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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

sich selbst. Wer aus Trägheit seinen Beruf vernachlässigt hat und seine Vermögensumstände nun rückwärts gehen sieht; wer seine geistige Ausbildung verabsäumt und sich nun in der Berührung mit Menschen gleichen Standes und Alters unwissend erkennt; wer endlich ein unsittliches Leben geführt und sich dadurch um Ehre und guten Ruf gebracht hat: alle Diese und Andere, welche an selbstverschuldeten Uebeln leiden, fühlen sich für diese Verabsäumung der Selbstpflichten nicht minder durch Trübsinn, oder Mißstimmung bestraft, als die, welche sich mit Schuld gegen ihre Mitmenschen befleckt haben.

Hat endlich aber die Mißstimmung oder, in gesteigertem Grade, die Schwermuth keinen körperlichen Grund, so daß sie auf falschen Anschauungen und in Folge dessen auf eingebildeten Uebeln beruhen könnte, und ist sie ferner auch nicht in moralischen Gebrechen der angedeuteten oder ähnlicher Art begründet, so ist die Quelle sicher nur in einer Unzufriedenheit mit äußern Verhältnissen zu suchen.

Seitdem die Menschheit sich durch Cultur von ihrem ursprünglichen Naturzustande weit entfernt hat, ist die Zahl der Lebensbedürfnisse zu einer solchen Höhe gestiegen, daß selten Fleiß und Umsicht ausreichen, dieselben allseitig beschaffen zu können. Daneben wird zugleich, vermöge eben dieser Entfernung vom Naturzustande, dem materiellen Besitze ein so hoher Werth in der menschlichen Gesellschaft beigemessen, daß die besitzreiche Classe zugleich die einflußreichste, die regierende ist. Zu dieser Classe zu gehören, ist daher begreiflich das Streben der meisten Menschen, und in der vergeblichen Anstrengung dieses Ziel zu erreichen, oder in dem Bewußtsein, nur scheinbar zu jener beneideten Classe zu zählen, liegt der Grund, weshalb so Viele mit ihren äußern Verhältnissen unzufrieden und in ihrem Innern daher nicht heiterer Stimmung sind. Wenn die natürlichen Kräfte zum Emporkommen nicht ausreichen, wird zu künstlichen Mitteln die Zuflucht genommen; der Schein, das Schattenbild des Ziels, wird dadurch erreicht: der Emporstrebende wird für einen Emporgekommenen gehalten, obschon der Arme unter der Last, welche ihn innerlich drückt, schier zu Boden gezogen wird. Und auf dieser künstlichen Höhe sollte noch so viel Lebenslust sein, daß das Athmen nicht bis zur Unerträglichreit erschwert würde? Neunzig von je hundert unter den beneideten Reichen gehören zu diesen Scheinglücklichen, die von einem günstigen Zufall Rettung hoffen, oder den Einsturz ihres künstlichen, fundamentlosen Gebäudes täglich erwarten müssen, und die daher, wenn auch äußerlich oft bis zum Uebermuth heiter, innerlich stets niedergeschlagen und in der trübsten Stimmung sind.

Und wie Manche so ihren Blick nach den höhern Sphären des Handelsstandes erheben, wo sie vorzugsweise zu dem begehrten materiellen Besitze zu gelangen hoffen, so gelüsten Andere wieder nach dem Stande der Angestellten, um dadurch zu Glanz und Einfluß zu gelangen. Die Ehren und das gesicherte Auskommen, welche mit diesem Stande verbunden sind, sehen aus der Ferne zu lockend aus, als daß sie nicht Manche, die sich für ein Handwerk zu hoch dünken und in dem Handelsberuf, bei ihrer Mittellosigkeit, doch ein zu fern liegendes, zweifelhaftes Ziel erblicken, mächtig anziehen sollten. Ohne Rücksicht auf die nöthige Qualification dazu, stellen Eltern so ihre Söhne auf ein Feld, das der sorgfältigsten Bebauung bedarf, wenn die Ernte allseitig eine befriedigende werden soll. Bei Mangel an natürlicher Anlage und bei ungenügendem Fleiß wird dann oft nur nothdürftig die Befähigung erlangt, die zu dem gewünschten Ziele führt. Das sichere Brod wird endlich gewonnen, aber da die Erfüllung der Berufspflichten nun beängstigend schwer wird und da die Leistungen daher auch hinter den Erwartungen zurückbleiben müssen, so bleibt die Ehre ein unerreichtes Ziel. Ein Vergleich mit Andern, mit begabten Berufsgenossen, führt zur Selbstprüfung und zur Selbsterkenntniß, und wer weder Andere, noch sich selbst befriedigt, verliert die Kraft zu seinem Berufswerk, arbeitet mit Verwirrung und Zerstreutheit, vernachlässigt immer mehr, was ihm doch nicht gelingen will, und geht so seiner inneren Zufriedenheit und heitern Stimmung verlustig, weil sein gewählter Beruf ein verfehlter ist.

Zu den äußeren Verhältnissen, wodurch die Gemüthsstimmung mit bedingt wird, gehört endlich und vorzüglich auch noch das Familienleben.

Aus einem Kreise, den die Natur gebildet, aus dem Bande einer mächtigen Liebe, die sich instinctmäßig erzeugt, tritt der Mensch in ein freiwilliges, neues Band: das eine Geschlecht wählt sich aus dem andern einen Gefährten für das ganze Leben. Beide Theile hoffen durch ihre Vereinigung ihr Glück zu begründen oder zu vollenden. Dazu ist Uebereinstimmung in gemüthlicher und geistiger Beziehung unerläßliche Bedingung. Nicht selten wird aber die Wahl, statt von der Vernunft, von dem Trieb der Sinne oder von äußeren Dingen und Verhältnissen geleitet. Nicht selten auch ist elterlicher Zwang, in vermeintlich wohlbegründeter Fürsorge, an die Stelle der eigenen, auf vernünftiger, höherer Zuneigung gegründeten Wahl getreten. Anmuth und Schönheit haben das äußere Auge geblendet, so daß das innere dadurch seine klare Sehkraft verloren; Familienansehen hat Ehre und Vortheil verheißen, gegen welche alles Andere übersehen wurde; Geld und Gut sollten die engen Räume des Hauses erweitern und das Leben gemächlicher und angenehmer machen; kurz, ein solcher oder ein ähnlicher Nebenzweck hat sich mit dem Hauptzweck vereinigen sollen und ist statt dessen bestimmend und entscheidend in den Vordergrund getreten. Diese Nebenzwecke werden nun oft auch erreicht, aber die Befriedigung eines erlangten bleibt nicht lange die eines zweifelhaft ersehnten Besitzthums. Die Gewohnheit stumpft den Reiz ab und drückt den Werth äußerer Güter eben so tief unter das wahre Maß herab, wie sehnsuchtsvolles Verlangen danach ihn früher hoch über dasselbe setzte. So werden nach dem Genuß der reizenden Frucht die geblendeten Augen geöffnet, die unerläßlichen Bedingungen häuslichen Glückes, innerer Werth und möglichste Uebereinstimmung, werden vermißt oder nicht befriedigend gefunden, unausbleibliche Zerwürfnisse trennen die äußerlich Vereinigten, der Gatte wie die Gattin verlieren die bewegende Federkraft für ihren Beruf, das Wesentlichste des ehelichen Bundes, die gemeinschaftliche Erziehung, kann nicht gelingen, die Kinder erwachsen unter dem steten Hader ihrer Erzeuger, sie neigen sich auf die Seite des milderen Theiles, der darum für sie nicht immer der wahrhaft bessere ist, sie verlieren die Ehrfurcht vor Beiden, machen sich überfrüh selbständig und vermehren durch allerlei Fehltritte den häuslichen Kummer. So schwindet zusehends das eheliche Glück. Beide Gatten, wenn auch nur einer derselben die Schuld tragen sollte, sehen sich bald aus ihrem geträumten Paradiese vertrieben, das zweischneidige Schwert des Haders und die mißrathenen Cherubim, ihre Kinder, versperren ihnen vereinigt den Wiedereintritt, und kein irdisches Gut vermag den Spiegel des Gemüthes klar zu machen, den gegenseitige Abneigung immer auf’s Neue über und über anhaucht.

Hiermit würden die Hauptquellen der Hypochondrie gefunden sein. Einleuchtend ist es übrigens, daß diese Quellen nicht streng gesondert bleiben, sondern daß meistens mehrere sich vereinigen und einen mächtigen Strom bilden, welcher die trübe Farbe mit ihnen gemein hat und sich nur durch seine Tiefe von ihnen unterscheidet.




Ein neuer Bewohner des Dresdener Thiergartens.
Der Büffel mit dem Roßschweif.

Das Schönste, dessen wir Leipziger uns rühmen können, ist, wie alle Welt weiß – Dresden, und in Dresden, wo im Sommer Reiz und Schönheit zu allen Thoren hereinschauen und hereinwinken – wenn es noch Thore gäbe – gehören für mich zu dem Schönsten die Baumgänge und Wiesenflächen des sogenannten „großen Gartens“, welcher in neuerer Zeit noch um einen Hauptanziehungspunkt reicher geworden ist, den sich an seinem Saume hinstreckenden Zoologischen Garten, in welchen die Leser der Gartenlaube schon verschiedene Male hineingeblickt haben.

Ich bin oft in Dresden und selten verabsäume ich einen Gang hinaus in diesen so anmuthig gelegenen und umgebenen Thiergarten, gewiß, darin immer irgend eine neue Erscheinung aus der Thierwelt, mindestens ein neues Exemplar schon vorhandener Thiergeschlechter zu finden. So wanderte ich auch vor wenigen Tagen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 460. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_460.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)