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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Fort, als ob er durch die Luft geflogen wäre.“

„Du wirst ihn irgendwo verfehlt haben,“ beruhigte ihn die Frau.

„Verfehlt? Die Glocke hör’ ich eine halbe Meile weit.“

„Aber wenn die Thiere satt sind, stehen sie und rühren sich nicht; Du bist vielleicht dicht an ihm vorbeigeritten.“

„Aber die Spuren müßt’ ich denn doch gefunden haben,“ rief der Mann, „und hab’ sie auch anfangs getroffen,“ setzte er störrisch hinzu, „und bis zum Bearcreek hinüber bin ich nachgeritten. Dort ist er zum Wasser hinuntergegangen, wahrscheinlich um zu saufen, und hinein, aber an der anderen Seite nicht wieder hinaus, und auf und ab hab’ ich an dem verwünschten Bach gesucht, bis es stockfinster wurde und ich die Nacht dort lagern mußte.“

„Vielleicht kommt er selber wieder zum Haus,“ meinte die Frau.

„Ich will Dir Etwas sagen, Alte,“ knurrte Jenkins, „Du weißt wie lange unsere Nachbarn schon geklagt haben, daß ihnen Pferde und Vieh gestohlen würden, und wie sie auf Den und Jenen in der Ansiedlung Verdacht geworfen. Ich lachte sie immer aus, denn meinen Thieren geschah Nichts, und wo und wenn ich sie suchte, sie waren immer da.“

„Also wird jetzt auch Nichts gestohlen sein.“

„Jetzt ist’s anders!“ rief der Mann heftig, „und bei mir fangen sie nun auch an. Ich wollte Dir Nichts sagen, denn ich glaubte immer noch, sie fänden sich wieder, allein seit drei Tagen fehlt der junge rothe Stier, und heute hab’ ich auch das Jungvieh mit den beiden Sternen nicht mehr bei der Kuh gesehen.“

„Was? Die Jinny?“ rief die Frau erschreckt und der Alte nickte.

„Außerdem,“ fuhr er fort, „find’ ich eine Menge fremder Pferdespuren hier im Wald herum, die ich alle nicht kenne, und kann nie die Thiere entdecken, die sie eingedrückt. Möglich, daß sie von Nachbarn herrühren, oder daß gar ein paar indianische Schufte in der Nachbarschaft herumstöbern, ist das aber der Fall, oder haben wir es gar mit blutigen weißen Pferdedieben zu thun, dann straf mich Gott, wenn es ihnen nicht besser wäre, sie hätten die Gegend hier nie gesehen; denn komme ich ihnen auf die Fährten, lass’ ich auch Gottes Sonne durch ihre Hirnschalen scheinen – oder ich will nicht Jenkins heißen!“

Die Frau hatte das Essen auf den Tisch gesetzt, aber sie war recht still und nachdenkend geworden, denn wenn sich wirklich solch Gesindel hier in der Gegend zeigte, so lebten sie da auf einem Platz, auf dem sie nicht die geringste Hülfe von einem Nachbar erwarten durften; und daß ihr Alter sich daran nicht kehrte, und keine leeren Drohungen ausstieß, wenn er wirklich einmal einem von ihnen begegnet wäre, wußte sie gut genug.

Noch war sie mit der Zurichtung des Tisches beschäftigt, während Jenkins am Kamin saß und sich aus roher Haut eine Schnur für sein Pulverhorn schnitt, da seine alte defect geworden, als die Hunde draußen anschlugen, und zu gleicher Zeit ein lautes „Holla!“ anrufender Fremder hereinschallte.

„Na!“ sagte Jenkins erstaunt aufsehend, denn das Erscheinen eines Menschen in dieser öden Gegend war stets etwas Seltenes. „Besuch? wo kommt der her?“ Er war zur Thür getreten und sah hinaus. Zwei Reiter hielten draußen an der Fenz und der eine rief: „Mr. Jenkins zu Hause?“

„Denke so,“ sagte der Alte, „steigen Sie ab, Fremde, kommen Sie herein; ruhig, Ihr Hunde, könnt Ihr nicht die Mäuler halten, verdammte Bestien?“

Die beiden Wanderer folgten der Einladung und Jenkins’ Blick haftete indessen ziemlich erstaunt auf dem einen derselben, der in der That auch gar nicht so aussah, als ob er in diesen Theil der Welt gehöre. Sein Begleiter dagegen trug ein altes ledernes Jagdhemd, Leggins und Moccasins, seine Büchse und Decke, und damit hätte er recht gut eine Reise von den canadischen Seen herunter bis an die Wasser des Golfs machen können, aber einen Mann im schwarzen Frack und mit einem Seidenhut auf dem Kopfe, ohne Büchse und ohne Decke hier anzutreffen, war allerdings etwas Außergewöhnliches. Der Mensch sah aus wie ein Advocat, und was wollte der hier mitten im wilden Wald, in Texas? Dahin hatte sich bis jetzt doch wohl noch keiner dieser Landhaifische verloren, ihm wenigstens war noch keiner zu Gesicht gekommen. Die Gastlichkeit seines Volkes gestattete ihm indeß nicht, eine Frage an die beiden Fremden zu richten, bis sie nicht wenigstens ausgeruht und sich mit Speise und Trank erquickt hatten. Ohne sich deshalb weiter um sie zu kümmern, schritt er zur Fenz, auf der noch immer die mitgebrachten Hirschkeulen hingen, wickelte sie auf, schnitt ein tüchtiges Stück Wildpret herunter und trug es in’s Haus, wo Nelly, das Negermädchen, rasch daranging, es in Scheiben zu theilen und in der Pfanne zu braten. Die Frau ordnete indessen den Tisch, das heißt sie setzte noch zwei Teller mehr auf, denn Gabeln brauchte man nicht und sein Messer führte ein Jeder bei sich, und kaum zehn Minuten später war die Mahlzeit schon so weit fertig, daß man Platz nehmen konnte.

„Nun Fremde,“ sagte der Alte endlich, als sie eine Weile tüchtig zugelangt, denn Beide schienen vom Ritt hungrig, „von wo kommt Ihr denn eigentlich in diese Range und wo wollt Ihr hin?“

„Aus den Staaten, Sir,“ sagte der Mann im Frack, und sein Blick haftete dabei auf Nelly, dem Negermädchen, das jetzt wieder hereingekommen war, um das gebrauchte Geschirr abzunehmen und gleich aufzuwaschen: „und möglich,“ fuhr er fort, „daß wir von hier aus gleich wieder zurückreiten.“

„Gleich zurück? so gefällt Euch das Land nicht? wild genug ist’s freilich,“ lachte der Alte, „und wie Ihr mit dem Hut durch all die Büsche gekommen seid, weiß ich nicht einmal recht. Bequem sind die Dinger nicht.“

„Hallo, Betsy,“ sagte aber der Fremde, der keinen Blick von dem Negermädchen verwandt hatte, ohne die letzte Bemerkung zu beantworten, „wie geht’s, Schatz?“

Nelly sah ihn erstaunt an, erwiderte aber nur kopfschüttelnd: „Dank Euch, gut – heiße aber nicht Betsy – Nelly heiß ich,“ und damit griff sie ihre Teller auf und ging damit hinaus.

„Ist sie das?“ frug jetzt der Begleiter des Mannes im Frack, ein Hinterwäldler seiner Kleidung nach, aber mit einem Gesicht, das dem alten Jenkins fast bekannt vorkam, das ihm jedoch trotzdem nicht besonders gefiel, denn das graue, rastlose Auge des Fremden hielt seinen eigenen Blick nicht einen Moment aus und schweifte bald da bald dort unruhig hinüber.

Der im Frack nickte leise vor sich hin und sagte dann: „Allerdings, und unser langer und mühsamer Ritt ist doch nicht umsonst gewesen.“

Jenkins, der aufmerksam die Beiden gemustert hatte, begriff nicht recht, was sie mit den Worten meinten, und frug: „Kennen Sie das Mädchen?“

„Ich sollte denken, Sir,“ erwiderte der im Frack, „sie gehört meinem Bruder in Little-Rock, dem sie vor zwei Jahren gestohlen wurde. Erst vor einigen Wochen bekamen wir aber die richtige Spur, und es thut mir leid mit einer so unangenehmen Sache betraut zu sein; läßt sich jedoch nicht ändern, Sir, das Mädchen ist gestohlnes Eigenthum, und ich werde Sie ersuchen müssen, sie an mich als den Bevollmächtigten meines Bruders auszuliefern.“

„Na, das nehme mir aber kein Mensch übel,“ wollte Mrs. Jenkins hier dazwischen fahren, Jenkins aber hob abwehrend die Hand und sagte ruhig lächelnd: „Es stimmt also Alles, nur schade, daß das Mädchen nicht Betsy, sondern Nelly heißt, auch nicht aus Little-Rock, sondern aus Memphis ist und von daher nicht erst seit zwei Jahren kommt, sondern schon vor vier Jahren von einem meiner Nachbarn am Arkansas in Memphis selber gekauft und mit hier herübergebracht wurde. Sie sehen also, Gentlemen, daß Sie sich irren und Ihren Ritt wohl dennoch umsonst gemacht haben, wenn Sie wirklich nur einer weggelaufenen Negerdirne wegen zu mir nach Texas gekommen sind.“

„Mein lieber Herr,“ sagte der Mann im Frack mit der vollkommensten Ruhe, „es thut mir leid, Ihnen widersprechen zu müssen. Ihr Nachbar vom Arkansas aber hat Ihnen etwas weis gemacht, wenn er behauptete, dies Mädchen von Tennessee herübergebracht zu haben.“

„So?“ sagte Jenkins trocken.

„Um Ihnen aber zu beweisen,“ fuhr der im Frack fort, „daß ich nicht ohne die nöthige Autorität komme, so seien Sie so gut diese Papiere durchzusehen,“ er nahm dabei ein kleines, zusammengefaltetes Packet aus der Rocktasche, die er vor Jenkins ausbreitete, „dies hier, mein werther Herr, ist der Kaufcontract des Mädchens, von einem Yankee-Händler ausgestellt, der sie als Kind im Jahr 1836 mit von New-Orleans brachte. Damals kaufte sie der Friedensrichter in Randolph, Mr. Riley, der sie dann wieder vor vier Jahren an meinen Bruder, Mr. Saunders in

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