergwiesen wachsen die Gentianen. Die Familie ist sehr zahlreich, nicht alle Glieder derselben sind so vornehm, wie das Tausendgüldenkraut oder der blaue Enzian mit dem großen, tiefen Kelche, den der Tourist, welcher die Alpen besucht, so gern betrachtet. Auf allen Wiesen Deutschlands legt im Frühling das Schusternägelein (Gentiana verna) die blauen Sternchen auf und die Rispen einer violetten Art schmücken Hochsommer und Herbst, der König des Geschlechtes bleibt jedoch der gelbe Enzian (Gentiana lutea). Schon Albrecht von Haller, dessen „Alpen“ an Werth so manches neuromantische modische Gedicht à la Amaranth weit überstrahlen, wenn sie auch nunmehr selten Leser finden, besingt ihn; da wir seine Schilderung nicht zu erreichen hoffen, entlehnen wir ihm die Verse:

„Dort ragt das hohe Haupt vom edlen Enziane
Weit übern niedern Chor der Pöbelkräuter hin,
Ein ganzes Blumenvolk dient unter seiner Fahne,
Sein blauer Bruder selbst bückt sich und ehret ihn.
Der Blumen helles Gold in Strahlen umgebogen,
Thürmt sich am Stengel auf und krönt sein grau Gewand,
Der Blätter glattes Weiß mit tiefem Grün durchzogen
Bestrahlt der bunte Blitz vom feuchten Diamant.
Gerechtestes Gesetz, daß Kraft sich Zier vermähle,
In einem schönen Leib wohnt eine schönre Seele.“

Der Vetter dieser prächtigen Pflanze ist der violette Enzian (Gentiana pannonica), ebenfalls von hohem Wuchse mit großen Blättern, welche in Quirlen um den Schaft gereiht sind. Diesem nahe steht der röthliche Enzian (Gentiana purpurea), eine schöne Pflanze, die jedoch den Arlberg nicht übersteigt und auf die Mähder westlich desselben beschränkt bleibt. In diesen Kreis gehört auch der gefleckte Enzian (Gentiana maculata); seine Blüthe ist fahl mit dunklen Tupfen.

Der Leser wird bei diesem botanischen Excurs ungeduldig; nun, wir sind zu Ende und haben denselben auch nur begonnen, um ihm zu sagen, daß diese Arten den Enzeler liefern. Ihre derben und großen Wurzelstöcke, deren Bitterstoff ihnen einen Ruf als magenstärkende Mittel verschaffte, werden sorgfältig aufgesammelt, zerhackt und mit Wasser begossen, um den köstlichen Schnaps zu destilliren. Das Geschäft des Wurzelgrabens ist nur dann gefährlich, wenn die Pflanzen, welche nicht steile Felsen erklimmen, an stark geneigten Berglehnen wachsen. Die Alpenreviere werden verpachtet

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_492.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)