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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)


da die Seele des Kindes gerettet war, weil er getaufet war und glaubte, die Hülfe des Herrn Barmherzigkeit und Weisheit überlassen. Am Montage zeigte ich ihm einen blanken Thaler mit dem Bildnisse des seligen Königs Friedrich Wilhelm’s des Vierten; er gab zu erkennen, daß er sich sowohl über den Thaler, als auch über das Bildnis des Königs freue, denn für den seligen König hatte er täglich gebetet; ich sagte: „Fränzchen, möchtest Du den Thaler behalten?“ da nickte er freundlich; ich fragte weiter: „Willst Du ihn verschenken?“ da machte er eine Gebehrde des Verneinens; als ich aber fragte: „Willst Du nicht den Thaler den armen Heidenkindern in China schenken?“ da machte er eine Gebehrde der freudigen Zustimmung.

Beim Einnehmen der Arzeneien durfte man ihm nicht sagen, daß er dadurch gesund werden würde; darüber wurde er widerwillig: nur aus Gehorsam gegen den Herrn Jesum, die Aerzte oder seine Eltern nahm er, was ihm verordnet wurde.

Am Dienstag Vormittag, also am neunten Tage nach seiner zuerst ausgesprochenen Sehnsucht nach den Himmel, wurde wider alles Vermuthen sein Zustand äußerst bedenklich; die Aerzte sahen sein Ende kommen, eine Lungenentzündung war noch hinzugetreten; ich aber sah im Glauben den Engelwagen kommen und sagte noch kurz vor seinem seligen Hinscheiden: „Liebes Fränzchen, sollen nun die Engelchen kommen und Dich zum Herrn Jesu bringen?“ Da nickte er getrost, und dann sagte ich noch: „Nun werden sie bald kommen, dann wirst Du mit ihnen hinaufeilen und den lieben Herrn Jesus und Abraham, Isaak, Jakob, Joseph und seine Brüder, sowie David und alle heiligen Apostel sehen, willst Du das?“ Da gab er auch seine Zustimmung. Der Herr erhörte meine Bitte und verkürzte die Zeit des Leidens; um halb zwei Uhr Nachmittags hauchte er unter meinen Gebeten seine Seele aus und der Glaube sah sie hinweggeführt von den Engeln in des Heilands Schooß.

Unser Schmerz ist groß, aber des Herrn Trost ist noch größer. Den blanken Thaler und Fränzchens Ersparnisse händigte ich als Erbschaft dem Frauen-Missions-Verein für China ein.




Das ist die Frömmler-Geschichte eines sterbenden Kindes! – Der Bericht über die sieben Klein-Kinder-Bewahranstalten stellt dieses Kind als ein solches hin, an welchem „die Wirkungen göttlicher Gnade“ sich am glänzendsten erwiesen. Und doch wollen die Vorstände eine dieser Anstalten schließen wegen der gegenwärtig sehr traurigen äußeren Lage des Vereins. Man höre! „Schon der letzte Bericht wies stillschweigend ein Deficit von über 3 Thalern nach, und dieses zu decken, hat uns trotz aller Einschränkungen nicht gelingen wollen, ja es ist jetzt bis auf 101 Thlr. 24 Sgr. 10 Pfge. herangewachsen. Dieser Umstand erfüllt uns besonders mit Kümmerniß, weil wir ohne des Herrn außerordentliche Hülfe etc... Wir bitten daher alle theuren Kinderfreunde, mit uns den Herrn anzurufen, daß Er uns aus dieser Noth und Bedrängniß in Gnaden retten wolle.“ Und wer sind die armen Hülflosen – denn solche können es doch nur sein – die so jämmerlich wegen eines solchen Deficits zum Himmel schreien? Neben sechs Predigern und Pastoren, vier Baroninnen, einer Gräfin auch der Oberst v. Ollech, der Commandeur des Berliner Cadettencorps, und Staatsminister a. D. v. Uhden, einst die höchste Gerichtsperson Preußens.




Ein guter Bürger.

Fragt ein Fremder bei dieser oder jener Einrichtung, der einen oder der andern Anstalt, dem oder jenem großartigen Unternehmen, die seit einer Reihe von Jahren in Köln zum öffentlichen Wohl in’s Leben gerufen worden sind, nach Urheber oder Theilhaber solcher verdienstlicher Werke, immer wird ihm ein Name vor Allen mit Stolz genannt werden, als der eines Mannes, welchem das moderne Köln vor vielen Andern zu Dank verpflichtet ist, der Name Classen-Kappelmann. Unsere Leser am Rhein wissen Alle, was ihnen dieser Name bedeutet, ihnen brauchen wir nicht erst zu sagen, daß Herr Classen-Kappelmann, den das Vertrauen seiner jetzigen Mitbürger zum Stadtverordneten erwählte, wie so viele ausgezeichnete Männer, seine Erfolge sich selbst verdankt, ein „selbstgemachter Mann“, wie dies erst in letzter Nummer der Gartenlaube von Abraham Lincoln gerühmt wurde.

Als Sohn eines Kleinbürgers in dem rheinischen Städtchen Sinzig kam er mit sechszehn Jahren nach Köln, wurde Ladengehülfe in einem Manufactur-Geschäfte und schwang sich von diesem bescheidenen Posten auf zu einem namhaften Industriellen der Hauptstadt des Rheinlandes – lediglich durch eigene Kraft. Und mit seiner Privatthätigkeit ging die öffentliche stets Hand in Hand. Er wollte ein guter Bürger werden, nicht mehr, nicht weniger. Welch bescheidener Wunsch – und doch, welches hohe ehrenvolle Ziel – um so höher, um so ehrenvoller, als es so selten angestrebt wird in unserer selbstsüchtigen Zeit!

Um zu erfahren, wie sehr die Bedeutung des Mannes anerkannt wird, auch weit über die Grenzen seiner Heimath, um einen Ueberblick über seine universelle Thätigkeit zu gewinnen, brauchen wir nur einen Tag bei ihm zu verleben.

Auf dem Schilde an seinem einfachen Hause lesen wir die Inschrift „Wollspinnerei und Tricotfabrik“; im Uebrigen kennzeichnet sich die Fronte durch Schaufenster als den Eingang zu einem Manufacturwaarenladen. Wir treten ein, müssen aber eine unendliche Reihe von Waaren-Repositorien passiren – das Haus ist die Verbindung zweier Straßen und das längste der ganzen Stadt. Endlich gelangen wir an die Pulte, das letzte in der Reihe dient dem Chef des Hauses. Der verwunderte Blick unsers Begleiters verräth eine Enttäuschung; einen so schlichten kleinen Mann, im grauen Rock, mit dessen melirter Farbe das graue krause Haar an Unscheinbarkeit wetteifert, hatte er zu finden nicht erwartet. Erst als wir eine Zeitlang im Cabinet neben ihm gesessen haben und des Mannes klare und bestimmte, wenngleich ungemein milde Redeweise dem Gaste imponirt hat, erst da verzeiht er ihm seine gänzliche Schmucklosigkeit. Nun läßt der Fremde den Wunsch durchblicken, die eigenthümliche Industrie des Hauses kennen zu lernen, und der Hausherr erbietet sich sofort uns zu den Tricot-Stühlen zu führen. Im Moment aber meldet sich eine Deputation aus Brüssel, die Abgesandten einer großen belgischen Handels-Compagnie treten ein und besprechen den Plan eines Ankaufes der Kölner Gaswerke um den Preis etlicher Millionen mit dem Hausherrn. „Hat er darüber zu verfügen?“ fragt erstaunt unser Fremder. „Keineswegs,“ antworten wir, „er hat im Stadtrath Sitz und Stimme, gleich seinen dreißig Collegen. Aber Herr Classen ist der alleinige Reformator des großen Gas-Instituts, er hat seit fünfzehn Jahren das Monopol der englischen Compagnie bekämpft, seiner Thätigkeit in Schrift und Rede verdanken es die Bürger, wenn sie das Licht für den halben Preis gegen früher geliefert erhalten.“ „Was veranlaßte ihn zu dieser Agitation?“ „Das Interesse Aller; er selbst ist nur kleiner Gas-Consument, denn sein großes Etablissement, die Wollspinnerei, liegt entfernt von Köln und hat seine besondere Gasanstalt.“ – Die Belgier entfernen sich, wir stehen an der Treppe zu den Fabrik-Räumen. Da erscheinen in der Thür vier Männergestalten, sehr improvisirt angethan mit ihren Sonntagsröcken; es sind Karrenfuhrleute, sie klagen über den Neubau eines Festungsthores und bitten den Herrn Stadtrath um eine Beschwerdeschrift an die Commandantur. Mit freundlichen Worten seine Verwendung versprechend, verabschiedet er die Leute, nun sind wir glücklich oben, nun beginnt die hier dutzendweise aufgestellte, höchst complicirte Tricot-Maschine unsern Gast zu interessiren – da gesellt sich wieder ein Besucher zu uns und redet unsern Führer französisch an. Alsbald hören wir, daß er ein Ingenieur ist, welcher den neuesten Plan zur Anlage einer künstlichen Wasserleitung entworfen. „Sieben Jahre lang kämpft und streitet Herr Classen für ein eben so gemeinnütziges wie besonders in dem engen Köln nothwendiges Institut, bisher noch ohne praktischen Erfolg; sieben Jahre lang vergebens, und bemerken Sie, spricht er nicht mit einer Wärme, als sei er frisch in den Kampf eingetreten?“

Noch auf der Treppe hören wir eine neue Anmeldung, die Namen klingen jüdisch und der Hausherr erzählt, daß der Vorstand der israelitischen Gemeinde sich an ihn gewendet, um eine


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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_363.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2022)