verschiedene: Die Gartenlaube (1865) | |
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bemerkend, fragte Mendelssohn, von wem sie herrühre, und als
man ihm den Namen nannte, äußerte er freundlich lächelnd: „Die Correctur
ist allerdings begründet; der Satz ist so richtiger; aber wie es ursprünglich
hieß, war es schöner, treffender,“ und zu dem blinden Componisten gewendet,
rieth er ihm: „lassen Sie sich durch Correcturen nicht irre machen;
das gebildete musikalische Ohr bedarf der Regeln nicht mehr, es ist sich
selbst Maß und Regel.“ Um das Glück der wenigen Anwesenden, von
welchen Niemand den Muth gehabt hätte, den Künstler um etwas Weiteres
zu bitten, vollständig zu machen, bat er seinerseits um die Erlaubniß auf
dem Piano Etwas spielen zu dürfen. Er setzte sich nun an’s Clavier und
spielte eine jener wundervollen freien Phantasien, durch die er so oft seine
Freunde entzückt hat. Wie leuchtete der Blinden Antlitz, als mitten im
Strome des Vortrags die Hauptgedanken des von ihnen so eben gesungenen
Chores auftauchten! Wir Alle hätten den liebenswürdigen Mann umarmen
und an’s Herz drücken mögen. Unter den besten Wünschen für die
Anstalt und das Wohlergehen ihrer Zöglinge nahm er Abschied, Keiner
von uns sah ihn wieder, schon wenige Jahre später nahm ihn der Tod hinweg;
aber er lebt fort, wie in seinen prachtvollen Werken, so in der Erinnerung,
in der Liebe derer, die ihn sahen und hörten. Der Blinde aber,
dem der Meister damals so freundlich zugesprochen, befindet sich noch jetzt
in jener Anstalt, verehrt den Stuhl, auf dem der Dahingegangene gesessen, als
theure Reliquie und nennt ihn den „Mendelssohn-Stuhl“. Sch. in B.
Ein trauter Winkel im Alpenlande. Gar mancher der Leser unsers
Blattes denkt jetzt wohl an einen hübschen gemüthlichen Ort, wo er seine
Sommerfrische abhalten, seine Ferienwochen genießen könne, vermag aber
in der Ueberfülle schöner Plätzchen, die ihm winken, nicht zur Entscheidung
des Wohin? zu gelangen. Vielleicht ist ihm darum der Fingerzeig willkommen,
welchen ihm der nachstehende Brief eines alten bewährten Mitarbeiters
an den Herausgeber der Gartenlaube bietet.
„… Und wenn Sie nun nach den vielen Jahren einmal wiederkommen
und ein so recht schönes und freundliches Stillleben von vierzehn Tagen
oder drei Wochen oder auch länger in der Schweiz, und zwar nicht weit
von dem lieben und herrlichen Zürich, verbringen wollen, dann, mein lieber
Freund, wüßte ich einen gar wundervoll reizenden und heimlichen Platz
für Sie. Sie kennen den freundlichen Marktflecken Lachen am Zürichersee;
die Dampfschiffe halten dort dicht unter den weithin glänzenden Kuppeln
der Doppelthürme seiner Kirche. Sie kennen aber noch nicht das Wäggithal,
in das ein bequemer Weg von Lachen aus Sie führt. Das wilde,
großartige Klönthal kennen Sie freilich wieder; aus dem Wäggithal kommt
man hinein, und also auch kommt man aus dem Klönthal in das Wäggithal,
und da war einmal ein richtiger Berliner, der bisher seine Reisen
nur bei Gropius gemacht hatte, der war zuerst in dem Klönthal gewesen
und die riesige und wilde Natur hatte ihn fast mit Schrecken erfüllt, und
wie er nun in das Wäggithal trat, da rief er verwundert aus: „Ach, hier
kommt man doch in ein natürliches Thal!“ Der Mann hatte Recht, und
Sie haben da das Thal, das Stunden lang, bald eng, bald an einzelnen
Stellen eine halbe Stunde breit, so still und heimlich zwischen den Bergen
sich hinzieht, die bald sanft sich abdachen, bald steil in die Höhe steigen,
die in dem vorderen Theile des Thales mit Obstbäumen bedeckt sind, auf
denen in dem hinteren Thale die Buche und der Ahorn mit ihrem dunklen
Laube sich erheben und zwischen den Felsen in seltener Menge und Pracht
die Alpenrose blüht, während das schönste Grün unten die Wiesen bedeckt.
Dahin sollen Sie, mein Freund; in der Stille, in dem Frieden, in der
Frische dieses Thales sollen Sie sich ausruhen und wieder stärken zu den
weiteren Mühseligkeiten des Lebens, denen auch der Herausgeber der Gartenlaube
nicht entgehen kann. Es ist nur ein einfaches Hirtenthal, dieses
Wäggithal: es hat aber seit einigen Jahren seinen Comfort, welchen auch ein
Leipziger, selbst wenn er verwöhnt wäre, nicht verachten wird. Im Jahre
1862 hat ein Herr Hegener ein geräumiges, bequemes, reizend gelegenes
Curhaus in dem Hinterthale aufbauen lassen. Denn damit diesem schönen
Thale nichts fehlt, hat es auch ein Gesundheitsquellwaser, das nach chemischen
Untersuchungen, namentlich des hiesigen Professors der Chemie, Johannes
Wislicenus – des Sohnes unseres Freundes G. A. Wislicenus –
ein Quellwasser von so ungewöhnlicher Reinheit, wie man es in natürlichem
Zustande wohl nicht wieder finden mag; es soll daher auch die doppelte
Wirksamkeit der berühmten Pfäfferser Quellen haben, und schon mancher
Badegast hat in den drei letzten Jahren seine Gesundheit dort wieder
erlangt. Der Wirth des Curhauses ist übrigens darum kein vornehmer und
theurer Badehotelwirth geworden. Sie werden eine freundliche und billige
Aufnahme in dem schönen Curhause im Wäggithale finden, und wenn Sie,
bevor Sie selbst kommen, manchen Anderen, der von dem neuen Curhause
noch nichts weiß, darauf aufmerksam machen wollen, so lassen Sie diese
Zeilen in der Gartenlaube abdrucken mit dem Namen ihres Schreibers und Ihres alten Freundes Temme.“
Philanthropie während des Krieges. Ein Herr in New-York hat
mit großer Sorgfalt eine kleine Broschüre verfaßt, die eine Uebersicht aller
von dem amerikanischen Volke während des Krieges zu philanthropischen Zwecken
gelieferten Beiträge enthält und welche im Ganzen folgende Summe ausweist:
„Die Gesammtbeiträge von Staaten, Grafschaften und Städten zur Hülfe und Unterstützung von Soldaten und ihrer Familien betrugen über einhundert siebenundachtzig Millionen Dollars (187,209,608 Doll. 62 Cent); die Beiträge von Vereinen und einzelnen Personen für die Pflege und den Comfort von Soldaten beliefen sich auf über vierundzwanzig Millionen (24,044,865 Doll. 96 Cent); die gleichzeitige Beisteuer für Nothleidende im Auslande betrug 380,140 Doll. 74 Cent, und die Beisteuer für Freigelassene, für die durch den Auflauf im Juli Beschädigten und weiße Flüchtlinge betrug 639,633 Doll. 14 Cent, was mit Ausschluß der Auslagen des Gouvernements eine Gesammtsumme von mehr als zweihundert Millionen Dollars (212,274,259 Doll. 49 Cent) ergiebt.“
Diese Zahlen sind ein lautredender Beweis von den großen Hülfsquellen und der werkthätigen Menschenfreundlichkeit des nordamerikanischen Volkes. Bemerkenswerth aber ist außerdem noch, daß während diese liberalen Beiträge zum Besten von Soldaten und deren Familien stattfanden, die gewöhnlichen Gegenstände mildthätiger Nächstenliebe keineswegs außer Acht gelassen wurden. So wurde für die Bedürfnisse der Armen aufmerksam Sorge getragen; alle die großen wohlthätigen, philanthropischen und Missions-Organisationen in Nordamerika wurden kräftig unterstützt und in wirksamer Thätigkeit erhalten. Ja, viele von ihnen haben während des vierjährigen Krieges größere Beiträge erhalten, als zu irgend einer Zeit vorher während der ganzen Dauer ihres Bestehens.
Kritische Situation auf der Sauhetze. Den Freunden der
Gartenlaube ist der Name Otto Eberlein kein fremder mehr. Sie
werden auch in dem umstehenden köstlichen Genrebilde, das der Künstler
unlängst vollendet hat, den frischen Humor, die heitere Laune wieder finden,
welche seine „Unerlaubte Jagd“ auszeichneten. Jede Deutung des Bildes
ist überflüssig, Scene und Gestalten dolmetschen sich selbst.
Ein neuer deutscher Nationalverein. Unter Bezug auf den in Nr. 23 unseres Blattes veröffentlichten Artikel „Zur Rettung unserer Seeleute. Ein nachmaliger Mahnruf an das deutsche Volk. Vom Corvettencapitän
Werner“ machen wir Alle, denen diese hochwichtige Nationalangelegenheit
am Herzen liegt, auf den in Nr. 25 der „Deutschen Blätter“
veröffentlichten Aufsatz „Ein neuer deutscher Nationalverein“
aufmerksam, der, aus der Feder eines bekannten Publicisten, gelegentlich
der Versammlung in Kiel die Sache von Neuem und auf’s
Wärmste der Beachtung des deutschen Volkes empfiehlt. D. Red.
Ehre wem Ehre gebührt! Ohne unsere Schuld ist in der Unterschrift
in der in vorletzter Nummer unserer Zeitschrift enthaltenen Abbildung der Dresdener Sängerfesthalle
der Name des Architekten Herrn Giese
als des Miterbauers dieser Festhalle weggelassen worden. Wir bedauern
dies herzlich und bitten die Leser, jene Unterschrift nach dieser Berichtigung vervollständigen zu wollen. Die Red.
Berichtigung. In dem in Nr. 24 enthaltenen Artikel „Eine Dichterhochzeit“
haben sich leider einige kleine Irrthümer eingeschlichen, die wir hiermit berichtigen.
Auf S. 373 wird der Vorname von Schiller’s Vater mit Johann
Friedrich angegeben, während es Johann Caspar heißen muß, und auf
S. 375 Caroline von Wolzogen als Verfasserin von „Agnes von Sicilien“
genannt, während bekanntlich das ehedem vielgelesene Buch von
Schiller’s Schwägerin den Titel „Agnes von Lilien“ trägt. D. Red.
Nicht zu übersehen!
Mit dieser Nummer schließt das zweite Quartal. Wir ersuchen daher die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das dritte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.
Die bekannten vortrefflichen Beiträge eines Roderich Benedix, Beta, Bock, Brehm, Fr. Gerstäcker, Georg Hiltl, Alfred Meißner, Melchior Mayr, Max Ring, Arnold Schloenbach, Herman Schmid, Levin Schücking, Temme, Karl Vogt, Ludwig Walesrode, Franz Wallner etc. etc. werden nach wie vor der Gartenlaube zur Zierde gereichen. Unter den im nächsten Vierteljahre zum Abdrucke kommenden Artikeln wollen wir unter andern nur auf die nachstebenden aufmerksam machen:
Balbina. Ein Nachtstück von Franz Hederich. – Ruth. Novelle von W. Jenssen. – Gleich und Gleich. Erzählung aus dem Ries von Melchior Mayr. – Eine Novelle von Levin Schücking. – Die blaue Tiefe, von Karl Vogt. Mit Illustrationen. – Ein preußischer General und kein Gamaschenheld. Mit Portrait. – Vor siebentausend Jahren, von Wilhelm Hamm. – Ein Heldenweib in der Unionsarmee. II. und folg. Mit Illustration. – Die Jäger auf dem Hochkaltern, von Heinrich Noé. Mit Illustration. – Morse oder Caselli. Technische Skizze von R. Herzberg. – Ein Flüchtling in London, von Gustav Rasch. Mit dem Portrait Louis Blanc’s. – Die Vogelsprache, von Wilhelm Hamm. – Negerleben. Skizze von Friedrich Gerstäcker. – Aus meiner Bilderstube, von Franz Wallner. – Eisstatuen und Pechmasken. Zur Geschichte der russischen Civilisation, vom Verfasser der „Schwarzen Melancholie“. – Aus der Geschichte der deutschen Burschenschaft. Mit Illustration. – Rundköpfe und Stuarts in der Schweiz. – Die Judengasse in Frankfurt a. M., von G. L. Kriegk. Mit Illustration. – Ein entlarvter Reformator, von E. Peschier. – Es ist doch schön auf Hochschulen! Erinnerungen einen alten Burschenschafters. – Die Mutter Gottes. Ein Beitrag zur geheimen Geschichte der Revolution, von Georg Hiltl. – Der schlimmste Tag im Leben des alten Dessauers, von Ferdinand Pflug. – Der letzte Todte aus Weimars großer Zeit. – Eine berühmte Frau des vorigen Jahrhunderts, von Arnold Schloenbach. – Mein Affe, von Prof. Br–u in Z… – Ein treuer Freund der Freiheit und der Gartenlaube. Mit Portrait.
Leipzig, im Juni 1865. | Ernst Keil. |
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_416.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)