Seite:Die Gartenlaube (1865) 442.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

aber die mecklenburgische Mancha nennen, denn die curiosesten Ritterthaten, so in Mecklenburg während der letzten vierzig Jahre ausgeführt worden sind, hatten hier ihren Schauplatz. Hier war es, wo der Herr Major von Flotow auf Walow seinen Prediger in Satow durch Abschneidung des Wassers zum Verkaufen seines Pfarrdienstes zu bringen gedachte und fast auch gebracht hätte; hier spielte (1854-1855) der Suckow-Zislow’sche Schafkrieg, dessen Gedächtniß ein Siegeszeichen mit lateinischer Zuschrift der Nachwelt bewahrt, und hier wohnte auch jener Herr von Arenstorff, der im Jahre 1842 den Flecken Mirow mit Fehde überzog.




Zu Anfang der vierziger Jahre hielt ich mich öfter in diesem Theile Mecklenburgs auf und verkehrte viel zu W. auf dem dortigen Domanialpachthofe. Der Pächter, eine durch ganz Mecklenburg und die Mark weithin bekannte Persönlichkeit, war zwar kein Edelmann, dennoch aber nahm er, durch seine finanzielle Lage, weit mehr aber noch durch seine außergewöhnlichen körperlichen und geistigen Eigenschaften begünstigt, zu jener Zeit eine bedeutende Stellung in den gesellschaftlichen Kreisen ein. Er verkehrte fast nur mit adeligen Grundbesitzern, höheren Beamten und preußischen Cavalerieofficieren. Zur Jagdzeit logirten nicht selten dreißig bis vierzig Gäste mit der doppelten Anzahl Pferde zu W. und ohne irgend welchen Besuch war das Haus eigentlich nie.

Der Hof zu W. liegt hoch auf einem alten Burgwalle, und es stehen noch mehrere Baulichkeiten, welche den Fehdezeiten entstammen. Alte und neue Localitäten hatte der Pächter geschmackvoll und komfortabel eingerichtet, ein großer, wohlgehaltener Park schloß sich ihnen an. Wurden Gäste zu festlichen Gelagen erwartet, dann begrüßte die Kommenden vom Burgthurme her Hörnerschall, und sobald sie auf den Hof einfuhren, umkläfften die Wagen zahlreiche Meuten von Dachshunden, Saupackern und Windhunden, alle in ihrer Art von seltener Schönheit und merkwürdig gut dressirt. Auf der großen Freitreppe des Haupthauses empfing der Wirth seine Gäste. Er war, obschon damals bereits ein starker Vierziger, der schönste und kräftigste Mann, der mir jemals zu Gesicht gekommen ist, auch hat er lange Jahre hindurch für den verwegensten Reiter und geschicktesten Schützen Norddeutschlands gegolten, und in allen anderen körperlichen Künsten suchte er gleichfalls seinen Meister.

Damen fanden sich zu jener Zeit nur selten in W. ein, denn Herr X. lebte von seiner Frau getrennt. Die Honneurs seines Hauses machte eine alte adelige Dame, und diese bemutterte auch die erwachsenen Töchter, letztere kamen bei den meisten Diners nicht zum Vorschein; die Frau von B. repräsentirte dann allein das schöne Geschlecht, zog sich aber auch, sobald sie es irgend konnte, hinter die Coulissen zurück.

Wer zum ersten Male in den Speisesaal trat, pflegte sich immer über die Masse des aufgestellten Weins und über die Gläser, von denen die kleinsten das Sechstel einer Flasche faßten, zu verwundern. Die Speisen waren stets vortrefflich und außer Bedienten und Jägern warteten auch Mädchen auf, die fast immer als Houris in einem muhamedanischen Paradiese hätten passiren können. Nicht allzu lange hielt man sich beim feinen Bordeaux, beim Chambertin, Hochheimer und Portwein auf; sobald der Bratengang seinen Anfang nahm, commandirte Herr X. seinem Leibdiener: „Heinrich, Bowle!“ Dann schleppte Heinrich, oft mit Hülfe eines Collegen, ein ungeheures Porcelangeschirr herbei. Nie wurde nämlich eine kleinere Bowle gemacht, als eine solche, wobei auf jeden Tischgast zwei Flaschen gerechnet waren. Vierzig und noch mehr Flaschen Champagner wurden auch oft gleichzeitig in Eis gelegt, das in großen Kufen in der Ecke des Speisezimmers stand.

Wollte nach des Wirthes Ansicht nicht rechte Lustigkeit und Trinklust in seine Gäste kommen, so empfing Heinrich einen Wink, und es wurden nunmehr Gläser präsentirt, die eine gute halbe Flasche faßten und die man wohl oder übel rasch austrinken mußte, weil sie so eingerichtet waren, daß man sie nicht niedersetzen konnte, ohne den Wein zu verschütten. Oft ließ Herr X. sich auch große Pocale bringen, die mehr als eine Flasche faßten, leerte einen solchen in einem Zuge auf das Wohl seiner Gäste und trank dann einen frischgefüllten einem seiner Tischnachbarn zu. So war das Bacchanal dann bald im Gange und man meinte, „lasterhaft“ mäßig gewesen zu sein. wenn man sich vom Tische erhob, bevor die zweite oder dritte Bowle getrunken war. Vom Tische erhob sich selber aber immer nur ein Theil der Gäste; viele mußten erhoben und aufgehoben werden, und dieses letztere Schicksal betraf am häufigsten die Beamten, welche trunken und dann zu Zielscheiben des Spottes zu machen Hausordnung war.

Herr X. selber wurde nie betrunken. Unmittelbar nach einem Bacchanal, in welchem er wenigstens zwölf Flaschen geleert hatte, habe ich ihn Billard spielen sehen und einen jeden Ball hatte er in seiner Gewalt. „Heinrich, bringe mir meine Pistolen!“ Dann hielt der Diener auf zwanzig Schritte Entfernung ein Endchen Licht zwischen Daumen und Zeigefinger, und der Herr schoß ihm solches dazwischen heraus. „Halten Sie mir auch einmal ein Licht so hin!“ heischte dann wohl einer der Gäste, aber Heinrich war schlau und ließ sich auf derartige Forderungen nicht ein.

Eines Tages kam bei der Tafel die Rede auf’s Reiten. Es befanden sich gerade einige der berühmtesten Pferdezüchter und steeple-chase-Reiter zu W., unter ihnen der Baron W… M…. Zwischen Letzterem und dem Hausherrn kam es zu einer sehr beträchtlichen Wette, weil dieser es in Zweifel gezogen hatte, daß jener ihm allenthalben hin nachreiten werde.

Der Speisesaal zu W. stößt an einen Altan, welcher mit einer drei Fuß hohen Balustrade umgeben ist und etwa zwölf Fuß höher als der Garten liegt. Dieser fällt kaum eine Ruthe jenseits des Altans in hohen, steilen Terrassen ab, die mit Wein, der an Pfählen gezogen ist, bepflanzt sind. Die Pferde wurden gebracht. Herr X. ritt nunmehr die vordere Treppe hinauf über den Hausflur in den Speisesaal und setzte dort zunächst über die Tafel hinüber. Dann ritt er auf den Altan und von dort ging es nun über die Balustrade in den Garten hinab. Es glückte ihm auch, sein Pferd auf dem schmalen Raume dahinter zu halten, und wunderbarer Weise hatte auch weder er noch jenes sich verletzt. Lachend forderte er nun den Baron auf, ihm dies Stück nachzumachen, aber dieser stand kläglich davon ab und bezahlte die Wette. Einige Jahre später wurde Herr X. beim Hubertusfest nur mit großer Mühe davon abgehalten, daß er nicht aus dem oberen Stockwerk eines Gasthauses zu Röbel durch das Fenster mit seinem Pferde auf die Straße hinuntersetzte.

Herr X. gerieth mehrfach mit den benachbarten preußischen Behörden, obschon, wie gesagt, die höheren Beamten viel bei ihm gastirten, in Conflicte. Einmal war er im Rheinsberger Forst mit dem Oberstlieutenant v. K. auf’s Pirschen gefahren, als plötzlich die Wilderer sich von dem Jagdgefolge des Prinzen, welcher damals diese Domaine nutzte, umringt sahen. Der Oberstlieutenant v. K. wurde auch bald gefangen, aber Herr X. hielt in vollster Carrière gerade auf den Prinzen und sein Gefolge ein. „Heda! Halten! Wer sind Sie?“ wurde ihm zugeschrieen. – „Sultan Mahmud!“ erwiderte er, und obschon die ganze Hetze sich auf seine Verfolgung machte, erreichte er dennoch wohlbehalten die Grenze.

Zu einer anderen Zeit holte Herr X., in Folge einer Wette mit einem Justizbeamten, einen mecklenburgischen Commissionsrath, der bei gewerbsmäßig betriebener Schmuggelei in Preußen abgefaßt war und Tags darauf nach Spandau abgeführt werden sollte, aus dem Thurm zu Wittstock., wo er eingesperrt lag, heraus, und später äffte er wochenlang mehrere preußische Gensdarmen, die nur, um ihn zu fangen, nach Wittstock commandirt waren, dadurch, daß er täglich dort einritt. Einmal fand er beim Wegreiten das Thor verschlossen, aber ohne sich zu bedenken, setzte er von der Brücke in den Mühlenteich hinunter und kam, denselben durchschwimmend, glücklich davon. Endlich wurde er zwar gefangen, aber da hin und wieder auch Prinzen in W. gejagt und gehaust hatten, so kam er noch ziemlich milde davon.

Mit seinen Landesbehörden und Gerichten gerieth Herr X. fast nie in ernstlichere Conflicte, obschon es oft geschah, daß er Knechte, Mägde und selbst Wirtschafterinnen grausam mit der Peitsche tractirte und es oft aussprach, wie er es als sein Herrenrecht fordere, daß seine gesammten weiblichen Dienstboten ihm in jeglicher Weise zu Willen wären.

Zu W. war auch der Herr von Arenstorff auf Krümmel, Ichlim und Troja ein häufiger Gast, und er suchte Herrn T., welcher überhaupt der Abgott der jeunesse dorée der ganzen Gegend war, nach besten Kräften nachzustreben. Herr von Arenstorff trug auch einen bis auf die Brust herabhängenden Vollbart und suchte ebenfalls im Trinken, in Liebesabenteuern und in kühnen Reiter- und Ritterstücken zu excelliren, was ihm aber doch lange

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_442.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)