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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Diese Erfahrungen, die täglich gebucht werden, übergiebt der Curator der Aquarien, W. A. Lloyd, dessen englischem Manuscripte wir alle factischen Angaben verdanken, gewiß für weitere Benutzung der Oeffentlichkeit. Ihm und seinen in England gemachten Studien und Erfahrungen verdankt das ganze Hamburger System seine Anordnung und Verwaltung. Das Wassermaschinensystem ward von A. Lienau ausgeführt, die Architektur von M. Haller, dem die Gartenlaube zugleich für die anschauliche Originalzeichnung zur beigegebenen Abbildung verpflichtet ist; die Modelle zur Felsenlandschaftlichkeit in den Behältern lieferte A. Mellbye. Alle diese Künstler haben zu einem in jeder Beziehung vortrefflichen Ergebniß zusammengewirkt.

Einzeln lassen sich die Tausende von Bewohnern dieser zoologischen Unterwasser-Gärten hier nicht schildern. Nur mit dem Haupthelden der ganzen Gesellschaft, dem japanesischen Riesen-Salamander (Sieboldia maxima), der ein ganz besonderes Zimmer und eine eigene, sehr schön ausgestattete Wohnung hat, machen wir eine kleine Ausnahme. Er ist Herr einer ganzen malerischen Felsen- und Grotteninsel mit Farrenwäldchen und anderer Flora, zwischen denen sich zwergenhafte Wassereidechsen, Schildkröten, Fröschlein und Fischlein amüsiren, während der Herr der Insel, vier Fuß lang und achtzehn Pfund schwer, sich gern in seine Felsen-Privatgemächer zurückzieht, die aber von Künstlerhand so gebaut sind, daß man ihn doch immer in jedem Versteck sehen kann. Zuweilen scheint er sich auf die Füße machen zu wollen, just eines Spaziergangs wegen. Er thut’s aber blos, um sich einen Fisch zu fangen. Hat er den Bissen weg, so liegt er der Verdauung ob, harrend neuen Appetits, der von der Menge kleiner Unterthanen in seinem Reiche immer leicht befriedigt werden kann.

Die Zahl der übrigen Bewohner ist Legion, vielleicht Million und mehr, obgleich man die meisten mit bloßem Auge gar nicht sehen kann. Aber unter einer guten Lupe verwandelt sich oft ein Stück gemeiner Sandstein aus dem Meere in ein ganzes Land voll seltsamster Gebilde und Bewohner.

Die „Balanus“-Arten (Eichen- und Entenmuscheln) stürzen mit Ungestüm aus ihren eckigen Kalksteinburgen hervor, strecken jede sechs Klappen aus, jede mit feinsten Fädchen und Fäserchen befranst, und fahren und fangen damit unaufhörlich nach Beute umher. Aber bei der leisesten gefährlichen Berührung klappen sie alle ihre Herrlichkeit blitzschnell ineinander, schießen in ihren Thurm, sperren ihn mit dem „Stopfer“ und sind für die Außenwelt abgeschlossen, bis die Gefahr vorüber ist. Dann strahlen sie aber auch wieder eben so blitzartig schnell nach allen Seiten. Eine andere, braune Sorte drischt mit ihren Armen so regelmäßig, wie Drescher mit Flegeln, und frißt Alles, was sie zufällig trifft. Da sind auch meine silberweißen Lieblinge, rosenfingerig, geisterhaft, graziös elastisch und unermüdlich lustig, wie Kinder auf dem Spielplatze. In halbcylindrischen Festungen, wie sie sich oft auf alten Seemuschelschalen ähnlich alten Städten mit krummen Straßen häufen, wohnen die Serpulae (Röhrenwürmer), die aus ihren posthornartigen Thurmöffnungen erst eine lange Trompete herausstrecken, um welche sich dann eine Menge feine Fäserchen regenschirmartig und in den brillantesten Farben ausspannen, um Alles in den trompetenartigen Mund zu stecken, was sie Genießbares erwischen können.

Die zahlreichen Anneliden (bis zur Länge eines Zolles) haben an der Stelle des Kopfes gleich ihre Magenöffnung und einen Hut darüber (ganz die Art mancher Menschen). Ihre federartigen Fangruthen zerfasern sich unter guter Vergrößerung jede in zwanzig bis dreißig Fäserchen. Jedes derselben ist ein durchsichtiger Schaft mit einem Knopfe, aus denen je vier feine Speere hervorschießen, wenn es gilt, ein Infusionsthierchen zu spießen und ungebraten zu verspeisen. In den Parks von Ulva latissima (Meersalat) treiben sich obdachlose Landstreicher umher, seegarneelenartige Krabben, wie sie in England täglich schiffsladungsweise zum Thee gegessen werden, flinke, flitzende Lindwürmer mit umschlängeten Medusenhäuptern und gräßlich hervorstierenden schwarzen Augen, Nereiden, dünn wie Coconfäden, aber immer gradaus dahinschießend, wie Eisenbahnzüge in der Ferne; ganze Wälder von Thierpflanzen- Colonieen mit geisterhaft weißen Farrenblättern, die aussehen wie Bäume während reisiger Wintermorgen; glänzende wie Jungfrauen weißgekleidete Zoophyten; Thurmbewohner, die als zwanzigstrahlige Sterne sich ausbreiten und mit rosigen Blumenfasern umherangeln; weiße, glasartige Körperchen, die sich weit aus ihrem Thurme heraushängen und unaufhörlich umherfischen und nie genug kriegen können – kurz eine unendliche Welt voll seltsamster Formen und Metamorphosen, aber Alle Tag und Nacht von einem Geiste belebt und bewegt, von einem rasenden, rast- und schlaflosen Appetite nach solider Kost (in der flüssigen leben sie ja schon). Dies läßt sich erklären, da die meisten, pflanzenartig angewachsen, immer warten müssen, bis sich ein Bissen in’s Bereich ihrer Fangfächer verirrt, und die Concurrenz auch hier sehr groß ist.

Bei den großen, blaustahlgepanzerten Crustaceen-Rittern (Hummern etc.), auch den kleineren Krabben wollen wir uns diesmal gar nicht aufhalten. Aber der „Eremit“ oder der Einsiedler-Krebs ist zu auffallend dazu. Diese stets umherschnüffelnde Creatur mit krebsartigen Vorderklauen, sonst aber mit dem ganzen Körper in einer gestohlnen weißen Muschel steckend, rast und rasselt zu ungebehrdig auf Steinen und Sand umher, als daß wir sie unbeachtet lassen dürften. Die vorgestreckten Klauen und der borstige Bart wirbeln immer im Wasser in unermüdlicher Kampf- und Freßlust; doch kriecht sie sofort in ihre geraubte Festung, wenn sich ihr ein respectabler Feind gegenüberstellt. Das renommistische Räuberleben des Einsiedler-Krebses kommt übrigens vielen Pflanzenthierchen zu Gute, die sich mit ihren Gehäusethürmchen auf der Festung desselben anbauen und so auf ihrem Rücken wacker nach Beute umherreiten, besonders den Eichelmuscheln, die von der südwestlichen Küste Englands oft meilenlange Strecken mit ihren blendendweißen Häuschen überkrusten.

Außerdem gesticuliren und wirken, angewachsen an Felsenstückchen, eine Menge seltsam belebter Baum- und Pflanzengebilde umher, weidenartige Stumpfe mit lebendiger Krone von bewegten, weißen Zweigen, wunderbar verzackte, zoophytische Gestalten, die mit ihren Aesten und Zweigen in tropischen Meeren Riesengröße erreichen und Menschen damit fangen, zerdrücken und aussaugen können. Ich habe von einem Matrosen gelesen, der über Bord in die Klauen eines solchen Ungeheuers fiel und mit Beilen und Aexten herausgehauen werden mußte.

Da sind noch eine Menge Zoophyta helianthoida, sonnenstrahlen- oder sternenförmige, daher auch Actinidae genannt (vom Griechischen aktis = Strahl), im weiteren Sinne: „See-Anemonen“, die sich in der Regel mit einer besondern Warze fest an Felsstücke saugen, aber auch gehen und schwimmen und kriechen können. Der eigentliche Körper gleicht oft einem abgeschnittenen Kegel oder kurzen Cylinder auf flacher Ebene. Die Glieder strahlen meist in fünf regelmäßigen Formen aus, oft in den lebhaftesten, sich wandelnden Farben und Blüthenbüscheln. In der Mitte ist der Mund mit einem häutigen Beutel von Magen, den sie bei großem Hunger auch aus sich heraustreiben wie einen ausgebreiteten Sack. So wie sich diesem ausgespannten Netze etwas Genießbares naht, ziehen sie den Sack blitzschnell darüber zusammen, in sich hinein und verdauen. In der Gefangenschaft werden sie mit Austern, Muscheln und Regenwürmern gefüttert, wie alle anderen Raub-Zoophyten.

Die Zahl der Arten und Gestalten und Namen der Actinien und Seesterne ist ungemein groß. Wir wollen blos die zierliche Actinoloba dianthus, weiß wie Schnee, glänzend wie Porcellan und zierlich bemalt mit purpurnen und bernsteinfarbigen Figuren, als ein Proteus-Wunder erwähnen. Jetzt schwimmt sie wie ein Teller, dann wie eine Untertasse mit blumigen Fransen ringsum, dann wie eine weiße Distel etc. Auch fällt es ihr zuweilen ein, sich wie eine Sanduhr, mit enger Taille in der Mitte, zu zeigen, sich nur in ihre eigene Hälfte zu verwandeln, um dann wieder dreimal so groß zu erscheinen. Bei guter Laune wechselt sie ihre Gestalt fortwährend und kann sich im Nu ganz wenden, das Innere nach außen kehren.

Und die faulenzenden, häßlichen, klumpigen Mollusken, sammet- und gallertartig mit langen Ohren, wie der einst für giftig, jetzt für eßbar gehaltene Seehase, die schwammigen und kaum haltbar erscheinenden und doch gegen die Wuth des Meeres so tapferen Gebilde, die ganze Inseln und Welttheile aus dem Meere aufbauenden Korallen-Thierchen, diese ewig wunderbare „Gestaltung und Umgestaltung, des ewigen Sinnes ewige Unterhaltung“? Ja, wer wird aus dieser erst neuerdings aufgeschlossenen, noch nirgends in wissenschaftliche Grenzen gebannten Wunderwelt der Tiefe klug? Emporgehoben, meisterhaft entfaltet und beleuchtet ist sie nun wenigstens in Hamburg als Mahnung und Reiz für die übrigen Stätten der Cultur und Wissenschaft, die sich und der Menge kaum etwas Anziehenderes und Gehaltvolleres

bieten kann, als gut bevölkerte Aquarien.

H.Beta.



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