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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

mit Binnendeutschland verbunden am äußersten Nordwestzipfel des Vaterlandes sich einsam aus kahler Weserniederung erhebt, so läßt sich auch Bremens Natur nicht im Entferntesten vergleichen mit der herrlichen Landschaft um Dresden; der Schützenfestplatz liegt verhältnißmäßig öd und reizlos, nur umgeben von dem saftigen Grün weitgedehnter Weideflächen. Es mußte denn die Kunst versuchen, einigermaßen schadlos zu halten für die Kargheit der Natur. Und das ist trefflich gelungen, die Festhalle ist ein Bauwerk von wahrhaft monumentalem Charakter geworden, und der große grüne Platz darum bot mit seinen üppigen Laubgewinden, seinen Bäumen, Fahnen und Kränzen einen höchst grandiosen und zugleich lieblichen Anblick, in seinen sämmtlichen Bauten und Anordnungen durch und durch harmonisch, Alles das Werk des Bremers Heinrich Müller.

Die Sängerbundesfahne.
Nach dem Entwürfe von Adalbert Müller in Berlin.

Mitten auf dem eine Million Quadratfuß bedeckenden Festplatze, der Bürgerweide, fesselt uns zunächst ein elegantes Achteck, das sich nach oben zu einem Thurme verjüngt. Es ist der Gabentempel, der Ort, in welchem die von allen Theilen der Welt, von überall her, wo Deutsche siedeln, eingelaufenen Siegespreise aufgestellt sind. Wir schauen durch die Fenster hinein, wahrhaft geblendet von dem Glanz da drinnen, der eine Summe von nahe an 27,000 Thalern repräsentirt, und schreiten auf breiter Treppe von der Terrasse hinab, von der sich das Octogon erhebt. Da prangt sie, einhundert und dreißig Schritte vor uns in ihrem vollen reichen Schmucke, die Festhalle. Ihre Façade, die Vorhalle, ist von rein griechischer Architektur, imposant in ihren einfach edlen Verhältnissen.

Durch die Vorhalle führt das Hauptportal über mehrere Stufen hinauf in das Halbrund der eigentlichen Festhalle selbst, einen Riesenraum, in welchem viertausend Festgenossen tafeln konnten. Das Centrum dieses gigantischen Speisesaales nimmt die Rednerbühne ein, von der so manches tapfere Wort hinausscholl in das Volk; darunter reihen sich zunächst die Plätze für vierundzwanzig Berichterstatter aneinander, weiterhin die Tafel für den Bundesvorstand und die Ehrengäste und nun strahlenförmig auseinander laufend die übrigen Festtische. Auch die Nebenräume der Festhalle, die Weinlager, die Küche mit ihrem Dampfkessel, welcher den großen Heerd mit seinen achtzehn Bratröhren fortwährend in der nöthigen Röst- und Siedehitze erhält, die kleineren Räume, die sich zu beiden Seiten an die Halle anbauen, als Conditoreien und Restaurationen, als Lesesaal, als Post- und Telegraphenbureau benützt, sind einer Besichtigung werth. Vor Allem aber haben wir unsere Schritte noch einem anderen Bauwerke zuzulenken, das den Festplatz ziert und den besten Ueberblick gewährt über das muntere Getümmel, welches sich hier von früh bis spät entfaltet. Wir meinen die Sänger- und Fahnenhalle, gleichfalls in antikem Style errichtet, wie die anderen Gebäude des Festplatzes alle. Wir möchten sie die Perle der gesammten Festbauten nennen, und ihr plattes Dach wird nimmer leer von Schauenden, die sich an dem Fluthen und Wogen ergötzen, das sich unter ihnen nimmer erschöpfen und leeren will. Mitten in dieser Fahnenhalle, dem großen Eingangsportale gegenüber, ragt, von dem Bremer Bildhauer Kropp modellirt, das Standbild der Germania empor, mit vorwärts blickendem Antlitz, den Eichenkranz auf dem langen Lockenhaare, unter den Falten des Mantels den Kettenpanzer auf Brust und Leib, die Rechte am Schwerte, die Linke auf das Schild gelegt – ein Bild ruhiger Majestät. An die Rückseite der Fahnenhalle fügt sich endlich die Schießhütte selbst, sechszehnhundert Fuß lang; von ihr aus können wir die Ziel- und Angelpunkte des ganzen Festes wahrnehmen, die neunzig Feld- und die sechszig Standscheiben, die erstern dreihundert, die letztern einhundertundfünfundsiebenzig Meter entfernt. Von diesen Scheiben, von Feld- wie von Standscheiben, sind je fünf der Ehre theilhaftig geworden als specielle Festscheiben zu gelten. Die Hauptfestscheibe – wie konnte sie anders heißen, als „Deutschland“? Auch die andern führen Namen, die das deutsche Herz bewegen, „Hermann“, „Barbarossa“, „Guttenberg“, „Stein“.

Jenseits des Schützenfestplatzes öffnet sich der Volksfestplatz, ein ungeheures Areal von 500,000 Quadratfuß. Hier steht unter Anderm das Gebäude für die Gewerbe-, Marine- und Productenausstellung, hier giebt es Restaurationen und Trinkbuden in Menge.

Das war der Schauplatz, auf welchem sich das zweite große deutsche Bundesschießen bewegte. Sein Gewühl ist verrauscht, seine Fahnen und Wimpel wehen nicht mehr – aber seine Wirkung wird nicht enden mit den Tagen der Feier, nicht versprühen wie die Begeisterung des Momentes, nein, jeder der heimkehrenden Schützen wird, das hoffen wir, wie unvergängliche Erinnerungen, so neubelebt und neugekräftigt das Bewußtsein rücktragen an seinen häuslichen Heerd und in die Kreise, in welchen er lebt und strebt, daß wir Alle Eins sind, wohnen wir in Süd oder Nord, Eins durch nationale Sitte und Denkweise, daß uns endlich werden muß das Schwarz, nach dem wir lange zielen, die staatliche Einheit, und daß Jeder einzutreten hat mit seiner Büchse und seinem Stutzen, „mit kaltem Blick und fester Hand“, wenn es gilt, im blutigen Ernste dies hehre Ziel zu erkämpfen.

S.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 473. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_473.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)