Seite:Die Gartenlaube (1865) 379.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

stählernen Panzer Privilegium. Was sind Zeitbestrebungen, was ist Aufklärung ihr gegenüber? Auch wir beabsichtigen hiermit keineswegs an ihre „geheiligten Rechte“ uns zu wagen – denn wo es um des deutschen Michels Zipfelmütze sich handelt, da ist ja meistens jeder reformirende Versuch von vornherein ein verfehlter – allein im Interesse der großen unabsehbaren Menge leidender und von Krankheiten aller Art geplagter Menschen wollen wir es doch unternehmen, den Schleier einmal vollständig zu heben, der auf ihren unheimlichsten Mysterien ruht. Wie Herr Dr. Bock dem weiten Leserkreise der Gartenlaube gegenüber mit tapferem Arm auf dem Felde der populären Medicin Bahn gebrochen und den wahren Augiasstall von Vorurtheilen und Mißständen mit derben Strafpredigten, frei von der Leber weg, gereinigt und durch beherzigenswerthe Anordnungen beseitigt hat – so wollen auch wir es wagen, mit diesen Darlegungen die argen Finsternisse der Arzneikunde für Jedermann aufzuhellen. Wir glauben dies ohne Scheu ausführen zu dürfen, selbst auf die Gefahr hin, daß wir damit der alt-ehrwürdigen Apothekerei einen sehr empfindlichen, ja tödtlich verwundenden Stoß versetzen – – denn wenn wir den Einzelnen allerdings auch schaden, so müssen wir doch hoffen, dadurch der Allgemeinheit in einer wahrlich nicht geringen Weise zu nützen.

Zunächst müssen wir jetzt den Apothekern einige Gerechtigkeit widerfahren lassen. Selbst wenn hier und da einer von ihnen es gern versuchen wollte, den guten Bauer- und Bürgersleuten zu erklären, daß es in keiner Apotheke der Welt wirkliches Storchfett, Krebsblut etc. mehr giebt, sondern daß sie für dies Alles immer nur Schweineschmalz bekommen und theuer bezahlen müssen – so würde er hierfür vielfach gar nicht einmal Glauben bei den meisten Menschen finden. Wäre es in einer großen Stadt, so würden sie, ohne ein Wort zu verlieren, in die nächste Apotheke laufen, während sie in der kleinen bei einem solchen Versuch achselzuckend und entrüstet den erbärmlichen Apotheker verlassen würden, „der so Etwas nicht einmal hat“. Ja, derselbe wäre für seine Wahrheitsliebe und Rechtlichkeit, nächst den materiellen Verlusten, oft noch wohl obendrein groben Beleidigungen ausgesetzt, denn nach der Meinung vieler leider nur noch zu sehr beschränkter Menschen muß er eben Alles haben, was sie sich nur wünschen und sich von alten Weibern und den ärgsten, oft selbst entsetzlich dummen Betrügern einreden lassen. Auch dem wohlwollendsten und menschenfreundlichsten Apotheker dürfen wir eine solche Selbstverleugnung nimmer zutrauen – unter den jetzigen Verhältnissen bleibt ihm wirklich nichts Anderes übrig, schon „um das Vertrauen der Leute nicht zu verlieren“, als dem Geschäft mit den widerlichsten, unnatürlichen und vielfach gar nicht existirenden Dingen ruhig seinen Gang zu lassen. Und, zur Ehre des Standes, wollen wir es auch nicht verschweigen, daß in vielen Apotheken jetzt bereits das Schweineschmalz auf die unappetitlichsten und ungeheuerlichsten Benennungen, als: Hunde-, Katzen-, Mücken-, Kamm(Pferde-) Fett etc. nicht mehr verabfolgt, also diese gleichsam unanständigen Fette als nicht mehr vorhanden betrachtet werden … ’s bleiben ja doch noch immerhin fünfzehn bis sechszehn zurück, also fort mit Schaden!

An allen Gebildeten ist es nun aber, auch in den untersten Schichten der Gesellschaft mindestens so viel Licht und Aufklärung zu verbreiten, daß fernerhin Niemand mehr sein sauer erworbenes Geld fortwerfe, indem er für einen zehnfachen Betrag zehnerlei Arzneimittel einzukaufen wähnt und doch nur ein und denselben Gegenstand erhält. Aber auch alle Aufgeklärteren mögen sich hüten, daß ihnen von Hebammen, Kinderfrauen etc. nicht mancherlei derartiger, noch wahrhaft mittelalterlicher Mummenschanz in’s Haus gebracht werde, oder daß sie am Ende noch hier und da selbst Etwas kaufen, was sie in Küche und Keller ungleich wohlfeiler haben können.

Wenden wir uns jetzt dem Schweineschmalz in seiner Eigenschaft als wirkliches Arzneimittel zu. Seine hauptsächlichste Verwendung findet es zur Bereitung mannigfacher Salben. Unter diesen eine der sonderbarsten ist die Jodkaliumsalbe; sie muß nämlich mit durchaus säurefreiem (nicht ranzigem) Fette bereitet werden, sonst wird sie sogleich gelb. Und trotz vielfacher Vorbeugungsmittel, Magnesia, Natron etc., ist sie doch nur höchst schwierig rein weiß zu erhalten. Daraus erhellt aber, wie schwierig reines Schmalz vor dem Sauer- oder Ranzigwerden zu bewahren ist. Die Jodkaliumsalbe wird häufig von den Aerzten bei scrophulösen Anschwellungen und dergleichen verordnet; man muß sie dann vor Nässe, Wärme und Licht bewahren, da sie durch dies Alles leicht zersetzt wird.

Nächstdem wird das beste Schmalz zu der Darstellung der medicinischen Seife gebraucht. Diese wird aus einem Gemisch von frischem Schweineschmalz, Provencer Olivenöl mit Aetznatronlauge gekocht und dient zur Bereitung von innerlichen Arzneien, Pillen etc. Ebenfalls sehr gutes frisches Schmalz muß zu den übrigen weißen Salben genommen werden, zu Zink-, Bleiweiß-, Brechweinstein- (der sogenannten Pockensalbe), weißer Quecksilber- oder Präcipitat- und Rosensalbe, deren letztere dann wieder zur Herstellung anderer Salben dient. Schlechteres, dunkel gewordenes Schmalz wird für farbige Salbe verwandt; hierher gehören die Elemi-, rothe und graue Quecksilbersalbe, ferner das Meliloten- und einige andere Pflaster, vor allen aber die ordinäre graue Quecksilber- oder Läusesalbe, zu welcher letzteren besonders das allerschlechteste, sonst unbrauchbare, oft sogar von crepirten Thieren und dergleichen herstammende Fett verbraucht wird. Des höheren Preises wegen wird zu Salben und Pflaster auch vielfach statt des Schmalzes ein zusammengeschmolzenes Gemisch aus Oel und Talg angewandt.

Das Schmalz der im Winter oder Sommer geschlachteten Thiere ist bekanntlich von verschiedenartiger Consistenz. „Für den Gebrauch hat dieser Unterschied die Folge, daß das Sommerfett zu flüssig ist, daß die daraus bereiteten Salben in heißer Witterung fast schmelzen, daß man zur Bereitung von Pomade weißes Wachs, was ungefähr 3 bis 3½fachen Preis hat, oder Stearinsäure (gewöhnliches Stearin), die ungefähr den doppelten Werth hat, einschmelzen muß. Es ist deshalb von großem Interesse, das ganze Jahr hindurch ein gleiches festes Fett zu haben und also auch zur rechten Zeit seine Einkäufe zu machen. Das Schweinefett selbst ist nun wieder verschiedener Art, je nach dem Theile des Körpers, von dem es abstammt. Die äußere Fetthülle des Schweins, welche den ganzen Körper, besonders aber Rücken und Seiten umgiebt, ist viel leichter schmelzbar, als das im Innern des Körpers, längs den Rippen abgesetzte Fett. Letzteres oder das Lendenfett ist vorzugsweise zum pharmaceutischen Gebrauche geeignet, und man verschaffe sich deshalb vom Metzger diese langen zusammenhängenden Stücke Fett, um sie selbst auszuschmelzen. Man trennt zunächst mit einem Messer alle noch darauf haftenden rothen und fleischigen Theile, so wie auch Häute, die es bedecken, schneidet es in kleine würfelförmige Stücke, wäscht diese mit Wasser, bis es farb- und geruchlos abläuft, und setzt sie in einem verzinnten kupfernen Gefäße auf ein gelindes und etwas entferntes Kohlenfeuer. Man rührt nun das Fett um, bis es aus dem weißen und milchartigen Zustande vollkommen klar und durchsichtig geworden ist, was die Entfernung des zwischengelagerten Wassers anzeigt. Nun lasse man es durch ausgespannte dichte Leinewand laufen, und rühre es so lange um, bis es weiß und undurchsichtig geworden ist. Dies kann entweder in den steinernen Töpfen selbst geschehen, in denen es aufbewahrt werden soll, oder in einer großen Schüssel, aus der man es, noch eben flüssig genug, in die steinernen Gefäße eingießt und hierin ganz erstarren läßt. Ohne dies entstehen durch die Zusammenziehung des Fettes beim Erstarren (Dickwerden) Spalten, welche der Luft reichlichen Zutritt in’s Innere gestatten, und dadurch das Ranzigwerden begünstigen. Wollte man bis zum völligen Erstarren rühren, so würde man eine noch größere Menge Luft einrühren, die nun nicht mehr entweichen könnte, und das Uebel dadurch noch vergrößern. Man muß deshalb zur rechten Zeit mit dem Rühren aufhören, damit das Fett noch Beweglichkeit der Theile genug besitze, um sich dicht, ohne Zwischenlagerung von Luft, ausgießen zu lassen. Ohne diese Vorsicht scheidet sich auf der Oberfläche eine Menge ölartiges Fett aus, welches dem Ranzigwerden sehr unterworfen ist, und durch dessen Ausscheidung die Consistenz des Fettes ungleich wird.“

Diese vortreffliche Zubereitungs- und Conservirungsmethode des Schweineschmalzes, aus dem Commentar zur preußischen Pharmakopoe von Dr. Friedrich Mohr, glaubten wir den Lesern nicht vorenthalten zu dürfen; einmal für Diejenigen, welche etwa in der Lage sind, große Schmalzvorräthe an Apotheker und Droguisten verwerthen zu können, dann für alle Die, welche diese oder jene Salben der Apotheke sich selbst herzustellen vermögen, und schließlich für die Hausfrauen, denen vielleicht daran gelegen ist, eine Menge reinen Schmalzes, ohne Salz, Zwiebeln etc. aufzubewahren. Für den Handel wird das Schmalz meistens in sorgfältig

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_379.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)