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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Emma Edmonds, das Heldenweib der Unionsarmee.


einmal im Refectorium. „Sie hat ihm einen Genius gegeben, mit welchem er wuchern und den er nicht vergraben sollte. Das war doch der Zweck. Aber hätte er das Kunstwerk, das unsere Kapelle für ewige Zeiten schmückt, vollbringen können, wenn er ruhig und zufrieden gelebt und nicht gesündigt hätte, wenn sein Herz nicht von Reue geviertheilt und seine Seele von allen erdenklichen Schmerzen bestürmt und so mächtig ausgespannt worden wäre?“

Die Mönche begriffen diese tiefsinnige Bemerkung nicht. Der Guardian war nicht lange darauf zum Frater Peregrin gekommen, dessen Zustand sehr bedenklich war.

„Hochwürden,“ sagte der junge Mönch, indem seine sonst matten Augen blitzartig aufleuchteten und seine leidenden Mienen eine augenblickliche Belebung und Kraft zeigten, „erlauben Sie, daß ich die Zelle verlasse.“

„Darüber kann ich nicht entscheiden, lieber Bruder,“ gab der Guardian zur Antwort, „sondern der Arzt.“

„Ich werde nicht weit gehen –“ sagte der kranke Frater, wie von einem Gedanken ergriffen und ihm nachhängend.

„Es geht auf keinen Fall,“ versetzte der Guardian ruhig, doch entschieden, denn er befürchtete, daß es sich um einen Gang an die Kirchhofsmauer handle.

„Das ist schlimm,“ murmelte Frater Peregrin, in plötzliche Apathie verfallend.

„Es thut mir leid,“ sagte der Guardian bewegt und mild. „Warten Sie ein paar Tage! Wenn die Besserung anhält –“

„Wenn ich warten könnte!“ fiel ihm der Schwerkranke in’s Wort. „Ich fühle, daß ich diesen Augenblick benützen muß!“

„Wozu?“ fragte der Guardian nicht ohne Besorgniß.

„Ich habe heute Nacht einen Einfall gehabt,“ antwortete Frater Peregrin. „Ich möchte noch eine kleine Verbesserung an meinem Wandgemälde vornehmen.“

„Das Ganze ist so vortrefflich,“ sagte der Guardian, „daß ich Sie gar nicht verstehe. Lassen Sie es, wie es ist! Dieses Meisterwerk kann sogar Ihre Hand entbehren! Ersparen Sie sich die Aufregung, welche die Arbeit mit sich brächte.“

„Wenn ich erfinde,“ sprach der kranke Mönch, „das greift mich an. Wenn ich mir klar bin, wie jetzt, und ausführe, thut es der Pinsel allein. Da bin ich ruhig, daß ich ein Lied dabei pfeifen könnte.“

„Sie wollen wirklich –?“ sprach der Guardian im Nachsinnen, zwischen die Einsicht, das Verbot aufrecht halten zu müssen, und die Versuchung getheilt, den letzten Wunsch des sterbenden Meisters zu erfüllen, der das Verlangen trug, seinem künstlerischen Testament einen kurzen Zusatzartikel beizufügen.

„Ein Nachmittag reicht hin,“ bat der Kranke mit einem beschwörenden Schmerzensblick.

Der Guardian schwankte. Wenn er die abgezehrte Gestalt und das hohläugige Gesicht anblickte, so wollte er versagen, wenn er aber das Gewicht der Bitte berücksichtigte, wollte er die Erlaubniß ertheilen. Er sagte nach einer Pause:

„Die Ausdünstung der Farben ist Gift für Ihre Lunge!“

„Um einige Tage länger zu leben,“ erwiderte Frater Peregrin, „blos dazu braucht Niemand zu leben.“

„Nun,“ sprach der Guardian mit einem schweren Athemzuge, „so gehen Sie mit Gott! Ich lasse gleich das Gerüst aufstellen und die Vorhänge ausspannen.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 485. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_485.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2017)