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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Todtschlägen den göttlichen, natürlichen und menschlichen Gesetzen auf die vermessenste und ärgerlichste Weise zuwider gehandelt und dahero das Leben verwirkt habe: weßwegen derselbe zu seiner wohlverdienten Strafe, Andern aber zum abscheuenden Beispiel, dem Scharfrichter zu Handen und Banden übergeben, zur Richtstatt geschleift, daselbst mit dem Rade, durch Zerstörung seiner Glieder von oben herab, vom Leben zum Tode gerichtet, alsdann der Kopf von dem Körper gesondert, dieser aber in vier Stücke zerhauen und an den Landstraßen aufgehangen, der Kopf hingegen auf den Galgen gesteckt werden solle …“

Der Richter fragte nach der Verlesung, was der Verurtheilte noch zu sagen habe.

„Nichts,“ erwiderte Hiesel gelassen, „… nichts, was ich nicht schon oft genug gesagt habe … Ich bleib’ einmal dabei, daß das Wild frei ist im Wald … die Herren hätten das Bauernvolk gegen das Wild schützen sollen, sie haben’s nit gethan, und weil ich mich’s unterstanden hab’, haben sie mich verfolgt und richten mich … In Gottes Namen, ich hab’ mich vor dem Sterben nie gefürchtet und ob es ein bissel früher oder später geschieht, … was macht es aus? In fünfzig Jahren,“ fuhr er fort, indem er lächelnd die ganze Versammlung überblickte, „ist auch von Allen, die da vor mir sind, Niemand mehr am Leben!“

Dem Spruche folgte der Vollzug auf dem Fuße – blutig, wie jene Zeit die Gerechtigkeit üben zu müssen glaubte; die Gegenwart, welcher die Todesstrafe selbst schon zum Unrecht geworden, wendet sich von den Gräueln, womit diese damals noch ausgeschmückt wurde, mit Schauder hinweg.

Am Tage vor dem Tode ging die Thür zu Hiesel’s Gefängniß auf; auf der Schwelle stand ein greiser Mann in priesterlichem Gewande, neben ihm ein schwarzgekleidetes Mädchen, das die weinenden Augen und das bleiche Gesicht in einem Tuche verbarg.

„Hiesel,“ rief der Geistliche, „Du bist nicht mehr zu uns gekommen – aber die wahre Liebe läßt nicht von dem Gegenstande, den sie einmal erkoren, darum kommen wir zu Dir …“

„Herr Pfarrer …“ rief Hiesel, „Monika …“ wollte er rufen, allein die Stimme versagte ihm, schon hing sie an seinem Halse, aber wortlos und wie ohne Bewußtsein – nur ihr Schluchzen und das Beben des Körpers verrieth, daß noch Leben in ihr war.

„O Ihr guten, guten Menschen … fuhr Hiesel erschüttert fort … „ja, Ihr habt es gut gemeint mit mir … Ihr habt mich wirklich gern gehabt! Könnt Ihr mir denn verzeihn, was ich Euch angethan hab’?“

„Wir Menschen haben kein Recht, einander zu grollen,“ erwiderte der Priester, „hienieden sind wir Alle schwach! Wir haben Dir lang’ verziehn. Dein Vater schickt Dir durch mich einen letzten Gruß – Deine Schwester auch! Sie bedauert ihre Hartherzigkeit, die vielleicht mit geholfen, Dich vom Hause fort zu treiben … sie bittet Dich um Verzeihung für jedes harte Wort, Du sollst es ihr nicht nachtragen in die Ewigkeit …“

„Und Du, Monika?“ rief Hiesel, unter Thränen zu ihr niedergebeugt. „Und Du?“

„Sie hat,“ erwiderte der Pfarrer für sie, „ihr Heil in dem gefunden, in welchem das Heil unser Aller liegt! Du kannst ruhig hinüber gehn, Du wirst eine treue unermüdete Fürbitterin haben bei Gott …“

Monika kam etwas zu sich und richtete sich halb auf, aber der Blick der vom Weinen verblichenen blauen Augen war wie verwirrt und das Lächeln, mit dem sie zu Hiesel empor sah, stimmte nicht zu dem traurigen Ort und der ernsten Begegnung.

„Gelt, Hiesel,“ sagte sie halblaut, „ich hab’ Dir’s vorher gesagt, es kommt eine Zeit, wo Du’s erst einsiehst, wie gern ich Dich hab … Ich bin Dir treu ’blieben, Hiesel … warum hast mich so lang nit geholt in das schöne Jägerhaus … draußen im Wald … mit den lustigen grünen Läden? … Ich bleib’ Dir allemal treu … ich will schon warten, bis daß Du kommst und mich abholst …“

Der flüchtige halbe Sonnenblick der Besinnung schwand und Ohnmacht umfing sie wieder. –

„Es ist besser so,“ sagte der Pfarrer und winkte den Dienern, „laß sie so von Dir gehn, Hiesel … erspare Dir und ihr die nutzlose Qual! Auch ich muß von Dir scheiden … laß mich’s mit der Hoffnung thun, daß ich Dich drüben unter meinen Pfarrkindern wieder finden werde! Versöhne Dich mit Gott; trage, was über Dich verhängt ist, als Mann und Christ und büße durch einen reuigen Tod, was Du hienieden verbrochen … O mein Sohn, mein unglücklicher Sohn …“ fuhr er, selbst von Rührung ergriffen, fort, „mußte ich so furchtbar Recht behalten, daß Dein Trotz es werde erfahren müssen, Gewalt zu leiden!“

„Ich will als ein guter Christ sterben,“ sagte Hiesel fest, ihn zur Thür geleitend … „aber was ich leide, ist wirklich nur Gewalt – ob es Recht ist, will ich unsern Herrgott fragen …“

Er endete standhaft. Mit ihm starben der Blaue und der Rothe unter dem Schwerte des Nachrichters; der Sternputzer war im Gefängniß seinen Wunden erlegen.

Studele wandte sich ins Bairische; in der Gegend von Althegnenberg erwarb er ein kleines Gütchen, das er still bewirthschaftete, bis ins hohe Alter seinem Hauptmanne in der Erinnerung getreu und für sein Andenken begeistert.

Der Bube folgte der Trommel und hielt sich wacker; unter den bei Leipzig auf dem Felde der Ehre Gefallenen war der österreichische Hauptmann Andreas Mair – die Sage will, er sei Hiesel’s Liebling gewesen, dessen jugendliche Vergangenheit man wohl gekannt oder doch vermuthet, aber absichtlich übersehen habe, um seiner Trefflichkeit willen.

Fünf Jahre noch beweinte der allgemach ganz erblindete greise Bildschnitzer den unglücklichen verirrten und wohl eben darum doppelt geliebten Sohn; dann ward ihm der Tod ein sicherer Trost.

Die treue Monika starb erst 1820 … eine unschädliche Geisteskranke, die man frei gewähren ließ, die fast mit Niemand sprach, unermüdlich arbeitete, aber ohne Unterbrechung dazu betete. An Festtagen setzte sie wohl das Kränzel auf, das sie bei der Erdweger Hochzeit getragen, und wenn einer der jüngern vorwitzigen Burschen sie um die Bedeutung fragte, erwiderte sie lächelnd, das sei um ihres Hochzeiters willen, auf den sie warte – als sie ausgewartet hatte, gab man ihr das Kränzel mit in die Grube.

Das Andenken an Hiesel selbst ist im Volke noch sehr lebendig, zumal in den Gegenden, wo er heimisch war und am häufigsten gehaust; obwohl das, was er gewollt, lange erreicht und was damals ein Verbrechen war, zu einem auf Gesetz und Recht ruhenden festen Zustande geworden, denkt das Volk noch gern des kühnen Wildschützenhauptmanns, dessen Kraft, auf andere Wege geleitet, wohl zu einem andern Ende geführt haben würde. Er ist viel besungen im Volksliede von Freund und Feind; aus einem Spottliede über ihn hört man wohl noch einzelne Absätze, wie

Der gute Stutzen kracht nicht mehr;
     Aus seinem Mundloch geht,
Euch zu erschrecken, wie vorher
     Kein bleiernes Billet!

Er hat das Forstrecht lang studirt
     Und mit dem Jägercorps
So scharf und hitzig disputirt,
     Daß es den Sieg verlor.

Der Jäger Einwurf war sehr matt
     Auf Hiesel’s Argument,
Doch endlich machte der Soldat
     Dem Disputat ein End!

Oefter aber und lieber, wenn auch gegenstandslos geworden, hört man das alte, schon am Anfang erwähnte Lied, das also schließt:

Und kommt die letzte Stunde
     Und mach’ ich d’ Augen zu,
Soldaten, Scherg’n und Jaga,
     Erst dann habt’s vor mir Ruh!

Da wird si’ ’s Wild vermehren
     Und springen kreuzwohlauf,
Und d’ Bauern wer’n oft rufen:
     Geh, Hiesel, steh’ wieder auf!


Nicht zu übersehen!

Mit nächster Nummer schließt das zweite Quartal. Wir ersuchen daher die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das dritte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Ernst Keil. 



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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