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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

an fast allen Stationen der schlesischen Bahnen, natürlich auch in Breslau, Berlin, Magdeburg, sind für die Anwohner eine wahre Wohlthat. Ein Gutsbesitzer sagte mir neulich, vom Kulmiz’schen Comptoir könne man Alles, Kohlen, Holz, Ziegel, Glas, Chamotten, Granitsteine, Zucker, Bier, Schiefer beziehen. Wenn man etwas Beliebiges dort bestelle, so höre man nur die Antwort „Sehr wohl,“ und nach wenig Tagen hätte man das Gewünschte auf dem Hofe. Wenn man einmal Lust zu Meerkatzen hätte, so würden sie auf den Kulmiz’schen Comptoiren auch nicht aus der Fassung kommen, das stereotype „Sehr wohl“ erwidern und die Meerkatzen würden besorgt werden.

Beiläufig gesagt, setzten die Comptoire von Kulmiz schon vor mehreren Jahren über achtmalhunderttausend Tonnen Kohlen alljährlich ab, und jetzt mag der Absatz leicht über eine Million Tonnen betragen. Rechnet man für die Tonne nur sechs Pfennige Gewinn, so macht dies schon ein ganz respectables Auskommen aus. Fragt man nun nach den Mitteln und Wegen, auf welchen sich aus so unscheinbaren Anfängen ein so großes Geschäft entwickelt hat, so ist es hauptsächlich die große Thätigkeit und Energie des Inhabers, wodurch der günstige Erfolg zu erklären ist. Der Geist der Initiative, des Eingehens auf neue Pläne, ihr rasches Erfassen und thatkräftiges Durchführen hat sich überall auf das Glänzendste bethätigt. Die Wissenschaft, die leider oft genug von unsern routinirten Geschäftsleuten als unpraktisch über die Achsel angesehen wird, hat bei Kulmiz stets eine freundliche Aufnahme und ein bereites Ohr gefunden. Mit den Professoren der naturwissenschaftlichen Facultät in Breslau steht Kulmiz auf dem freundschaftlichsten Fuße. Nicht minder ist der Erfolg dadurch bedingt, daß Kulmiz es verstanden hat, durch liebenswürdige Freundlichkeit und Wohlwollen seine Beamten und Arbeiter an sich zu fesseln. Er hält darauf, daß seine Leute sich bei ihm wohl befinden. „Wenn bei einer Fabrication,“ sagte er mir selbst, „nicht so viel bleibt, daß meine Arbeiter einmal ein gut Glas Bier, meine Beamten ein Glas Wein trinken können, dann laß ich mich nicht darauf ein.“

Als ich bei ihm verweilte, war eine schlechte, theure Zeit. Kulmiz gab seinen Arbeitern damals nicht allein einen anständigen Lohn, nein, er ließ ihnen auch allwöchentlich eine Zulage in Naturalien, Mais, Linsen. Bohnen etc. zukommen. Er hat oft genug mit mir überlegt, auf welche Art am Besten der Speisezettel für die Arbeiter aufzustellen sei, damit sie genügend stickstoffhaltige Kraft-Nahrungsmittel erhielten. Seinen Beamten standen Wein und Cigarren zum stricten Kostenpreise stets zur Verfügung, und manchen heitern Sonnabend-Abend haben wir gefeiert. Die großartigste Gastfreiheit, mit der er seine Geschäftsfreunde und sonstigen sehr zahlreichen Gäste empfängt, ist selbst weit über Schlesiens Grenzen bekannt und berühmt. Es ist eben eine durch und durch wohlwollende Natur, die selbst einen gerechtfertigten Unwillen siegreich bekämpft. Nur ein einziges Beispiel aus vielen. Einer seiner Beamten, ein tüchtiger, aber etwas widerhaariger Charakter, war nach einem lebhaften Streit mit ihm aus Saarau geschieden. Er fand nicht gleich eine Stellung, wohl aber Kulmiz eines Tages auf der Straße. Kulmiz redet ihn an, erkundigt sich nach seinem Ergehen, und als er von seinem Mißgeschick hört, weist er ihm ohne Weiteres eine nicht unbedeutende Summe bei seinem Comptoir an und verschafft ihm auch nach kurzer Zeit eine sehr angenehme, lohnende Stellung an einer benachbarten Eisenbahn. Was Wunder, daß Kulmiz sich der allgemeinsten Achtung und Liebe erfreut. In seinem ältesten Sohne erzieht er sich einen würdigen Nachfolger. Möge das Kulmiz’sche Haus als Vorbild unserer Industriellen und zum Segen der Provinz Schlesien noch lange blühen und gedeihen!




Blätter und Blüthen.

Die Romantik in Amerika. Binghamton ist ein Stationsort der Erie-Eisenbahn und liegt 225 englische Meilen in nordwestlicher Richtung von New-York entfernt. Hier lebte 1855 ein junges, sehr scheues Mädchen, dessen geistige Ausbildung nach den herrschenden Begriffen hervorstechend genannt wurde. Zu gleicher Zeit befand sich daselbst ein junger hübscher Mann, Mr. S., in einem Schnittwaarengeschäft als Verkäufer, mit dem die Schöne bald bekannt wurde und ein näheres Verhältniß einging, dem eheliche Verbindung folgen sollte. Inzwischen hatte ein reicher Bewohner von Binghamton, Mr. L., sein Auge verlangend auf die schöne Sarah geworfen, ohne bei dem Mädchen zum Ziele kommen zu können. Umsonst bestrebte sich Mr. L. Sturm auf das Herz der blühenden Rose zu laufen, und als die angewandten Mittel sämmtlich fehlschlugen, beschloß der Verschmitzte seine Zuflucht zu einem Yankee-Trick, auf deutsch Schurkenstreich, zu nehmen. Es klagte nämlich eines schönen Tages Mr. L. gegen seine persönlichen Bekannten, daß ihm eine Brieftasche mit 500 Dollars abhanden gekommen sei, ohne daß er deshalb irgend einen Verdacht gegen Jemand aussprechen könne. Auch S. wurde von dem Vorfall unterrichtet und bemühte sich der Sache auf die Spur zu kommen, so weit dies möglich; allein es war durchaus nichts zu entdecken, obschon mehrere eingängliche Berathungen zwischen L. und S., zum Theil in des letztern Behausung, deshalb gepflogen wurden. Nach der Zeit fing L. an sich gegen S. auffallend kalt und zurückziehend zu benehmen, besonders wenn dessen Geliebte zugegen war, wobei ein gewisser Argwohn durchschimmern gelassen wurde, der dem schönen Mädchen nicht entgehen konnte.

Nach Verlauf etlicher Wochen trat eines Morgens in das Geschäftslocal, wo S. angestellt war, ein Gerichtsbote, um dem erstaunten jungen Mann seine Verhaftung anzukündigen, indem er denselben benachrichtigte, daß sein Freund L. ihn angeklagt habe, des an ihm begangenen Diebstahls verdächtig zu sein. Darauf wurde das Zimmer des Unschuldigen genau durchsucht und man fand wirklich an einem verstecktem Platze die vermißte Brieftasche sammt deren gewichtigem Inhalt. Dadurch wurde die Verurtheilung des armen S. zu dreijährigem Zuchthaus herbeigeführt, und das berüchtigte Staatsgefängniß von Sing-Sing am Hudson nahm den heillos Betrogenen auf.

L. spielte die Heuchlerrolle so vollkommen, wie es nur geschehen konnte, indem er große Niedergeschlagenheit über den Vorfall an den Tag legte und viel über die Verdorbenheit unserer Zeitgenossenschaft klagte. Besonders wurde von ihm Alles aufgeboten, um die tiefbetrübte Braut zu trösten und das Bild des Geliebten aus ihrer Brust zu reißen, was nach und nach auch gelang; denn der weibliche Stolz war durch eine so schmachvolle Verurtheilung schwer verletzt und die Amerikanerinnen sind zu sehr daran gewöhnt das Urtheil der Welt zu berücksichtigen, als daß andere Gefühle bei ihnen nicht darunter zu leiden haben sollten. Allmählich ging das schöne Mädchen in die ihr gelegten Netze des schändlichen L., glaubte fest an die Schuld des unschuldigen S. und ließ sich endlich bewegen, die dargebotene Hand des L. anzunehmen, zumal es ihr immer unerträglicher wurde, als Braut einen verurtheilten Verbrechers und gemeinen Diebes betrachtet zu werden.

Zwei Jahre lang brachte S. im Staatsgefängniß zu und wurde dann vom Gouverneur begnadigt, mit Rücksicht auf sein musterhaftes Verhalten.

Er wollte nicht auf den Schauplatz seiner Entehrung zurückkehren, sondern ging nach der Hauptstadt Indiana’s, um daselbst als Geschäftsmann ein Fortkommen zu suchen. Anfänglich glückte ihm dies auch und er verheirathete sich 1861 mit einem Mädchen, das auch sehr schön war, aber den Keim der Schwindsucht in sich trug, so daß sich bald Kränklichkeit bei ihr einstellte, nachdem sie ein Kind geboren, das nur kurze Zeit am Leben blieb. S. selbst hatte schon im Gefängniß sehr an seiner Gesundheit gelitten, wozu Kummer und Gram besonders beitrugen, die ihn auch nachher nicht verließen. Durch den Tod seines Kindes, dem der seiner Frau bald folgte, erhielt seine Körperbeschaffenheit harte Stöße; hierzu traten noch geschäftliche Unglücksfälle, so daß er endlich so vielen Schlägen nicht mehr zu widerstehen vermochte und öfter krank darniederlag. Aus Gesundheitsrücksichten, sowie um einen neuen Schauplatz zu suchen, auf dem er besser gedeihen könne, verließ S. Indianopolis und siedelte nach Chicago über, wo ihm das Glück indeß auch nicht lächeln wollte. Ein finsteres Geschick schien sich an seine Fersen geheftet zu haben, und nur mühsam schleppte er das Leben in trauriger Weise fort.

Unterdessen hatte der Congreß das Conscriptionsgesetz erlassen und bei der ersten Ziehung zur Aushebung kam der Name unseres S. unter die Vordersten auf die Liste. Ohne die Geldmittel, sich einen Stellvertreter kaufen zu können, blieb dem Unglücklichen nichts übrig als der Eintritt in’s Heer, wo vielleicht eine mitleidige Kugel allem Elend ein Ende machen konnte. Etwa acht Tage, nachdem sich S. dem Provost-Marschall überliefert, theilte ihm dieser mit, daß ein Substitut für ihn gestellt sei und er demzufolge entlassen wäre. Alle Nachfragen darüber, woher diese überraschende Hülfe gekommen, waren vergebens, und selbst der Stellvertreter wußte nur zu sagen, daß er achthundert und fünfzig Dollars von einem Rekruten-Makler unter der Bedingung erhalten habe, für S. einzutreten.

Nach Verlauf eines Monats erhielt S. einen Brief ohne Namensunterschrift, worin er gebeten wurde, in ein prachtvolles Haus auf der Michigan-Avenue zu kommen, indem sich daselbst Jemand befinde, den sein Schicksal nahe angehe. Er eilte natürlich, dieser Einladung zu folgen, und die Thür wurde ihm von – Sarah geöffnet.

Mr. L. war kurze Zeit nach seiner Verheirathung nach Chicago gezogen, wo er mit seinem Gelde große Geschäftsunternehmungen machte, die dergestalt glücklich ausfielen, daß sein Reichthum von Jahr zu Jahr anwuchs. Anfangs wurde Sarah von ihm gut behandelt, doch trat später unter Beiden Entfremdung ein, die zuletzt in Bitterkeit ausartete. L. legte dabei große Leidenschaftlichkeit an den Tag, welche ihn einmal so weit hinriß, daß er seine Frau wegen ihrer frühern Liebschaft mit dem „Galgenvogel“ höhnte und damit prahlte, das Geld wäre von ihm selbst auf das Zimmer ihres Geliebten getragen und dort versteckt worden. Man kann sich denken, welchen Eindruck dieses Geständniß auf Sarah machen mußte, die keine Thräne vergoß, als L. vor zwei Jahren starb und sie als reiche Wittwe zurückließ. Langeweile hatte Sarah veranlaßt, die Namenliste der Conscribirten in den Zeitungen zu durchlesen, und dabei war ihr der unseres S. aufgestoßen, für den sie sofort einen Stellvertreter kaufte, als sie sich überzeugt hatte, daß es sich wirklich um ihren früheren Geliebten handle.

Wie der Schluß des interessanten Dramas war, das brauchen wir unsern Lesern nicht zu erzählen.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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