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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

hielt dabei fortwährend den Zaum fest. Als wir noch etwa eine Meile von unserem Hauptquartier entfernt waren, wurde sie ohnmächtig und ich fing sie auf, wie sie von dem Pferde herabfiel.

Ich legte sie am Wege nieder und ging nach Wasser, welches ich in meinem Hute holte; nachdem ich ihr Gesicht eine Weile benetzt halle, erholte sie sich wieder.

Zum ersten Male seit unserem Aufbruch begann ich ein Gespräch mit ihr und erfuhr, daß sie innerhalb der letzten drei Wochen ihren Vater, ihren Gatten und zwei Brüder in der Rebellen-Armee verloren hatte. Sie hatten alle zu einer Scharfschützen-Compagnie gehört und waren die Ersten, die fielen. Seit der Kunde von diesen Unglücksfällen war sie fast wahnsinnig geworden.

Sie sagte, ich sei die erste Person aus dem Yankeelande, die sie nach dem Tode ihrer Verwandten gesehen; der böse Geist scheine sie zu ihrer That angetrieben zu haben, und wenn ich sie nicht an die Militärbehörden ausliefern wolle, so werde sie mit mir gehen und die Verwundeten verpflegen helfen. Sie erbot sich sogar, den Eid der Treue zu leisten, und schien tiefe Reue zu fühlen. Ich erinnerte mich der Worte des Erlösers, einem reuigen Sünder zu vergeben, und sagte ihr, ich verzeihe ihr vollkommen, wenn sie aufrichtig Buße thue. Sie antwortete mit Seufzern und Thränen.

Bald nach dieser Unterhaltung brachen wir nach dem Lager auf, sie schwach und gedemüthigt und ich stark und voll Freude. Niemand erfuhr jemals seit jenem Tage bis heute das Geheimniß, daß jene Rebellin eine Pflegerin unserer kranken Soldaten geworden. Anstatt nach General Mac Clellan’s Hauptquartier geführt zu werden, begab sie sich in das Hospital, wo Dr. P. ihre Hand verband, die ihr große Schmerzen verursachte. Der gute alte Arzt konnte niemals das auf ihre Krankheit bezügliche Geheimniß enträthseln; denn er erfuhr von uns Beiden nichts weiter, als daß sie von einem Yankee geschossen worden sei.

Am nächsten Tage kehrte sie in einer Ambulanz, von einem Hospitalverwalter begleitet, nach ihrem Hause zurück, holte dort Alles, was in den Hospitälern gebraucht werden konnte, und schlug darauf ihren Wohnsitz bei uns auf. Sie hieß Alice M., aber wir nannten sie Nellie /I. Sie bewies bald die Aufrichtigkeit ihrer Bekehrung zu der Sache der Union durch ihren Eifer in der Pflege ihrer Streiter und wurde eine der getreuesten und brauchbarsten Krankenwärterinnen in der Potomac-Armee. Aber dieses war auch der erste und der einzige Fall, wo ein weiblicher Rebell seine Gesinnungen änderte oder in seiner Grausamkeit oder seinem Hasse gegen die Yankees’ im Geringsten nachließ.“

Emma Edmond wagte eine noch weit gefährlichere Betheiligung im Kampf. Ein Bundes-Spion war in Richmond gefangen und hingerichtet worden; seine Stelle mußte ersetzt werden – und sie meldete sich dazu! Sie erzählt: „Mein Name wurde in das Hauptquartier geschickt, und ich wurde bald selbst dahin beschieden und vor die Generäle Mc., M. und H. geführt, wo ich Kreuz- und Querfragen in Bezug auf meine Ansichten von der Rebellion und über meinen Beweggrund zur Unternehmung eines so gefährlichen Wagnisses unterworfen wurde. Ich sprach meine Ansichten freimüthig aus, gab meine Absichten kurz an, und ich hatte die Prüfung Numero Eins bestanden. Sodann wurde ich hinsichtlich meiner Kenntnisse im Gebrauche von Schießgewehren geprüft, und in diesem Stücke legte ich Proben ab, die einem Veteranen würdig waren. Darauf wurde ich nochmals in ein Kreuzverhör genommen, und zwar von einer neuen Commission von Generälen. Zunächst folgte eine phrenologische Untersuchung, und als man fand, daß meine Organe der Verschwiegenheit, der Kampflust etc. bedeutend entwickelt waren, so wurde mir der Eid der Treue abgenommen und ich mit einigen schmeichelhaften Bemerkungen entlassen.

Am nächsten Morgen brach ich in aller Frühe nach Fort Monroe auf, wo ich mir mehrere, zu einer vollkommenen Verkleidung unerläßlich nothwendige Gegenstände verschaffte. Erstlich kaufte ich einen Anzug, wie ihn die Sclaven aus den Plantagen tragen, und darauf begab ich mich zu einem Barbier und ließ mir das Haar dicht am Kopfe abscheeren. Alsdann folgte der Färbungsproceß – Kopf, Gesicht, Hals und Hände wurden so schwarz gefärbt, wie bei irgend einem Afrikaner, und zuletzt, um mein Contreband-Costüm zu vollenden, bedurfte ich noch einer Schwarzen Perücke, die ich aus Washington erhielt.

Meine Vorbereitungen waren somit getroffen, und ich war bereit, auf meine erste geheime Expedition nach der Rebellen Hauptstadt auszugehen. Mit etwas Schiffszwieback in der Tasche und mit geladenem und schußfertigem Revolver brach ich zu Fuße auf, ohne selbst einen Teppich oder etwas sonst mitzunehmen, was Verdacht erregen konnte. Um halb zehn Uhr passirte ich durch die äußerste Vorpostenlinie der Bundes-Armee, um zwölf Uhr war ich innerhalb der Rebellen-Linien und war nicht einmal von einem Wachposten angehalten worden. Ich war weniger als zehn Ruthen weit an einem Rebellen-Vorposten vorbeigegangen, und er hatte mich nicht gesehen. Sobald ich mich in sicherer Entfernung von den Vorpostenlinien befand, legte ich mich nieder und ruhete mich aus bis zum Morgen. Die Nacht war frostig, der Boden kalt und feucht, und ich verbrachte die langen Stunden in Angst und Zittern. Der erste Gegenstand, der sich am nächsten Morgen meinen Blicken darbot, war eine Schaar Neger, welche den Rebellen Pikets warmen Kaffee und Nahrung brachten. Ich machte mich alsbald mit ihnen bekannt und wurde für mein freundliches Entgegenkommen mit einem Becher Kaffee und einem Stück Maisbrod belohnt, was sehr viel dazu beitrug, die noch von der Nacht in mir weilenden kalten Schauer zu vertreiben. Ich blieb dort, bis die Schwarzen zurückkehrten, und darauf marschirte ich mit ihnen nach Yorktown hinein, ohne den geringsten Argwohn zu erregen.

Die Neger gingen sofort an die Arbeit an den Verschanzungen, nachdem sie sich bei ihren Aufsehern gemeldet hatten; ich blieb allein stehen, da ich mich noch nicht ganz entschlossen hatte, welche Rolle ich zunächst spielen sollte. In dieser Hinsicht wurde ich bald aller weiteren Mühe enthoben, denn mein Müßiggehen hatte die Aufmerksamkeit eines Officiers auf mich gezogen, der mich fragte, wem ich gehörte, und warum ich nicht an der Arbeit sei? Ich antwortete in meinem besten Negerdialekt, ich gehörte Niemandem, ich sei frei und dies stets gewesen, ich wolle nach Richmond gehen, um dort Arbeit zu suchen. Aber das half mir nichts, denn er wendete sich an einen Mann in bürgerlicher Kleidung, der als Aufseher über die Neger gesetzt zu sein schien, mit den Worten: ,Stellen Sie diesen schwarzen Schuft an die Arbeit, und wenn er nicht tüchtig arbeitet, so binden Sie ihn und lassen Sie ihm zwanzig Hiebe aufzählen, um ihm den Gedanken beizubringen, daß es hier keine freien Niggers giebt, so lange noch ein verdammter Yankee in Virginia ist.’

Mit diesen Worten ritt er fort, und ich wurde an eine Verschanzung geführt, welche im Bau begriffen war, und woran etwa hundert Neger arbeiteten. Ich wurde bald mit einer Axt, Schaufel und einem ungeheuern Schiebkarren versehen und begann sofort meinen Gefährten in der Knechtschaft nachzuahmen. Derjenige Theil der Brustwehr, an welcher ich arbeiten sollte, war ungefähr acht Fuß hoch. Der Schutt wurde in Schiebkarren auf einfachen Bretern hinaufgefahren, deren eines Ende auf der Höhe der Brustwehr, und deren anderes auf dem Boden ruhte. Ich brauche nicht zu sagen, daß diese Arbeit äußerst hart selbst für den stärksten Mann war; nur wenige waren im Stande ihre Schiebkarren allein hinaufzubringen, und ich wurde oft von einem gutmüthigen Schwarzen unterstützt, wenn ich nahe daran war von der Planke hinabzustürzen. Den ganzen Tag lang arbeitete ich auf diese Weise, bis meine Hände von den Gelenken bis zu den Fingerspitzen voller Blasen waren

Die Nacht kam, und ich wurde von meinen Mühsalen erlöst. Es stand mir frei, innerhalb der Verschanzungen zu gehen, wohin ich wollte, und ich machte einen guten Gebrauch von meiner Freiheit. Ich entwarf einen kurzen Bericht über die auf Lafetten liegenden Geschütze, die ich in jener Nacht auf meinem Spaziergange um das Fort sah, legte diese Angabe, nebst einem groben Abriß der Belagerungs-Außenwerke, unter die innere Sohle meines Contreband Schuhes und kehrte in das Negerquartier zurück.

Da ich erkannte, daß meine Hände nicht in einem Zustande sein würden, um am folgenden Tage viel Erde zu schaufeln, sah ich mich unter den Negern um, ob ich nicht einen finden könnte, dessen Dienst minder schwer war und welcher seine Stelle mit mir vertauschen wollte. Es gelang mir, einen Jungen von ungefähr meiner eigenen Größe zu finden, der den Truppen Wasser zu bringen hatte. Er versprach mir, am nächsten Tage meinen Platz einzunehmen, und meinte, er könne einen Freund finden, um dasselbe am folgenden Tage zu thun, für welche brüderliche Güte ich ihm fünf Dollars in Greenbacks gab, aber er erklärte, er könne nicht so viel Geld annehmen – er habe niemals so viel Geld in seinem ganzen Leben gehabt. Durch diese Veranstaltung entging

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