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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Erst will ich einen Krug Bier,“ erwiderte Grüneisen, während Augen und Mienen fortgrollten, „dann ein Gläschen von dem Kaiserkümmel!“

„Mir ein Gleiches!“ sagte der Chirurg Weißbart und wandte sich, sobald sich der Stegwirth entfernt hatte, an Grüneisen neugierig mit der Frage:

„Was habt Ihr denn mit einander gehabt?“

„Die Heirath!“ gab Grüneisen zur Antwort. „Das ist ja eine Geschichte, die nicht unter den Wilden vorkommen könnte, ohne daß sich die Polizei hineinmengen und dareinschlagen würde! Aber unsere Gesetze sind zu mild –“

Der Chirurg besann sich, wessen Partei er ergreifen sollte, da er eben so sehr dem Hofrath, als dem Stegwirth gram war. Mistgunst und Uebelwollen waren die Grundzüge seinen Wesens. Seine kleine, überdicke Gestalt, der große Schädel, der auf einem sehr kurzen Halse saß, das grobe Gesicht, welches, von einem graugesprenkelten Barte eingerahmt, noch voller aussah, als es war, und die zwei starr hervortretenden Augen gaben ihm auch äußerlich die Aehnlichkeit mit einem bösartigen Büffel, welche er indeß nicht minder in seinem Berufe an den Tag legte, denn er war ein geschworener Feind der Zähne, des Blutes und aller jener Leute, welche sich selbst rasirten.

„Höre, Grüneisen,“ sprach er nach kurzem Besinnen, „es ist doch nicht ganz so, daß man darüber gleich herfahren und den Stab brechen kann! Nein, nein, bei Gott nicht!“

Grüneisen verschluckte die Antwort, weil der Stegwirth soeben das Bier und den Kümmel brachte, aber Weißbart war nicht willens, das Gesprächsthema einschlafen zu lassen.

„Du strengst Dich aber an.“ sagte er zum Stegwirth, auf die Tüncharbeiten hindeutend. „Dein Wirthshaus wird jetzt ein nobles Gesicht kriegen! Sapperment! Du beschämst den Leonhard! Ich bin schon heute bei ihm vorübergegangen, aber sein Wohnhaus sieht noch immer so schmutzfarbig aus, wie wenn seine Hochzeit gar nicht vor der Thür wäre!“

„Es wird auch Nichts daraus!“ platzte der Stegwirth heraus. „Ich stehe gut dafür!“

„Was Teufel!“ rief Weißbart überrascht.

„Nichts wird es!“ wiederholte der Stegwirth.

„Geh,“ wunderte sich Weißbart. „Daß ich noch Nichts gehört haben sollte?“

„Der Stegwirth hat Recht,“ ergriff der Gerichtsdiener mit einer gewissen Prätension das Wort. „Das ist eine ausgemachte Sache. Balbina will nicht –“

„Könnte sein,“ rief der Maler von seinem Gerüste herunter, „daß sie auf den Veit noch wartet, aber da könnte ich eben so gut warten, daß mir die Zähne wieder nachwachsen, welche mir Herr Weißbart seit ein paar Jahren gerissen hat!“

„Versteht sich!“ rief der Stegwirth. „Vom Veit wird kein Stäubchen mehr da sein! Am nächsten Himmelfahrtstag werden es sechs Jahre sein, daß er verschwunden ist. Hätte man nicht schon eine Silbe über ihn gehört? Wo sollte er hingerathen sein?“

„Das denk’ ich auch!“ versetzte der Gerichtsdiener. „Wir haben ihm gleich Steckbriefe nachgeschickt, weil er ohne Wanderbuch davongelaufen ist, aber wenn wir es nicht gethan hätten, so wüßten wir eben so viel!“

„Drum mein’ ich das!“ sagte der Stegwirth entschieden. „Er ist verunglückt und in eine Felsscharte hineingefallen, wo ihn die Geier und Füchse gefressen haben.“

„Das ist nicht dumm!“ rief der Maler von oben herab. „Er war ein fideler, kreuzlustiger Kerl und hat die Balbina gern gesehen, wie sie ihn. Das ist weltbekannt. Er war in das Mädchen gerade vernarrt, das muß ich am besten wissen. Da läuft man nicht ohne Ursache davon und eine Ursache war nicht dagewesen!“

„Keine Spur davon!“ rief der Stegwirth.

„Sonderbar,“ sagte Weißbart verwundert. „Vor sechs Jahren, kurz vor Himmelfahrt, hab’ ich mich hier ansässig gemacht und so hab ich den Veit ein paar Mal nur noch gesehen. Ich erinnere mich an ihn und doch wieder nicht so recht, das weiß ich aber, daß er ein sehr schöner Kerl gewesen ist –“

„Wie der Leonhard,“ bestätigte der Stegwirth, „wenn nicht weit schöner, und müßte auch jetzt in seinem Alter, den Dreißig nahe, sein!“

„Ihr könnt glauben,“ hob der Chirurg wieder an, „daß ich seither mit keinem Gedanken auf ihn verfallen bin. Was geschieht mir aber, als ich einmal in diesem Frühjahr zu meinen Patienten nach Steinkirch in meinem Einspänner fahre? Auf halbem Wege begegnet mir ein zugedeckter Einspänner, der nach Burgsau hinfährt, und darin sitzt ein junger Franciscaner. Sobald ich den erblicke – es war freilich im Flug, mein Pferd ist gar scharf – kommt mir der Gedanke, wie wenn es in mich eingeschlagen hätte: Das ist der Veit!“

(Fortsetzung folgt.)




Ein Kaisersaal in einer Republik.

Die Augen von ganz Deutschland richten sich jetzt auf die alte Hansestadt an der Weser, wo in wenigen Wochen ein gut Theil von deutscher Männerkraft, und darunter sicher gar viele Leser der Gartenlaube, zum ernsten Spiele versammelt sein wird. Darum wird Jeder gern jetzt von dieser alten Weserstadt erzählen hören und erfahren, was dort vor Anderm seine Aufmerksamkeit verdient. Unter den mancherlei Sehenswürdigkeiten und historischen Denkmalen, die Bremen zu bieten hat, steht unstreitig der Bau oben an, dessen Inneres man vor einigen Jahren umzuschaffen begann und der nun nach Vollendung dieser Umgestaltung zum sogenannten „Gewerbehaus“ bestimmt worden ist.

Noch im vorigen Jahrhundert hatte fast jede irgend bedeutende Stadt ihre eigenen „Hochzeitshäuser“. Die Räume der Privatwohnungen waren damals noch zu eng und klein für den Kreis der Freunde und Verwandten, die bei den verschiedensten freudigen Gelegenheiten gern sich versammelten, bei Brautfesten und Taufen, wie an Gedenktagen mancher Art. Welches Haus eines gewöhnlichen Bürgers hätte früher wohl in einer einfachen norddeutschen Stadt alle die Männer und Frauen der Sippe fassen können, die oftmals geladen wurden, bei frohem Gelage, bei heiterem Tanz einige Stunden beisammen zu verleben? Kaum waren die Wohnungen einzelner Vornehmen für solche Zwecke geräumig genug; die Meisten mußten in’s städtische Hochzeitshaus gehen, wenn sie Feste feiern wollten, in’s Ballhaus, Kosthaus, oder wie die Namen sonst lauten. In diesen Gebäuden befanden sich die Säle für prangende Tafeln, für bunte Reigen, da genügte der Hausrath für das Bedürfniß Vieler, da gab es die erforderlichen Einrichtungen in Küche und Keller. Allein selten war in früheren haushälterischen Jahrhunderten ein Ort Norddeutschlands so üppig, blos zu diesem Zwecke einen Prachtbau zu errichten; das Hochzeitshaus diente in gewöhnlichen Zeiten noch anderer Bestimmung; meistens war es zugleich der Versammlungsort einer Gilde. So war es auch in Bremen. Diese Stadt besitzt ihr altes Hochzeitshaus – es ist eben das jetzige Gewerbehaus – in gewisser Weise noch heute, und das auf unserer Abbildung dargestellte Gemach ist der vorzüglichste Schmuck desselben.

Die Hansestadt an der Weser ist nicht so reich an altehrwürdigen Bauten, wie Mancher wohl erwarten mag; von mittelalterlicher Herrlichkeit finden sich nur wenige unscheinbare Spuren; dagegen sind in ihr noch etliche Zeugen von einer anderen Zeit bedeutenden Aufschwungs des städtischen Wesens erhalten, Denkmäler aus dem Beginn des siebzehnten Jahrhunderts, einer Epoche, in der Bremen zur freien Reichsstadt sich erhob; Schöpfungen norddeutschen Renaissancestyls, die einen eigenthümlichen Reiz besitzen. Zu den Bauwerken dieser Art gehört jenes Bremische Hochzeitshaus. Das Gebäude ward wenige Jahre nach der Vollendung des am Rathhause vorgenommenen Umbaus von der Tuchhändlerinnung erbaut, der vornehmsten unter den nicht kaufmännischen Genossenschaften der Stadt. Angeregt durch jenen Bau, wollten die Gewandschneider 1619 ein Amtshaus errichten, welches an Pracht das Kaufmannsgildehaus weit überstrahlte, den „Schütting“, der dem Rathhause gegenüber lag, als wollten seine Besitzer, die „Elterleute des gemeinen Kaufmanns“, den Herren des Rathes den Rang streitig machen. Freilich konnten die Gewandschneider am Markte keine Baustätte finden: allein dicht bei dem „Hause Seefahrt“, dessen Bestimmung der Name schon angiebt,


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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 436. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_436.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)