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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Rundung und ungewöhnlicher Dauer – so daß dem Kapellmeister fast der Athem stockte – die herrliche Arie: „Wie begeisternd wirkt das Reisen“ beendete. Von diesem Moment an war der Sieg entschieden, mit dieser einen Arie hatte sich die junge Kunstnovize in die Reihe der Künstlerinnen emporgeschwungen und der gefeierte Gast mußte die Triumphe des Abends mit der kleinen Anfängerin theilen.

Hinter den Coulissen empfingen Henriette am Schlusse des ersten Actes die beglückte Mutter und der tiefbewegte Lehrer.

„Ich wußt’ ja, daß mein wackeres Mädel mich nicht würde zu Schanden werden lassen, daß Dein Lehrer aber so stolz auf Dich sein könnte, hätt’ ich kaum gedacht. Der Daus! war das ein Triller, der wollt’ ja gar kein Ende nebmen, ich hätt’ mich schier bangen können, wenn ich vor unbändiger Freud’ dazu gekommen wär. Solch ein Backfischle noch und kann so singen, daß man die Mütz’ vor ihm ziehen muß. Hör’, Jetterl, Du wirst viel Ruhm und Ehre ernten, und wenn sie Dir einst die Lorbeerkränze auf die Stirn drücken und ich vielleicht längst in meinem Grabe ruh’, dann denk’ zuweilen noch an Deinen alten Lehrer!“

Das tiefgerührte Mädchen konnte nur stumm die Hand des Hochverehrten an ihre Lippen führen. Beide mußten auch wieder auf die Bühne. Im zweiten Acte machte das so beliebte Troubadourlied Furore; Johann von Paris war genöthigt, seine Strophe noch einmal zu singen, aber bei der Prinzessin genügte das nicht. Da capo und wieder da capo, zum dritten Male also mußte Henriette die ihrige wiederholen; das Publicum wurde von einem immer wärmeren Enthusiasmus ergriffen, und doch war es kein gemachter Beifall, keine erkünstelte Begeisterung, sondern das reine Ausströmen innerster Befriedigung, dem sich in Hinsicht auf Henriette Sontag noch ein freudiges Staunen beigesellte, daß ein so junges Mädchen schon so Herrliches zu leisten vermochte. Unter dem größten Jubel und dankbarer Anerkennung für einen selten hohen Kunstgenuß, denn nie erinnerte man sich Gerstäcker vorzüglicher gesehen zu haben, fiel der Vorhang, und den Gast ehrend, wie sich’s gebührte, erklang zuerst nur sein Name. Der Vorhang rollte auf, zögernd erschien der Gerufene, ihm selbst schien Etwas zu fehlen; nach kurzer Verbeugung zog er sich zurück, um nun auf den noch dringenderen Ruf nach ihm und der Sontag wieder zu erscheinen. Wie im Triumph führte der Gast das junge, jetzt sehr schüchterne Mädchen heraus und ein endloser Jubel begrüßte Beide, der erst auf ein Zeichen Gerstäcker’s, daß er sprechen wolle, sich legte.

Ganz dicht bis zum Rande der Bühne tretend, sagte Gerstäcker auf seine Begleiterin deutend: „Obwohl es sich heute auf die beste Weise selbst empfohlen, so möchte ich dieses junge Mädchen auch für die Folge Ihrem Wohlwollen empfehlen, meine hochgeehrte Versammlung. Mit prophetischem Auge in die Zukunft blickend, sage ich Ihnen, diese Kunstnovize wird einst als die erste Sängerin Deutschlands gefeiert werden und Ruhmeskränze werden sich um den Namen Henriette Sontag winden.“

So endete das erste und eigentlich ganz unvorbereitete Debut der jugendlichen Sängerin. Daß jene Weissagung sich erfüllt, weiß Jeder, der nur etwas in der Kunstgeschichte bekannt ist. Wohl keine Sängerin hat größere und verdientere Triumphe gefeiert, wohl keiner Frau Name hat heller geleuchtet unter dem dreifachen Strahlenkranze: die erste Sängerin, die treueste, vorzüglichste Gattin, die beste Mutter zu sein.

Jetzt ruht sie aus von dem reichen, wechselvollen Leben in kühler Gruft, in jenem stillen Kloster, aber der Name Henriette Sontag lebt in Unsterblichkeit fort.

S. V.




Johnson und die Kinder. Wie das gesunde, klare Urtheil, den praktischen, staalsmännischen Blick, so scheint der gegenwärtige Präsident der Vereinigten Staaten von Nordamerika, Andrew Johnson, auch den originellen Humor, die natürliche Beredsamkeit, welche in heiterer Wendung das ernste Ziel, den Nagel auf den Kopf trifft, und das kindliche Gemüth von seinem unvergeßlichen Vorgänger überkommen zu haben. Dies ebenso wie die ungemeine Popularität, deren er sich bereits erfreut, sprach sich sehr bezeichnend in einer allerliebsten Feierlichkeit aus, die vor einigen Wochen in Washington stattfand. Ein Verein sogenannter Sonntagsschulen der Stadt Washington und Umgegend beging am 25. Mai das Gedenkfest seines fünfundzwanzigjährigen Bestehens. Etwa fünftausend Schüler und Schülerinnen und siebenhundert Lehrer und sonstige Schulbeamten bildeten den Festzug. Vor der eigentlichen Feier wallte diese stattliche Menge hinaus nach dem Weißen Hause, der officiellen Residenz des jedesmaligen Präsidenten, brachte Johnson ein endloses Hurrah und defilirte dann in wohlgeordneten Reihen an ihm vorbei, während ihm Tausende von Kinderhänden Blumenstrauß auf Blumenstrauß in den Hut warfen, bis dieser die duftende Last nicht mehr fassen konnte und ein mächtiger Korb die weitere Blumenfülle bergen mußte. Der Anblick der frischen fröhlichen Kindergesichter, ihre Lust, die unerschöpflichen Vivats, die aus den kleinen Kehlen hervorjubelten – sn muß entzückend gewesen sein. Der hübscheste Moment aber war gewiß, als der Präsident vor dem äußeren Gitter seines Amtssitzes Posto faßte, die kleinsten Mädchcn neben sich auf herbeigeschaffte Tische und Stühle stellte, sämmtliche Kinder um ihn herum einen Kreis schließen ließ und dann, helle Freude in den Augen, eine Rede an die jugendliche Versammlung begann, welche bewies, daß der Ruhm des alten Stump-Orators kein unbegründeter gewesen ist.

Diese Rede, die uns ein Freund in Amerika zum Theil in ihrem Wortlaute wiedergiebt, ist so charakteristisch, daß wir uns nicht versagen mögen, den Lesern der „Gartenlaube“ mindestens einige der merkwürdigsten Stellen daraus mitzutheilen, ihnen überlassend, naheliegende, und nicht eben erfreuliche, Parallelen selbst zu ziehen.

„Wenn ich recht verstehe,“ hob Johnson an, „so seid Ihr hier versammelt, einmal um zu zeigen, wie viele Kinder die Schule besuchen, und sodann und hauptsächlich, um dem höchsten Beamten der Nation Euere Achtung zu erweisen. Und diese Achtung, Ihr bringt sie heute einem Manne dar, der sehr wohl die Lage armer oder unscheinbarer Kinder zu würdigen weiß. Zeit meines Lebens ist es mir zuwider gewesen, wenn ich Menschen über ihr Verdienst und Gebühr schätzen und ehren sah, und ich will hier in meinen Worten an Euch, meine jungen Freunde und Freundinnen, die Ihr mir die Ehre Eueres Besuchs erweist, ausdrücklich hervorheben, daß ich ein Feind bin jedweder Vergötterung oder Kanonisation irdischer Dinge und sterblicher Personen, daß ich dem wahren Verdienste aber jederzeit die gerechte und geziemende Achtung und Würdigung gezollt zu sehen wünsche. Meine kleinen Töchter und kleinen Söhne ich darf Euch ja wohl so nennen? – lernt also zeitig unterscheiden zwischen Werth und Unwerth, Ihr sowohl, welche das Schicksal in besserer Lebenslage aufwachsen läßt, wie Ihr, die Ihr in minder günstigen Verhältnissen lebt.

Ihr, denen größere Vortheile geboten sind, werdet nicht eitel und geckenhaft, weil Euere Eltern Euch ein klein wenig besser kleiden oder etwas besser erziehen können; wisset vielmehr und fühlet, daß Euere Eltern und Euere Lehrer allein Euch nicht zu erziehen vermögen. Ob Euere Angehörigen arm oder ob sie reich sind, ob Ihr begabt seid oder nicht – Ihr müßt Euch selbst erziehen! Eltern, Lehrer und sonstige Vorzüge, deren Ihr Euch erfreut, sind nichts als die in Eure Hand gegebenen Mittel, mit denen Ihr selbst Euch die Bahn durch das Leben gestalten und ebnen müßt. Allein nimmermehr bildet Euch ein, daß Ihr irgend etwas Besseres seid, als Euere weniger günstig situirten oder minder befähigten Cameraden. Anstatt daß Ihr sie erniedrigt und ihre Lage noch drückender macht, muß es Euer Stolz sein, sie zu dem Niveau emporzuziehen, auf welchem Ihr selbst steht. – – – Meine Ueberzeugung ist es immer gewesen, daß die große Masse unseres amerikanischen Volkes emporgehoben werden kann. Und wenn dies Ziel erreicht ist, alsdann werden wir die größte und erhabenste Ration dieser Erde sein. – – –

Meine kleinen Töchter und Söhne, merkt wohl auf das, was ich Euch in Wahrheit und Aufrichtigkeit sage: wäre ich im Stande, Euch Etwas zu lehren, was Euch Alle alsbald auf einen höheren geistigen und sittlichen Standpunkt heben könnte, ich würde stolzer sein, als wenn ich vierzig Male zum Präsidenten erwählt worden wäre! Schaut Euch um, hier steht das Haus des Präsidenten und dort drüben das Capitol einer mächtigen Nation, und Ihr blickt auf Die, welche die Gesetze geben und handhaben, als auf überlegene und erhabene Personen. Denkt aber einmal einen Augenblick nach. Ihr seid der Nachwuchs, die Ernte hinter uns. Alle diese Gebäude und die ganze Regierung, eines Tages werden sie unter Euere Controle fallen und Euer Eigenthum werden, und Ihr werdet die Principien der Staatskunst, der Religion und Menschlichkeit zur Ausführung zu bringen und zu überwachen haben. Ihr Knaben, wie Ihr da um mich steht, jeder Sohn seiner Mutter, Jeder von Euch ist geborener Candidat für den Präsidentenstuhl. Warum wollt Ihr mithin nicht sofort anfangen, Euch für diesen Präsidentenstuhl zu erziehen? Und Ihr, meine kleinen Töchter, Ihr könnt zwar keine Präsidenten werden, aber Jede von Euch ist geborene Candidatin für die Würde einer Präsidentenfrau. Dessen müßt Ihr Euch bewußt werden und darum müßt Ihr Alle sonder Verzug Euch auf so hohe Stellungen vorbereiten. – – – – – Alles, was der Mensch unternimmt, muß die Billigung Dessen gewinnen, welcher die Geschicke und Ereignisse der Welt behütet. Das ist mein Glaube, wenn ich einen habe. – – – Die Zeit ist gekommen, wo die erste Frage sein muß, nicht was der Mensch glaubt, sondern ob er ein guter Mann oder ein gutes Weib ist. Wenn der Mensch gut ist – dann kommt wenig darauf an, welcher Kirche oder welcher Religionsgenossenschaft er angehört. – – – Noch einmal, meine Kinder,“ lautete der Schluß der Rede, „erzieht Euch selbst! Seid fleißig und beharrlich; füllt Euere Geister mit Allem, was gut ist; stapelt Alles, was der Aufbewahrung werth, auf in Eueren Köpfen und Euere Erkenntniß wird wachsen und groß werden!“

Der Präsident wollte nun in die innern Räume seiner Wohnung zurückkehren, allein die Menge versperrte ihm den Weg. Sämmtliche Damen und Herren, die sich um die Procession geschaart hatten, wollten ihm die Hand schütteln und der gutmüthige Johnson wehrte ihnen nicht, so daß sich bald ein förmliches Lever improvisirte.




Schiller in Kriegsängsten. Der Besitzer des Hauses am Markt in Jena, in welchem Schiller von 1790 bis 1794, ehe er sein eigenes Haus bezog, wohnte, Herr Seilermeister Netz, hat folgende charakteristische Anekdote in der Erinnerung. Bekanntlich entfaltete zu der genannten Zeit die französische Revolution ihre ganzen Schrecken und überschritt in ihren Ausläufern zum Oeftern die deutschen Grenzen. Schiller, der gerade mit Abfassung der Geschichte des dreißigjährigen Krieges sich beschäftigte, hatte keine geringe Furcht vor der Verbreitung dieser Revolution über Deutschland. „Ich zittre,“ schrieb er, der Bürger der französischen Republik, an Freund Körner, „vor diesem Kriege, der mehr und mehr an Ausbreitung gewinnt.“

Mit Bezug darauf machte er eines Tages einen jungen Studenten der Theologie, der mit in seinem Hause wohnte und durch sein gefälliges, bescheidenes Wesen seine Freundschaft erworben hatte, zum Mitwisser eines sehr wichtigen Geheimnisses. „Wenn der Krieg zu ihnen käme, für diesen Fall sei er vorbereitet.“ Er führt den Student in das hinterste Zimmer, hebt daselbst ein paar von ihm zu diesem Zwecke locker gemachte Dielen in die Höhe und zeigt dem Erstaunten ein tiefes Loch. „Hierinnen verberge ich meine Werthsachen, wenn der Krieg zu uns kommen sollte. Da werden sie diese Sansculotten nicht finden.“ Dann fügte er die Dielen langsam wieder ein. So konnte also der Dichter der „Ideale“ auch praktisch sein. Die Sansculotten kamen indeß nicht, aber die Erfindung Schillers sollte sich doch noch bewähren. Schiller ruhte schon anderthalb Jahr im Schooß der Erde, als die Soldaten des gewaltigen Corsen Jena sechs Tage lang plünderten. Erst in neuerer Zeit ist der Versteck in den Dielen entfernt worden.

Fr. Hg.


Zur Rettung Schiffbrüchiger. Bereits sind uns verschiedene Beiträge für das angestrebte neue Nationalwerk, den Verein zur Rettung Schiffbrüchiger, eingesandt worden, wir bemerken aber, daß wir dafür nicht sammeln, vielmehr bitten wir etwaige Gaben an das Comité in Bremen übermitteln zu wollen, dem wir auch die uns gewordenen Gelder zugehen lassen werden.

D. Red.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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