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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Dreikönigsspitz nicht oben, aber ich höre von den besten Steigern, daß das seine großen Mucken hat. Da fällt man nicht blos hin, wenn man Unglück hat, da zerschlägt man sich gleich zu Brei.“

„Um den Förster ist’s mir nicht bange,“ bemerkte der Pfarrer. „Der versteht’s, der hat ein Gangwerk! Aber die Herren, die Herren!“

Balthasar’s Aufmerksamkeit wurde in dem Moment abgelenkt und auf eine höchst unangenehme Weise anderswohin gezogen.

Leonhard war eingetreten. Den Hut weit und keck auf einer Seite, schlenderte er mit dem Schein seiner gewöhnlichen Sorglosigkeit und Ungenirtheit in den Saal herein. Sein erster Blick fiel auf Balthasar, welcher sich gern vor ihm unsichtbar gemacht hätte.

„Rücke weiter!“ sagte Leonhard zum Wunderdoktor, während er sich schon an die Ecke der Bank setzte und Balthasar nicht gerade sanft an den Nachbar weiter drängte.

„Wo kommst Du so spät noch her?“ fragte Balthasar mit schwer erkünstelter Cordialität.

Es erfolgte keine Antwort, Leonhard saß, den Hut auf dem Kopfe, die Hände in der Tasche, zu Boden blickend und finster brütend, da.

„Es thut mir leid, daß ich gerade schon gehen muß,“ sagte der Dorfarzt.

„Wir gehen miteinander,“ warf Leonhard verdrießlich, doch auch gebieterisch hin.

„Weißt Du, es ist wegen morgen,“ bemerkte Balthasar in einem Rücksicht erbittenden Tone. „Meine Patienten!“

„Deine Patienten?“ rief Leonhard ziemlich laut und höhnisch. „Muß denn morgen wieder Einer crepiren?“

Balthasar fuhr wie geschossen zurück, während der Ortskrämer, der es gehört hatte, doch ohne die tiefere Beziehung verstanden zu haben, mit der wildesten Schadenfreude lachte.

„Du kennst Dich aus, Leonhard!“ sagte er und lachte von Neuem, als wenn er platzen wollte.

Leonhard erwiderte Nichts und saß, wie früher, stumm und brütend da.

Balthasar traute sich kein Wort vorzubringen und dachte nach, was nun am besten zu thun sei.

„Stark angetrunken ist er und ein böser Kerl durch und durch! Er macht heute einen Scandal! Fortgehen läßt er mich nicht oder es bricht los! Ließe er mich fortgehen und bliebe er hier, so gewinne ich sehr wenig dabei. Er wird im Rausche Dinge plaudern, die mir gerade so schaden, als wenn ich dasäße. Gescheidter wird es sein, ich bleibe und behalte den Teufel im Auge und in der Hand! Ich weiß schon, wie!“

„Camerad!“ sagte er unmittelbar mit jovialer Miene. „Was glaubst Du, wenn wir unser Bier stehen lassen und eine Flasche Wein trinken?“

„Zwei Flaschen, drei Flaschen, wie Du willst!“ gab Leonhard, wie aufgemuntert, zur Antwort.

Balthasar bestellte den Wein, wobei er für sich brummte: „Trinken soll er, daß er seine Zunge nicht heben kann! Herrgott, das gäbe eine elende Geschichte!“

Das Gespräch am Nebentische hatte sich inzwischen noch immer um die Bergbesteiger gedreht.

„Einer der Herren soll ein Baron aus Wien sein,“ sagte einer der Beamten.

„Der andere ein Maler,“ fügte Weißbart aus dem Stegreif hinzu, um Schmierpeter zu necken, der sich in die Nähe gestellt und dem ganzen Gespräch beigewohnt hatte.

„Ein Maler?“ fragte Jemand.

„Ja,“ versetzte der Chirurg dreist. „Es soll der Maler sein, der das große Gemälde in der Kapelle gemalt hat.“

„Welcher von den Herren ?“ fragte Schmierpeter, neugierig anbeißend. „Der mit dem schwarzen, oder der mit dem blonden Bart?“

„Der Schwarze!“ gab Weißbart zur Antwort. „Er soll dafür zweitausend Gulden erhalten haben.“

„Da seh’ Einer her!“ rief Schmierpeter wie elektrisirt. „Zwei tausend Gulden! Da läßt sich freilich viel dafür leisten!“

„Für so viel Geld,“ rief ihm der Krämer vom anderen Tische zu, „würdest Du gewiß die ganze Welt beschmieren!“

„Schimpft zu!“ sagte Schmierpeter. „Für das, was Ihr zahlt, ist meine Malerei noch zu gut! Da auf dem Wirthshaus hab’ ich ein Bild gemalt! Da ist darauf ein Fuhrmann, ein Lastwagen, vier schwere Pferde, fünf Bäume und ein Pintsch – und das Alles für achtundvierzig Kreuzer! Hinten ist das Auge Gottes – da hab’ ich fünf Groschen verlangt und der Stegwirth zieht mir noch einen Groschen ab! Bei diesen Preisen soll Einem ein Bild gelingen! Wenn man mich so bezahlt, daß ich nicht eilen und mit dem Pinsel galoppiren muß, so liefere ich ein Gemälde, das dem in der neuen Kapelle nicht nachstehen soll!“

„Trabe nicht auf einem so hohen Pferd!“ fiel der Rentbeamte den Dorfmaler an. „Du bist der Schmierpeter, aber jener Andere ist ein großer Künstler, welcher Dich gar nicht brauchen könnte, um ihm bei der Arbeit zuzusehen!“

„Das muß wahr sein!“ rief der Krämer, indem er an den Honoratiorentisch trat, mit viel Feuer. „Das glaubt auch Jedermann. Ich habe schon oft das jüngste Gericht abgemalt gesehen, aber ich erinnere mich nicht, daß ich einmal viel dabei gedacht hätte. Da aber konnt’ ich mich nicht satt sehen! Am besten freilich hat mir die Kindsmörderin gefallen. Es ist abscheulich, was sie gethan hat, aber ich konnte die Augen gar nicht von ihr wegbringen. Zu guter Letzt hat sie mich noch mehr gedauert, als der arme Wurm!“

Da erhob sich Grüneisen ingrimmig und sagte, mit dem Stocke auf den Boden klopfend, zum Krämer: „Schäme Dich, so was zu sagen! Eine solche Person könnte mir ein Gesicht machen, welches sie wollte, so arretire ich sie, und ihr gehört der Strick!“

„Was heißt das?“ sprach Weißbart hetzend. „Gar Nichts! Wenn Jemand das im Wirthshaus über einen König sagte, was der Maler hingemalt hat, so arretirst Du ihn auch!“

„Das ist auch zu stark freisinnig!“ rief der Gerichtsdiener voll Hitze. „Das würde die Censur nirgends in der Welt durchmachen, aber in einer Kirche läßt man es ruhig hängen. Ein gesalbtes Haupt ist ein gesalbtes Haupt!“

„Auf Erden, aber nicht drüben!“ rief Leonhard, sich einmischend, mit dem Weinglase in der Hand dem Gerichtsdiener zu. „Wenn der größte König vor unseren Herrgott treten soll, so glaube ja nicht, daß zuvor Böllerschüsse abgefeuert werden, alter Narr!“

„Das soll ich von Dir lernen?“ erwiderte der Gerichtsdiener, wie zum Losschlagen bereit. „Von Dir, der Du noch keinen König im ganzen Leben gesehen hast, außer dem Eichelkönig oder dem Herzkönig? Ich bin aber schon vor dem König von Toscana Wache gestanden, vor dem Großfürsten von Sachsen –“

„Du hast Könige gesehen,“ sagte Leonhard mit ein wenig holpriger Zunge, „aber wenn Dich einer von ihnen gesehen hätte, dann könntest Du davon reden!“

Ohne die Antwort abzuwarten, noch sie anzuhören, trat er einige Schritte zurück und sang mit hellklingender, Alles beherrschender Stimme:

„Ich kümmre mich nicht um die Leut’,
Bin alleweil lustig und munter,
Und hab’ ich d’rin ein Herzeleid,
Nehm’ ich das Glas und schluck’s hinunter!“

Er stürzte das Glas hinab und ließ einen gewaltigen Jodler folgen, worauf er sich auf seinen alten Platz setzte.

„Er kommt doch auf andere Gedanken,“ sagte Balthasar zu sich selbst und rieb sich unter dem Tisch die Hände.

Da wurde der Stegwirth, der, vom Tanzen und Serviren immerfort in Anspruch genommen, durch die Wirthsstube eilte, an den Honoratiorentisch gerufen und dort von dem boshaften Chirurgen mit den Worten empfangen:

„Du tanzest heut alle Weibsbilder nieder! Du hast auch viel Kummer gehabt. Gott Lob, daß man Dir heute nichts anmerkt, da Du doch vor so kurzer Zeit Deinen Toni verloren hast!“

Die meisten der Anwesenden lächelten spöttisch, nur der Stegwirth blieb ernst und sagte ernst: „Ich habe viel Freude mit dem Kinde gehabt, aber auch viel Sorge. Wenn es so fortgedauert hätte, ich wäre vor Aengsten verrückt geworden! Wenn der Toni geschrieen hat – und daran hat es den ganzen lieben Tag nicht gefehlt – so habe ich einen Stich bis in die Eingeweide bekommen, daß ich selber gern mitgeschrieen hätte. Das glaubt mir, Ihr Herren! Aber der liebe Gott weiß am besten, was er thut und was uns gut ist!“

Leonhard, der halb träumend, halb brütend dagesessen hatte, schlug die Augen auf und heftete seine Blicke auf den Stegwirth. Balthasar war dabei unheimlich zu Muthe.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 482. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_482.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)