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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

zeigte, rückt um fünf Stellen weiter und zeigt demnach 9; stellt man dann dasselbe Knöpfchen auf 3, dreht die Kurbel einmal, so dreht sich das Rädchen etc. um drei Zähne und es muß demnach das Zifferblatt auf 2 rücken, zugleich aber erscheint in dem links daneben liegenden Schauloch 1, und man erhält so die Summe von 3 und 9 = 12.

Damit aber dies Letztere geschehe, trifft in dem Augenblick, wo im Schauloch bei Addition 0 auf 9 oder bei Subtraction 9 auf 0 folgt, ein unterhalb am Zifferblatt angebrachter Zahn ein Hebelwerk, welches bei dem links daneben liegenden System einen einzelnen Zahn w (die Zehner-Zahl) so auf seiner Umdrehungsachse verschiebt, daß er in ein Rad p eingreift und eine Drehung um eine Stelle hervorbringt.

Nachdem wir versucht haben, unsern Lesern ein Bild der Rechenmaschine zu geben, wollen wir noch die einzelnen Operationen beschreiben. Sollen z. B. mehrere Zahlen 56983 + 5638 + 397854 + 62016583 etc. addirt werden, so stellt man wie hier geschehen 56983432 mittelst der Knöpfe im Stellwerk, dreht die Kurbel einmal und es erscheint diese Zahl in den Schaulöchern; alsdann stellt man die zweite Zahl, dreht einmal und sieht in den Schaulöchern die Summe von 56983 und 5638; in dieser Weise fährt man fort, bis das Exempel gelöst ist.

Will man eine Zahl mit einer bestimmten Zahl, also z. B. 476897 mit 3 multipliciren, so stellt man die erstere in den Einschnitten des Stellwerkes, dreht die Kurbel dreimal und ersieht in den Schaulöchern das Product. Zur Vereinfachung der Multiplication ist, wie bereits erwähnt, das Schauwerk verschiebbar und zwar so, daß man die Zehner oder Hunderter etc. der im Schauwerk ersichtlichen Zahlen der Einerzahl der im Stellwerk aufgestellten gegenüber bringen kann. Wenn z. B. 56983 mit 6864 multiplicirt werden soll, so stellt man 56983 im Stellwerk, dreht viermal, rückt dann das Schauwerk B um eine Stelle nach rechts, dreht sechsmal, rückt das Schauwerk abermals um eine Stelle nach rechts, dreht achtmal, dann nochmals um eine Stelle nach rechts, dreht sechsmal und es zeigen dann die Schaulöcher das Product von 56983 und 6864 = 391131312. Die untere Reihe der Schaulöcher 0 zeigt an, wie viel Drehungen man mit der Kurbel gemacht hat, so daß man diese nicht zu zählen braucht. Die Subtraction wird in ähnlicher Weise wie die Addition ausgeführt, nachdem man durch eine Verschiebung des Knopfes D auf Subtraction die Schauräder zwingt, sich in entgegengesetzter Richtung, wie bei der Addition zu bewegen.

Die Vortheile der Maschine bestehen, wie aus diesen kurzen Andeutungen hervorgeht, besonders darin, daß sie das geisterschlaffende, maschinenmäßige Rechnen der vier Species dem Mathematiker abnimmt oder doch wesentlich erleichtert, dann aber auch da, wo es sich um größere Zahlen handelt, sehr schnell und durchaus genau rechnet, ein Vortheil, der sicher nicht zu unterschätzen ist.

Aber erfüllt, so wird mancher Leser fragen, die Maschine eine Hauptanforderung, die man an jedes derartige Instrument stellen muß: ist sie praktisch? Und auch dies können wir unbedingt bejahen. Auf dem Bureau der Lebensversicherungs-Gesellschaft Germania zu Stettin befinden sich seit zwei Jahren zwei Maschinen, und obwohl diese fast unausgesetzt im Gebrauch sind, so hat sich doch noch nicht die geringste Reparatur an denselben nöthig gemacht, gewiß ein Beweis für die Tüchtigkeit der Construction. Aber auch nach anderer Richtung haben sich die Maschinen hier als praktisch gezeigt; die Arbeiten, welche dem mathematischen Bureau dieser Gesellschaft obliegen, sind bei dem eminenten Aufschwunge, dessen sich die Germania erfreut, und bei dem Bestreben, den Anforderungen des Publicums in jeder Richtung zu entsprechen, was die Einführung einer Reihe neuer Versicherungstabellen nöthig machte, ganz enorme. Die Bewältigung dieser Arbeit würde, ohne das Personal bedeutend zu vermehren, nicht möglich sein, wenn nicht die Maschinen die Arbeitskraft mehrerer Menschen aufwögen. Also auch nach dieser Richtung hin sind sie praktisch.

Sollte aber einer unserer Leser die Maschine näher kennen lernen wollen, denen wollen wir zum Schluß noch mittheilen, daß auf der im Mai stattfindenden Industrie-Ausstellung zu Stettin eine solche Maschine ausgestellt sein wird; wer aber mehr Interesse für dieselbe gewonnen haben sollte und sie in Thätigkeit sehen will, der mag sich auf das Bureau der erwähnten Germania bemüher, wo ihm dieselbe, wie schon vielen Hunderten Wißbegieriger, mit der größten Bereitwilligkeit gezeigt und erklärt wird.




„Der selige Franz.“

Wer an einem Frühlingsmorgen zwischen Blumen und Blüthenbäumen, im Kreise seiner Lieben und trauter Freunde, die freien Geistes und frischen Herzens der edlen Schönheit wie dem heiligen Ernst des Lebens huldigen, voll innigen Dankgefühls das Auge zum reinen blauen Himmel erhebend, selig einschlummerte – und plötzlich aufwachte im staubigen Kirchenstuhl einer düsteren Klosterkapelle, Nichts vor Augen, als Glatzen von Mönchen und gebetmurmelnde Gesichter alter Weiber – der würde die Empfindung haben, die uns überkam, als wir den „Bericht über das Jahr 1863, das neunundzwanzigste Jahr der Wirksamkeit des Vereins für die sieben Goßner’schen Klein-Kinder-Bewahranstalten etc. in Berlin“ gelesen hatten.

So viel uns auch die Kunst Bilder krankhafter Frömmelei darstellt und wie oft wir sie im Leben belauschen können, so ist unseres Wissens doch noch nie das heuchlerische Spiel mit dem jedem Herzen Heiligsten in widerlicherer Weise getrieben worden, als es in diesem „Berichte“, namentlich aber in der ihm eingewebten Erzählung von dem „seligen Franz“ uns entgegentritt. Wir müssen unser Auge dazu hergeben, zu sehen, wie ein argloses Kind von seinem dritten bis zum sechsten Jahre zur Caricatur eines Glaubensmusters verkrüppelt wird, wie das arme Kind Nichts mehr anders denkt und spricht, als in biblischer Redeweise, wie seine Phantasie ganz erfüllt ist mit allen möglichen biblischen Gestalten, und wie in den Eltern dieses Kindes sogar das jedem Wesen natürlichste Gefühl der Elternliebe zusammenschrumpft in den affectirten und kühlen Ausdruck blinder Hingebung an Glaubenssatzungen, mit denen sie noch am Sterbebett des Kindes sich wahrhaft herzlos zu trösten wissen.

Doch – wir wollen den Leser nicht länger abhalten, mit den eigenen Augen den traurigen Irrpfad solcher Frömmelei zu verfolgen, und überlassen seinem eigenen Herzen den Urtheilsspruch über das nachfolgende Resultat derselben.




„Liebe Mama!“ sagte der kleine, beinahe sechs Jahre alte Franz recht freudig, als er an einem Montag Morgen erwachte, „weißt Du, was ich gern möchte?“

Seine Mutter fragte: „Nun liebes Fränzchen, was möchtest Du denn gerne? willst Du Deinen Kaffee mit Zwieback?“ und als er es verneinte, fragte sie ihn weiter: „Willst Du ein Bild oder einen Wagen, oder etwas anderes Schönes zum Spielen?“

„Nein, liebe Mama,“ sagte er glücklich lächelnd, „das Alles nicht, ich wünsche etwas viel Schöneres,“ und dann zeigte er mit seinen kleinen Händchen nach dem Himmel und sagte: „Da, ich möchte sterben!“

„Aber liebes Fränzchen,“ sagte seine Mutter mit Wehmuth, „warum willst Du denn Deine Mama, Deinen Papa, Dein Brüderchen und Schwesterchen verlassen, warum willst Du denn sterben?“

„Ich will beim Herrn Jesu, bei den lieben Engelein, bei meiner Großmama und bei den seligen Kinderchen sein,“ (die er alle nannte) und dabei blieb er auch, trotz alles Redens.

„Das ist sehr sonderbar,“ dachte seine Mutter und auch sein Vater. Fränzchen war etwas kränklich, er hatte einen bösen Husten, aber wir meinten, es habe nichts zu bedeuten, und er war bis zu diesem Montag immer noch herausgegangen, ja auch in der Spielschule gewesen. Er war in der vorherigen Woche mit seiner Mutter zum Besuch bei seiner Tante gewesen, hatte sich unterwegs etwas erhitzt und wahrscheinlich auch erkältet; das schien die sichtbare Ursache der Krankheit zu sein; die unsichtbare Ursache aber war der Wille seines Heilandes, der sich an dem lieben Fränzchen schon früh verherrlicht hatte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 361. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_361.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)