Seite:Die Gartenlaube (1865) 367.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

erscholl vom Kirchthurm lautes, helles Geläute. Wohl war es um die Zeit, zu welcher gewöhnlich das Zeichen zum Abendgebet mit der Glocke gegeben ward, aber das Läuten tönte nicht wie sonst in langsam friedlichen, zur Ruhe einladenden Schwingungen, sondern in kurzen, rauhen und abgestoßenen Schlägen, eine tiefere Glocke dröhnte unheimlich, eine hellere wimmerte wie Klageruf darein.

„Was ist das?“ rief Hiesel, während die Schützen nach der Thür eilten, „das ist nicht Gebetläuten! Ist Feuer im Dorf?“

Im Augenblick klirrte eine eingeschlagene Fensterscheibe in die Stube und der Bube, der draußen herumgeschlichen war, rief herein: „Heraus, Cameraden, sie läuten Sturm! Heraus, Hiesel! Sie kommen, es geht gegen uns!“

Diese Botschaft hatte in einem Augenblicke das ganze beginnende fröhliche Gelage umgestaltet. Mahl und Trank, Scherz und Erholung waren vergessen, der Gefangene entsprang und schon im nächsten Augenblick stand die ganze Schaar der Wildschützen kampfgerüstet vor dem Wirthshaus, im Rücken durch die Wand eines hohen Scheunengiebels gedeckt; denn das Wirthshaus selbst mit seinen vielen Thüren und Fenstern taugte nicht zum Bollwerk des beginnenden Kampfes.

„Was giebt’s denn?“ rief Hiesel wieder; „wer kommt? Das kann doch unmöglich die Streifmannschaft sein, die hinterm Walde gelegen war?“

„Nein,“ antwortete der Bube, indem er seine Büchse schußfertig machte, „die Bauern sind’s, die Bauern kommen gegen uns!“

„Die Bauern? Gegen uns? Gegen den bairischen Hiesel?“ rief dieser ungläubig. „Hast Du zu tief in den Krug geschaut? Das ist ja nit möglich!“

„So schau dorthin,“ erwiderte Anderl, nach der Dorfgasse deutend. Eine ungeordnete Schaar von ein paar hundert Männern und Burschen, mit Sensen, Drischeln, Gabeln und alten Gewehren bewaffnet, rannte und drängte schreiend und lärmend gegen das Wirthshaus heran. Hiesel stand wie versteint, mit weit offenen, starren Augen, mit vorgebeugtem Leibe, als könne er nicht glauben, was er erblicke, und müsse sich überzeugen, daß es kein Blendwerk sei; er war blaß wie ein Sterbender, und zum ersten Male bebte in seiner sichern Hand die nie fehlende treue Büchse.

„Was wollt Ihr?“ schrie er der andrängenden Menge mit mächtiger Stimme entgegen und trat furchtlos hart vor sie hin.

„Warum drängt Ihr auf diese Weis’ auf uns ein?“

Die Bauern waren in ungewöhnlich erregter und wilder Stimmung; drohend und mit wildem Zuruf erhoben sie die Waffen; hinter ihnen wurden die Frau des Kirchenpflegers und der alte Mauthner sichtbar und machten klar, was das sonst ruhige Volk bis zu diesem Grade empört und zum offenen Widerstand gereizt.

„Hinaus!“ schrie der vorderste der Schaar, ein riesiger, mit einer Hacke bewaffneter Knecht. „Hinaus aus unserm Dorf, wir wollen nichts zu thun haben mit der Bande!“ Der ganze Haufen brüllte es nach.

„Besinnt Euch doch, Leute,“ erwiederte Hiesel etwas ruhiger. „Ihr müßt Euch irren! Denkt doch daran, daß es Euer bester Freund, der bairische Hiesel ist, der vor Euch steht! Denkt daran, wie ich das letzte Mal hier war! Hab’ ich Euch da nicht redlich geholfen? Habt Ihr mich nicht fortbegleitet wie den besten Freund und mir Euern Dank noch nachgerufen, und mich eingeladen zum Wiederkommen?“

„Ja,“ rief der Knecht, „aber jetzt wollt Ihr uns wieder abnehmen, was Ihr uns zurückgegeben habt! Und das leiden wir nicht! wir wollen nichts zu schaffen haben mit Euch, wir zahlen nichts!“

„Nein, nichts zahlen!“ tobte die Menge nach, und die Stimme des Anführers schrie über den Tumult hinaus: „Fort! Hinaus mit dem Räuberhauptmann!“

Mit diesem Worte hatte Hiesel seine ganze Fassung, all’ sein kaltes Blut wieder gewonnen. „Räuberhauptmann!“ rief er, „so nennt Ihr mich? Mich, der sich nur für Euch aufgeopfert hat? Ihr nennt mich so, Ihr, um derentwillen ich mein Leben, meine ganze Zukunft hingegeben habe? zu deren Schutz und Befreiung ich ein Ausgestoßener geworden bin, den man, obwohl er kein Unrecht thut, hetzt und verfolgt wie einen Verbrecher? Bin ich ein Räuber? Wer ist, der sagen kann, daß ich ihm etwas gewaltsam genommen, daß ihm etwas geraubt oder entwendet wurde? Wer kann sagen, daß ich etwas gethan hab’, was den Namen einen Räubers verdient? Sagt’s, damit ich den Lügner kennen lern’ und ihn würg’, bis er an seiner eigenen Lüg’ erstickt! Ich hab’s nur mit Euern Feinden, den Jägern, zu thun!“

„Richt wahr ist’s,“ rief eine Stimme aus dem Haufen. „Habt Ihr nicht den Meßner von Steinkirchen bis auf’s Blut geschlagen, und ihm mit dem Hausanzünden gedroht? Ist das auch ein Jäger gewesen?“

„Nein, aber ein Schuft wie Du,“ schrie Hiesel dem Sprechenden entgegen, „der es mit den Jägern gehalten hat und uns an sie hat verrathen wollen!“

Der Bauernanführer war nicht so leicht zu entmuthigen. „Und der arme Teufel, der Wegmacher von Agawang,“ rief er wieder, „den Ihr neulich gezwungen habt, Euch den Weg zu weisen, hat Euch der auch verrathen wollen? Und doch habt Ihr ihn mißhandelt, daß er noch zwischen Leben und Sterben liegt! Und der Kirchenpfleger, dem Ihr mit dem Todtschießen gedroht habt, ist der auch ein Jäger?“

„Das ist gegen meinen Willen geschehen, Leute!“ rief Hiesel. „In der Uebereilung und im Zorn. Ich kann meine Leute nicht immer halten, wie ich will, und wenn man Jahr aus Jahr ein im Forst lebt bei den wilden Thieren, ist’s ein Wunder, wenn man auch wird wie ein wildes Thier? Oder glaubt Ihr etwa, es ist ein angenehmes Leben, das wir führen, und daß wir es nur zu unserm Vergnügen thun? Ich bin nicht ein Wildschütz ’worden, weil mich die Arbeit nicht gefreut hat, oder weil mich der Gewinn verlockt hätte! Niemand hat ein Ohr gehabt und ein Herz für die Klagen der Bauern! Ich allein hab’ es nicht sehen können, daß Ihr Euch das ganze Jahr für die Ernte plagt und darauf hofft und wartet, und daß Ihr am Ende, wenn Ihr die Sense in die Hand nehmt, nichts findet, als einen verwüsteten und zerstampften Acker; drum bin ich ein Wildschütz worden, aber kein Räuber! Für Euch bin ich eingestanden und Ihr zieht gegen mich heran, wie gegen den ärgsten Feind? Weil ich in der Klemm’ bin und einmal Eure Hülfe brauche, wollt Ihr mir’s verweigern und mich aus Eurer Gemarkung jagen wie einen tollen Hund?“

„Nein, nein, das wollen wir nit, Herr Hiesel!“ sagte vortretend Einer von den Bauern, ein älterer Mann. „Wir haben es halt nicht so überlegt. Wir haben’s nit vergessen, was Er für uns gethan hat, aber es ist ein Zettel in alle Dörfer gekommen, daß man Euch nirgends aufnehmen sollt’ bei schwerer Straf’; da haben wir halt Furcht gekriegt und haben uns aufreden lassen.“

„Aber Ihr solltet Euch nicht so aufreden lassen gegen mich!“ entgegnete Hiesel. „Wenn Ihr so muthig seid, zu den Waffen zu greifen, warum seid Ihr es denn nicht gegen Eure gewohnten Dränger, gegen den Förster und Amtmann, vor denen Ihr kriecht? Warum habt Ihr nur gegen mich Courage und wollt mich nicht einmal über Nacht in Eurem Dorfe lassen?“

„So haben wir’s nicht gemeint“, sagte der zweite Bauer wieder. „Wir wollen nur nichts zahlen, und weil Er gedroht und den Kirchenpfleger so kujonirt hat, sind wir halt zornig ’worden – aber über Nacht soll Er schon bleiben dürfen, Herr Hiesel! Und der Wirth soll ihm auch das Beste auftragen auf unsere Rechnung! Nicht wahr, Nachbarn?“

„Ja wohl, ja wohl,“ riefen die Meisten, „über Nacht kann er schon bleiben, dafür wird uns kein Mensch was anhaben können!“

„Werdet schon sehen! Ich rath’ nit dazu!“ schrie der Knecht mit der Hacke, der den Anführer gemacht hatte. „Werdet schon sehen, wie der Amtmann mit Euch umspringt! Aber meinetwegen laßt ihn über Nacht bleiben, aber wie es Tag wird, müssen sie wieder aus dem Dorfe sein!“

Zustimmend schrieen die Bauern durcheinander, Hiesel überwarf das Gewehr über die Achsel und rief: „Ich dank Euch nicht dafür –, behaltet Euer Mahl und Eure Gastfreundschaft! Der Bissen soll zu Gift werden, den ich oder Einer von den Meinigen aus Euren Händen nimmt! Ich will nichts mehr wissen von Euch! Ihr habt mir mehr genommen, als Ihr mir geben könnt, und wenn Ihr mir all Eure Höfe und Gründe und Aecker schenken wolltet! Ihr habt mir den Glauben genommen, daß, weil ich der Helfer des Volks bin, das Volk auch zu mir steht und mich gerne hat. Brecht auf, Cameraden, wir gehen dahin, wohin wir gehören – in den Wald!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_367.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2022)