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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

in Centreville mit der Reserve stehen gelassen wurde. Am Sonntag vor Tagesanbruch rückten jene drei Divisionen voran und boten einen herrlichen Anblick dar, wie Colonne nach Colonne über die grünen Hügel und durch die nebligen Thäler zog, während die milden Mondesstrahlen auf die langen Reihen glänzenden Stahles fielen. Nicht eine Trommel noch ein Horn wurde während des Marsches laut und die tiefe Stille wurde nur durch das Gerassel der Geschütze, den dumpfen Tritt der Infanterie oder das Gemurmel von Tausenden gedämpfter Stimmen unterbrochen.

Kaplan B. saß zu Pferde und sah so feierlich aus, als ob er dem Todesengel in das Angesicht schaute. Der erste Mann, den ich todt sah, war ein zu Oberst N.’s Commando gehöriger Kanonier. Eine Bombe war inmitten der Batterie zerplatzt und hatte einen Mann getödtet, drei Leute und zwei Pferde verwundet. Mr. B. sprang von seinem Pferde, band es an einen Baum und eilte zu der Batterie; Mrs. B. und ich folgten seinem Beispiel.

Nunmehr begann die Schlacht mit furchtbarer Wuth zu rasen. Nichts mehr war zu hören als der Donner der Geschütze, das Klirren der Schwerter und das fortwährende Knallen der Gewehre. O, daß dieses Schauspiel die glänzende Sonne einen heiligen Sabbathmorgens bescheinen mußte! Statt der lieblichen Einflüsse, die wir mit dem Sabbath zu verschwistern pflegen – des Geläutes der Glocken, die uns zum Hause des Gebetes rufen, der Sonntagsschule und aller feierlichen Andachtsübungen – war hier nur Verwirrung, Zerstörung und Tod zu finden. Auf Meilen ringsum gab es keinen Ort der Sicherheit; der sicherste Ort war der Posten des Dienstes. Viele, die an jenem Tage dem Feinde den Rücken kehrten und in dem zwei Meilen entfernten Gehölze Zuflucht suchten, wurden von Bomben in Stücke zerrissen oder von Kanonenkugeln verstümmelt gefunden, ein gebührender Lohn für Diejenigen, die, für Scham, Pflicht oder Vaterland unempfindlich, in der Prüfungsstunde der Schlacht ihrer Sache und ihren Cameraden untreu werden und aus Todesfurcht feige hinwegkriechen.

Ich wurde eiligst nach Centreville geschickt, um mehr Branntwein, Charpie etc. für die Verwundeten zu bestellen. Als ich zurückkehrte, war das Schlachtfeld buchstäblich mit Verwundeten, Todten und Sterbenden übersäet. Mrs. B. war nirgends zu finden. War sie getödtet oder verwundet? Einige Augenblicke qualvoller Ungewißheit verstrichen, und darauf sah ich sie in gestrecktem Galopp zu mir heranreiten, während etwa fünfzig Feldflaschen von dem Sattelknopfe herabhingen. Auf alle meine Fragen gab sie nur die eine Antwort: „Halten Sie sich jetzt nicht auf, um die Verwundeten zu verpflegen; die Truppen verdursten und fangen an zurückzuweichen.“ Mr. B. kam darauf mit demselben Befehle herangeritten, und wir Drei eilten nach einem eine Meile entfernten Quell hin, nachdem wir die auf dem Felde zerstreuten leeren Blechflaschen gesammelt hatten. Dieses war die nächste Quelle; der Feind wußte dies und hatte deshalb Scharfschützen auf Schußweite davon aufgestellt, um die Versorgung der Truppen mit Wasser zu verhindern. Trotz alledem füllten wir alle mitgebrachten Feldflaschen, während die Miniékugeln uns dicht umsausten, und kehrten wohlbehalten zurück, um die Früchte unserer Bemühungen unter die erschöpften Krieger zu vertheilen. Wir verwendeten drei Stunden auf diese Weise, während die Schlacht grimmiger als zuvor hin und her wogte, bis der Feind einen verzweifelten Angriff auf unsere Truppen machte, sie zurücktrieb und die Quelle vollkommen in Besitz nahm. Kaplan B.’s Pferd wurde durch den Hals geschossen und verblutete sich in wenigen Augenblicken zu Tode. Darauf stiegen Mrs. B. und ich ab und gingen wieder an unsere Arbeit unter den Verwundeten.

Noch immer rast die Schlacht ohne Unterlaß: Kartätschen und Traubenschüsse erfüllen zischend die Luft, wie sie auf ihrer furchtbaren Sendung dahin eilen; der Anblick des Schlachtfeldes ist wahrhaft entsetzlich; Männer werfen die Arme wild in die Höhe und schreien laut nach Hülfe; Andere liegen blutend, zerrissen und verstümmelt da; Arme, Beine und Rümpfe sind zermalmt und gebrochen, als ob sie von Donnerkeilen zerschmettert wären; der Boden ist von Blut dunkelroth gefärbt – es ist ein grausiger Anblick! Burnside’s Brigade wird von den Rebellenbatterien wie Gras niedergemähet; die Leute sind nicht im Stande, jenem furchtbaren Hagel von Kugeln und Bomben zu widerstehen: sie beginnen zu wanken und langsam zurückzufallen, aber gerade im rechten Augenblick kommt Capitän Sykes mit seinen Regulären ihnen zu Hülfe. Diese stürmen den Hügel hinan, wo Burnside’s erschöpfte und gelichtete Brigade sich noch immer hält, und werden mit einem Freudenjubel begrüßt, so wie ihn nur Soldaten, die von einem grimmigen Feinde fast überwältigt sind und von ihren tapfern Cameraden verstärkt werden, anzustimmen vermögen.

Aber gerade wie unsere Armee zuversichtlich auf Erfolg rechnet und die gewonnenen Vortheile verfolgt, kommen den Rebellen Verstärkungen zu und wenden das Kriegsglück. Zwei frische Rebellenregimenter werden abgeschickt, um eine Flankenbewegung gegen Griffin’s und Rickett’s Batterien zu machen. Sie marschiren durch das Gehölz, erreichen den Gipfel der Anhöhe und formiren eine Linie so vollkommen hinter uns, daß ihre Schüsse die Kanoniere fast im Rücken treffen. Griffin sieht sie herankommen, aber vermuthet, daß es die von Major Barry ihm zugeschickte Bedeckung sei. Als er indeß sie schärfer in’s Auge nimmt, hält er sie für Rebellen und kehrt seine Kanonen gegen sie. Gerade wie er im Begriff steht, den Befehl zum Feuern zu geben, reitet Major B. heran und ruft: „Das ist Ihre Bedeckung, lassen Sie nicht feuern.“

„Nein, Sir, es sind Rebellen,“ versetzte Capitain Griffin.

„Ich sage Ihnen aber, Sir, es ist Ihre Bedeckung,“ sprach Major B.

Diesem Befehl gemäß wurden die Geschütze abermals gewendet, und während dieses Manövers gab die vermeintliche Bedeckung eine Salve auf unsere Kanoniere. Männer und Pferde kamen in einem Nu zu Falle. Zu einem weiteren Augenblicke befanden sich jene berühmten Batterien in den Händen des Feindes.

Die Nachricht von diesem Unglück verbreitete sich reißend schnell durch unsere Linien; Officiere und Soldaten wurden gleichmäßig bestürzt; ein Regiment nach dem andern löste sich auf und lief davon, und fast augenblicklich riß ein panischer Schrecken ein. Cavalerie-Schwadronen wurden quer über die Landstraße mit gezogenen Säbeln in Linie aufgestellt, aber Alles war nicht genügend, um der zurückprallenden Fluth der Flüchtigen Einhalt zu thun. Darauf kamen die Geschütze dahergedonnert, die Fuhrleute trieben wüthend die Pferde zum Galopp an, was das Entsetzen der vom Schrecken ergriffenen und zu einer wirren Masse zusammengedrängten Tausende bedeutend steigerte. Auf diese Weise erreichten wir Centreville, wo die Reserve, die deutsche Brigade unter General Blenker, den verfolgenden Feind zurückhielt und die Ordnung unter den flüchtigen Truppen einigermaßen wiederhergestellt wurde.

Mrs. B. und ich bahnten uns einen Weg nach der steinernen Kirche, um welche wir Haufen von Leichen aufgeschichtet sahen und Arme und Beine massenweise umherlagen. Aber wie soll ich den Anblick innerhalb der Kirche zu jener Stunde schildern? O, dort gab es Leiden, welche keine Feder jemals zu beschreiben vermag. Einen Fall kann ich niemals vergessen. Es war ein armer Bursche, dem beide Beine oberhalb der Kniee gebrochen und von da bis zum Leibe buchstäblich in kleine Stücke zerschmettert waren. Er war am Sterben; aber ach, welch ein Tod war das! Er war wahnsinnig, vollkommen rasend, und es bedurfte zweier Personen, um ihn fest zu hallen. Entzündung war eingetreten und vollbrachte rasch ihr Werk; der Tod erlöste ihn bald von seinen Leiden und war eine Erleichterung sowohl für alle Anwesenden, wie für den armen Dulder.

Ich ging zu einem andern Sterbenden, der mit Geduld alle seine Schmerzen ertrug. O du jammervoll bleiches Gesicht! Ich sehe es noch jetzt mit seinen weißen Lippen und flehenden Augen – und dann die rührende Frage: „Denken Sie, daß ich vor dem nächsten Morgen sterben werde?“ Ich bejahte dies und fragte ihn, ob der Tod für ihn etwas Schreckhaftes habe. Aber ein himmlisches Lächeln voll frommer Zuversicht umschwebte seine Lippen, als er erwiderte: „O nein, ich werde bald in Jesu schlafen,“ – und darauf in leiser, schmerzlicher Stimme den Vers wiederholte, der anfängt:

Ich schlaf’ in Jesu selig ein.

Unsere Herzen und Hände waren mit solchen Auftritten so vollkommen beschäftigt, daß wir an nichts Anderes dachten. Wir wußten nichts von dem wahren Stande der Dinge draußen, noch konnten wir es für möglich halten, als wir erfuhren, daß die ganze Armee sich gegen Washington zurückgezogen und die Verwundeten in den Händen des Feindes gelassen habe, wodurch auch wir in eine ziemlich unangenehme Lage versetzt waren. Ich konnte

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