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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

rasch auf diesem hin, während die Seinen ihm in indianischer Reihe[1] – Einer hinter dem Andern – folgten.

Eine Viertelstunde und vielleicht nicht so lange mochten sie so marschirt sein, als Jenkins plötzlich überrascht stehen blieb, denn vor seinen Füßen theilte sich der Pfad, und während eine Abzweigung mehr rechts dem Strom zulief und auf dieser waren die Pferde transportirt worden, lenkte der andere mehr links ab, oder zog sich vielmehr gerade in den Bruch hinein.

Welchem sollten sie folgen? denn er durfte nicht daran denken seine überdies schon schwache Schaar zu theilen. Sie wären verloren gewesen, wenn sie auf den ihnen jedenfalls weit überlegenen Feind trafen. Schon wollte er sich zurück zu den ihm Folgenden wenden, um einen kurzen Kriegsrath zu halten, als ein trockenes Schilf knickte – jetzt noch eins – als ob Jemand durch das Rohr schlüpfe. Hatten sie ein Stück Wild aus seinem Lager aufgescheucht, oder war es einer der Feinde, der ihnen hier in den Weg lief? Der alte Mann hob unwillkürlich die Büchse und lag im Anschlag, lebend hätte Jener den Platz nicht wieder verlassen. Ha – dort erkannte er eine dunkle Gestalt, die durch das Dickicht schlüpfte – gerade auf sie zu – warnend hob er die linke Hand, sie Alle hatten das Geräusch ebenfalls gehört, aber Keiner rührte sich. Wie aus Stein gehauen standen die dunklen Gestalten und näher und näher kam der Flüchtige.

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.

Das erste Debut der Sontag. Bei seinem duftenden Morgenkaffee und einem wohlschmeckenden Pfeifchen saß der Oberregisseur des Prager Theaters, Holbein, aber beide sonst so beliebten Genüsse wollten dem armen Manne heute nicht munden, und auf seiner Stirn ruhten dunkle Wolken. Die Stellung eines Oberregisseurs ist auch wahrlich keine so anmuthige, um immer rosiger Laune zu sein. „Eine Sängerin! ein Königreich für eine Sängerin!“ rief der arme gequälte Mann, der versprochen, eine solche an Stelle der erkrankten Primadonna zu schaffen, und nicht wußte, wie er sein Wort halten sollte. Der hochberühmte Tenorist Gerstäcker – der Vater des bekannten und beliebten Touristen und Schriftstellers und langjährigen treuen Mitarbeiters der „Gartenlaube“ – war zu einem Gastspiele eingetroffen, dessen Ausführung durch die plötzliche Erkrankung der ersten Sängerin fast zu scheitern drohte, mindestens sehr gehemmt wurde. Der Ruf, welcher dem Künstler vorausging, war ein so vortheilhafter, daß trotz der glühenden Hilfe des Hochsommers und bei der Zusammenstellung eines jener wenig erquicklichen Quodlibets aus verschiedenen Opern, das Theater bei Gerstäcker’s Auftreten ganz gefüllt war. Und als man erst die reizende Stimme gehört und das feine Spiel bewundert hatte, verlangte das Publicum die Aufführung einer ganzen Oper. Hierzu nun sollte von dem Oberregisseur Rath geschafft werden, was Wunder, daß ihm sein Mokka nicht schmeckte und seine Stirn umwölkt war?

Auf ein Klopfen an die Thür trat sein Freund, der Kapellmeister und vortreffliche Operndirigent Triebensee, ein, und das Erste, was diesem entgegentönte, war der fast verzweiflungsvolle Ruf: „Gut, daß Ihr kommt, helft mir, steht mir bei, Ein Königreich für eine Sängerin und sei es nur für eine Rolle!“

„Gebt erst das Königreich, dann schaffe ich die Sängerin!“ entgegnete der Angeredete freundlich lächelnd. „Und für welche Partie?“

„Der Gerstäcker hat sich bereit erklärt, den Johann von Paris zu singen. Es soll eine seiner vorzüglichsten Leistungen sein; die Aufführung muß ermöglicht werden, es ist auch ziemlich Alles vorhanden, es fehlt nur die Prinzessin von Navarra.“

„Nur Donna Clara, die Prinzessin von Navarra, ist nicht vorhanden? ich möchte sagen, somit fehlte so ziemlich Alles,“ scherzte Triebensee, als er aber des Andern jammervolle Miene sah, fuhr er zwar immer noch heiter, doch tröstend fort: „Kopf oben, Holbein! Ich besorge die fehlende Kleinigkeit, ich schaffe eine durchlauchtigste Prinzessin, ich habe eine unter meinen Schülerinnen.“

„Wer, wer ist diese Perle?“

„Das Jetterl, der Sontag ihr hübsches Töchterlein. Es ist ein Blitzmädel, voll Klugheit und Talent, voll Verständniß und Begeisterung für die Kunst. Sie studirt just bei mir die Partie der Prinzessin von Navarra, In fünf Tagen – zu lange? Mann, Ihr seid anspruchsvoll! nun denn, in drei Tagen könnt Ihr die Oper geben, wenn Gerstäcker nämlich mit der Kleinen singen will; denn jung ist sie, sehr jung noch.“

„Und Ihr meint, es wird mit ihr gehen, sie wird uns keine Schande machen?“

„Die? Schande machen? Gewiß nicht.“

„Dann ist es entschieden. Euer Wort genügt. Gott sei gelobt, daß die Sorge vom Herzen ist!“ und der beglückte Regisseur sprang freudig empor, während der Kapellmeister schnell Abschied nahm und zu seiner Schülerin eilte.

Schon auf dem Hausflure drang ihm Henriettens silberheller, glockenreiner Gesang entgegen und der alte Lehrer fühlte sich angenehm berührt, seine Lieblingsschülerin schon in der Morgenfrühe und da sie keine Ahnung von seinem Kommen hatte, so fleißig studirend zu finden. Leise öffnete er die Thür des Zimmers und ungesehen von dem reizenden Mädchen, das am Clavier saß, stand er eifrig lauschend, vergnügt schmunzelnd, wenn sie eine Passage immer von Neuem sang, bis sie ganz tadellos gelang; aber als sie plötzlich eine sehr schwierige Coloratur mit einer fast an Kühnheit grenzenden Fertigkeit und Sicherheit vollendet, klopfte er zustimmend in die Hände und rief fröhlich:

„Bist ein Prachtmädel, Jetterl, und von heute an in drei Tagen trittst Du auf als Prinzessin im Johann von Paris!“

Das junge Mädchen, das schnell aufgesprungen und vor Freude über das Lob und den Beifall erglühend dem Lehrer entgegengeeilt war, fuhr bei der gewichtigen, überraschenden Kunde schreckensbleich zurück, keines Wortes mächtig, aber ihr ausdrucksvolles Gesicht und vornehmlich ihre schönen, blauen Augen redeten eine beredte Sprache.

„Mein liebes Kind, faß doch Muth,“ sagte Triebensee tröstend herantretend, als das Mädchen noch immer bleich und bebend dastand, „glaubst Du, ich hätt’ gesagt, Du könntest die Prinzessin singen wenn’s nicht ginge? Und willst Du Deinem alten Freunde und Lehrer nicht Ehre machen, soll er nicht stolz auf Dich sein?“

Ein freudiges Beben durchzitterte jetzt die reizende Gestalt des jungen Mädchens. Auf den so plötzlich erblaßten Wangen blühten die Rosen wieder empor, die Rosen der ersten frischesten Jugendzeit, welche noch dicht an die Kindheit grenzt, die Augen strahlten von Muth und Begeisterung, ja. das ganze Antlitz leuchtete wie von der Weihe der Kunst verklärt, und mit fester Stimme sagte Henriette:

„Ihr habt es gesagt, Meister, daß ich’s könne; Euer Wort soll nicht zu Schanden werden! In drei Tagen bin ich bereit als Prinzessin von Navarra aufzutreten.“

„So geb' Gott seinen Segen!“ –

„Wissen Sie schon, morgen singt der Gerstäcker den Johann von Paris?“ rief ein Vorübergehender dem andern zu, „ich eile die Billets zu holen, es soll ein stürmisches Drängen an der Casse sein.“

„Aber die erste Sängerin ist ja krank, wer giebt denn die Prinzessin?“

„Die kleine Sontag – die Tochter der Schauspielerin.“

„Die? Es ist ja aber noch nicht lange her, daß sie die Kinderrollen machte – war immer ein liebes herziges Ding! – doch muß sie noch gar sehr jung sein.“

Solche und ähnliche Bemerkungen hörte man am Tage vor der Aufführung, sie flogen auch hin und wider, als der Raum des Theaters schon die dicht gedrängte Menge aufgenommen, die trotz der glühenden Hitze begierig auf den Kunstgenuß wartete, den berühmten Gast als Johann von Paris zu sehen. Endlich erschien der Ersehnte und sang und spielte, daß es eine Lust war und das Publicum in begeisterter Weise seinen Dank, seine Anerkennung kund gab. Hier und dort wurde zwischen Bekannten wohl einmal die Bemerkung ausgetauscht: „Die arme kleine Henriette – das arme Mädel, es kann kein glückliches erstes Debut werden neben solch einem Künstler!“ Jetzt wurde die Ankunft der Prinzessin verkündet. Aller Augen richteten sich nach der Thür, in deren Rahmen plötzlich eine der holdseligsten Erscheinungen sich zeigte, welche wohl je über die Bühne geschwebt. In dem kurzen Zeitraume von vielleicht zwei Jahren, in denen man Henriette Sontag nicht mehr auf den Bretern gesehen, war aus der lieblichen Knospe eine zaubervolle Blüthe geworden, eine Fülle von Anmuth und Liebreiz mit jungfräulicher Hoheit vereint umfloß sie, daß unwillkürlich alle Herzen diesem Engelsbilde entgegenflogen. Und als Johann, hingerissen von der Erscheinung der edlen Donna, singt:

„Welcher Reiz in frischer Blüthe,
Welche Sanftmuth im Blick,
Jeder Zug bezeichnet Güte,
Strahlet Frohsinn zurück –“

da richteten sich die Augen der versammelten Menge auf sie, die als die Verkörperung dieser Worte dastand, und ein leises Beifallsmurmeln machte sich mehr und mehr bemerklich.

Schüchtern und echt weiblich, doch weder linkisch noch ängstlich, trat die Prinzessin vor und ihrem rosigen Munde entperlten die ersten Töne, von einem Wohlklange, einer süßen Innigkeit, welche die Macht besaßen, Todesstille in dem erst so aufgeregten Hause zu verbreiten. In Henriettens großen blauen Augen, die ein Spiegel ihrer reinen Seele waren, flammte ein helleres Leuchten auf, als das erste, ganz leise Bravo ertönte, es hatte für sie mehr Werth, als ein lauter Beifallssturm, denn es kam von ihrem Lehrer, dem alten Kapellmeister, der entzückt sowohl über die Reinheit der Intonation, als über den edlen Anstand seiner Schülerin, seine Freude nicht mehr zu unterdrücken vermochte; er hatte wahrlich nicht geahnt, daß dieser leise Beifallsruf das Signal sein würde zu einem Ausbruch stürmischer Anerkennung, wie er einem so jungen Talente wohl kaum jemals zu Theil geworden sein mag. Diese ungewöhnliche Kundgebung des Beifalls schien das junge Mädchen nicht nur zu überraschen, sondern zu verwirren, einen Moment bebte ihre Stimme, doch bald hatte sie die innere Bewegung bekämpft und nun, ermuthigt durch die Anerkennung, erklangen die Töne noch voller, klarer und frischer, bis ein wunderbar schöner Triller von einer


  1. Die nordamerikanischen Indianer gehen auf dem Marsch, und besonders auf einem Kriegszug, stets einer unmittelbar hinter dem anderen, damit ein Feind, der ihre Fährten kreuzt, oder Verfolger nie wissen können, wie stark ihre Schaar gewesen.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_431.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2022)