Seite:Die Gartenlaube (1865) 424.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Mein Affe.

Vortrag, gehalten in der naturforschenden Gesellschaft in Zürich
vom Prof. B.
Meine Herren!

Wenn ich es heute versuche, Ihre Aufmerksamkeit für kurze Zeit auf meinen kleinen Freund, meinen Affen, zu lenken, so geschieht dies nicht ohne einiges Bedenken, weil die Behandlung meines Themas keine streng wissenschaftliche ist, wie dies in diesen Kreisen zu der Regel gehört, sondern Ihnen nur das Bild eines individuellen Thierlebens vorführen kann, welches ich durch eine achtmonatliche Beobachtung kennen gelernt habe. Beschäftigt sich doch auch die Zoologie nicht allein mit der anatomen Zerlegung und systematischen Einreihung der Thiere, sondern auch mit dem Studium ihrer animalischen und geistigen Eigenthümlichkeiten, mit ihrem Charakter, ihren Gewohnheiten, ihren Sitten, kurz mit Allem, was uns die Thiere lieben, schätzen, fürchten und bewundern macht, und so mag es denn auch gerechtfertigt sein, wenn ich Ihnen von einem Thiere erzähle, das, obwohl von Ihnen Allen gekannt, doch vielleicht von Keinem von Ihnen so lange und so genau beobachtet wurde, wie von mir. Wie alle Leute, die viel mit Thieren umgegangen sind, an ihnen Das und Jenes entdecken, was ihnen die Thiere lieb und schätzenswerth macht, so ist es auch mir gegangen, und vielleicht verdient meine Liebe zu meinem Affen den Vorwurf, daß sie eine – Affenliebe ist.

Mein Affe, zu der großen Gruppe der Meerkatzen (Cercopithecus) gehörend, ursprünglich Bewohner des sonnedurchglühten afrikanischen Festlandes, stammt zunächst aus einer wandernden Menagerie, aus welcher ich ihn im vorigen Herbste acquirirte. Er ist männlichen Geschlechtes, und man bezeichnet die Art, welche er repräsentirt, als die graugrüne Meerkatze. Sein Alter kann ich nicht genau bestimmen: er ist jedenfalls noch ein junges Thier, da er gegenwärtig im Zahnwechsel begriffen ist. In der Menagerie soll er sechszehn Monate gewesen sein, ich selbst besitze ihn seit acht Monaten. Nehmen wir an, daß er als halbjähriges Thier in Gefangenschaft gerathen sei, so wäre er jetzt dreißig Monate alt.

Ist diese Altersbestimmung richtig, so ist sie insofern von Interesse, als der Zahnwechsel verhältnißmäßig spät erscheint, aber doch um beinahe vier Jahre früher, als gewöhnlich beim Menschen.

Dieser relativ späte Zahnwechsel läßt auf ein ziemlich langes Leben schließen. Wie groß die durchschnittliche Lebensdauer der Affen sein mag, darüber ist meines Wissens nichts bekannt. Sie sterben ja in der Gefangenschaft meist bald, da unser Klima und vielleicht die Art unserer Fütterung ihnen wenig zusagt. Bis jetzt befindet sich mein Affe, kleine vorübergehende Störungen der Verdauung abgerechnet, im Vollgenusse seiner Gesundheit, und die geraubte Freiheit suche ich ihm dadurch zu ersetzen, daß ich ihm, während er den größten Theil des Tages in einem geräumigen Käfig zubringt, zuweilen erlaube, auf dem Corridore oder im Zimmer auf Tischen und Schränken seine flüchtigen Excursionen zu machen.

Mein Affe ist ein Vielfresser und zugleich ein Gutschmecker. Es ist erstaunlich, welche Quantitäten von Speisen das kleine Thier zu sich nimmt und wie wählerisch es dabei zu Werke geht. Als Getränk liebt er am meisten Milch, die er mit großem Behagen unter gurgelnden Tönen einschlürft, Kaffee und Thee verschmäht er, mit einigen Schlucken Wein und Bier befriedigt er mehr seine Neugierde als seinen Durst. Vegetabilische Kost sagt ihm am meisten zu, Früchte aller Art, feine, junge Gemüse, wie gelbe Rüben, Salat, Rettige, ferner Brod und Conditorwaaren, aber auch animalische Kost, wie Eier und Fleisch, sucht er per fas et nefas zu erlangen, während ihm alles Fette zuwider zu sein scheint. In der Freiheit genießen diese Affen wahrscheinlich auch sehr verschiedene Dinge und mögen wohl auch hie und da die Eier aus Vogelnestern ausnehmen und kleinen Vögeln oder Mäusen und dergleichen den Garaus machen. Ihre Schnelligkeit befähigt sie dazu, die Art ihres Gebisses weist darauf hin, daß sie mit fleischfressenden Raubthieren etwas Gemeinschaftliches haben.

Nicht weniger, als der Geschmackssinn, sind die übrigen Sinne entwickelt. Das Auge scheint vortrefflich zu sein, auf große Entfernungen sowohl wie auf kleine Distanzen, man erkennt an seinen Aeußerungen leicht, daß er z. B. vom Fenster aus Gegenstände auf der Straße oder in der Luft nicht blos verfolgt, sondern sie wohl unterscheidet. Diese Art der Neugierde, mit welcher er die Bewegung auf der Straße beobachtet, hat etwas ganz Eigenthümliches, weil sie beweist, daß ein solches Thier nicht blos mit dem Nächstliegenden sich beschäftigt, sondern auch Entfernteres in den Kreis seiner Betrachtungen zieht. Nur sehr intelligente Hunde pflegen Gleiches zu thun, aber auch dann nur, wenn sie besonders aufgelegt oder aufgeregt sind. Ueber die Feinheit seines Gehörs ist mein Urtheil weniger bestimmt: es zu prüfen, ist weniger Gelegenheit vorhanden. Musik scheint ihn heiter zu stimmen; einen besondern Eindruck davon auf ihn habe ich nicht wahrgenommen. Der Geruchssinn wird von ihm hauptsächlich dann in Anwendung gebracht, wenn er über Genießbarkeit gewisser Speisen in Ungewißheit ist. Eigen ist, daß er dann in der Regel seine Nase nicht dem Gegenstände nähert, den er beriechen will, wie z. B. ein Hund, sondern mit seinen Händen einen solchen Gegenstand seiner Nase nahezubringen sucht, wie wir Menschen gewöhnlich dies zu thun pflegen.

Erstaunlich ist die Thätigkeit und Kraft seiner Muskeln. Wenn er sich z. B. mit Gewalt aus einer ihm unlieben Liebkosung von Seite einer fremden Person, oder wenn er Strafe fürchtet, loszumachen sucht, so muß man schon einen nicht unbedeutenden Grad von Kraft entgegensetzen, um das kleine Thier zu halten, und man begreift, wie kolossal stark große Affen, wie z. B. der Gorilla, sein müssen, wenn schon dieses Aeffchen mitunter schwer zu bändigen ist. Mit der Stärke ist die größte Behendigkeit verbunden. Springen und Klettern sind seine Hauptpassionen. Man sieht, wie es dem Thiere Freude macht, seine Gelenkigkeit zu produciren, indem er die verwegensten Salti mortali ausführt. Sprünge von neun Fuß Weite fast ohne Anlauf gehören nicht zu den größten, man glaubt, er habe Flügel, wenn er sich von einem Gegenstande zum andern schwingt. Sein langer Schwanz dient ihm gewissermaßen als Steuerruder, er vermag mit Hülfe desselben, wie es mir schien, während des Sprunges noch seine Richtung zu verändern. Unglaublich ist dabei seine Sicherheit; er verfehlt fast nie sein Ziel und wenn er auf einem mit Gläsern, Tellern und Gegenständen aller Art gefüllten Tische sich herumtummelt, so wirft er selten Etwas um und weiß die kleinsten Plätzchen zu benutzen, um seine Füße zu stellen. Kein Wunder, wenn das Thier bei der großen Uebung seiner Muskeln und bei der gewöhnlich bis zu einhundert und dreißig und einhundert und vierzig in der Minute steigenden Contraction seines Herzens einen beträchtlichen Stoffumsatz erfährt und eine verhältnißmäßig reiche Quantität guter Nahrung zu sich nehmen muß, die bei ihm auch kaum eine leise Spur von Fettbildung erzeugt. Eigenthümlich ist die Art seiner Ruhe und seines Schlafes. Bei Tag fand ich ihn nur ruhen, aber nie schlafen. Wenn er im Sitzen auf einer Stange in seinem Käfig schläft, so beugt er den Kopf an die Brust, faltet die Arme übereinander und legt seine Hinterfüße in der Höhe des Kopfes oder noch höher an das Gitter des Käfigs. Dabei sucht er in seinem Schwanz, den er um die Stange, auf welcher er sitzt, oder um einen tiefer liegenden Gegenstand spiralförmig windet, einen weiteren Stützpunkt zu gewinnen, der ihn im Gleichgewicht hält. Dem Schlafen im Käfig zieht er aber entschieden das Schlafen in meinem Bett vor, wo er unter der Bettdecke und nahe an mich angeschmiegt die größte Behaglichkeit findet. Sehr oft kann ich ihm indeß dieses Vergnügen nicht gewähren, denn sein Schlaf ist kein ganz solider und ruhiger. Er verändert oft seinen Platz, vielleicht weil sein Gehirn lebhafte Träume durchkreuzen, und er ist im Stande, mitten in der Nacht oder ganz früh am Morgen mich zum Spielen und Scherzen herauszufordern, wozu ich nicht immer um diese Zeit Lust habe.

Soviel von den körperlichen Eigenschaften und Functionen meines Affen; was nun seine mehr geistigen Lebensäußerungen betrifft, so steht in erster Linie seine außerordentliche Munterkeit, sein guter Humor, seine Schalkhaftigkeit, sein Witz, seine Neckerei. Dies ist der hervorragendste Zug seines Charakters. Er ist ein kleiner Kobold, stets zu allen Tollheiten und dummen Streichen aufgelegt. Wenn er mit meinen Kindern spielt, so geschieht es nicht in der anschmiegenden gemüthlichen Weise eines Hundes oder selbst einer Katze, sondern stets neckend, schelmisch, mitunter auf

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_424.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)