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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Der Erbstreit.
Von Levin Schücking.
(Schluß.)

Markholm fühlte sich durch Maxens Worte sehr betroffen. Aber er schwieg.

„Es war ja ganz natürlich, daß sie sich darein nicht finden konnte,“ fuhr Max eifrig fort, „Du hättest das, was an diesem Morgen geschehen, erst in den Hintergrund treten, erst aus ihrem Gedächtniß verlöschen lassen müssen; wie konnte sie Dir denn glauben, Du liebtest sie, wenn …“

„Wahrhaftig, Du magst Recht haben,“ lachte Markholm bitter auf, „man kann ja den Frauen Alles glauben machen, nur die Wahrheit nicht.“

„Ach,“ sagte Max, der über das tiefe Leid seines Onkels auf das Schmerzlichste betroffen war und deshalb seinem Unmuth über das, was ihm dabei selbstverschuldet schien, nicht gebieten konnte, „Onkel, Du kannst gar nicht über Mädchen mitreden, das zeigst Du ja dadurch, wie Du’s so grenzenlos verkehrt bei ihnen anfängst! Romane kannst Du schreiben, wundervoll, Liebesintriguen spinnen, so ideal und fein und schön wie möglich, aber wenn Du Dich in die Praxis einlassen willst, so … nun, Du leidest genug darunter, und ich glaube in der That, viel zu viel; wenn Du den weiblichen Charakter kenntest, Du würdest gewiß nicht allen Muth fahren lassen! Ich weiß nicht, was zwischen Euch vorgefallen ist, aber ich glaube nicht, daß ein Mann, wie Du, gleich zu verzweifeln braucht, seine erste Werbung werde wie auch immer aufgenommen. Was hat sie denn gesagt? Zur Thür hat sie Dich hinausgewiesen? Ah bah! Das ist gerade ein gutes Zeichen!“

„Das ein gutes Zeichen?“ sagte Markholm, die Schulter zuckend. „Die Behauptung ist neu!“

„Nun ja, das beweist Leidenschaft, heftige Erregung … Sturm, wenn Du nur erst Sturm erregt hast, was willst Du mehr? Vielleicht hat es sie innerlich gekränkt, empört, daß Du durch Deine Werbung so rasch nach der andern sie um den Glauben an Deine Aufrichtigkeit gebracht hast; vielleicht hat sie Dir gezürnt, weil Du sie zweifeln gemacht an Dir, weil der Zweifel an Dir ihr etwas Schmerzliches ist …“

„Ach, thörichtes Zeug; spare Deinen Athem. Es bleibt mir nichts übrig, als diese Gegend zu verlassen und in der Welt Betäubung zu suchen. Ich bin zu tief getroffen!“

Max fand seinen Onkel für seine Trostgründe unzugänglich. Er ging, ihm Wein zu holen, und beredete ihn mit Mühe, etwas davon zu seiner Stärkung zu sich zu nehmen.

Markholm erhob sich dann.

„Laß uns zur Ruhe gehen, Max,“ sagte er. „Ich werde mich am besten fassen, wenn ich allein bin. Unterdeß beruhige Dich. Ich werde vielleicht bald die alte Resignation wiederfinden, den Sinn und die Stimmung, in der ich früher oft mit Platen mir sagte:

‚Mir, der ich bin ein wandernder Rhapsode,
Genügt ein Freund, ein Becher Weins im Schatten,
Und ein berühmter Name nach dem Tode!‘

Vielleicht! Gute Nacht!“

Markholm machte in der That am folgenden Tage hastige Zurüstungen zur Abreise. Maxens Ferien nahten sich dem Ende und er wollte ihn in die Stadt begleiten. Er war bleich und schweigsam, er sah aus wie tief erschöpft. Max freute sich, daß die körperliche Thätigkeit, welche jene Zurüstungen erforderten, ihm wider Willen eine Art Zerstreuung gewährte. Im Uebrigen sah Max, daß er ihm keine Stütze sein könne, und so ging er gleich nach Tische zum Pfarrhaus hinüber; er wollte die Sache mit seiner Elisabeth besprechen, er wollte sehen, was sich thun lasse, wenn seine Freundin mit Elisabeth Morgenfeld spreche und ihr den entsetzlichen Gemüthszustand Markholm’s in möglichst rührenden Worten schildere.

Kurze Zeit, nachdem Max gegangen, kam der Gärtnerbursche, den Markholm am vorigen Tage gesehen; er brachte einen Brief und ging gleich wieder; der Antwort bedürfe es nicht, sagte er.

Markholm riß mit zitternden Händen den Brief auf; es war eine klare, große und männlich feste Handschrift, in der er die Worte las:

„Ich habe gestern erkannt, wie sehr Ihnen der Besitz Ihrer Familiengüter am Herzen liegt, und dies Verlangen ist so natürlich, so wohl berechtigt, daß ich Ihnen nicht den leisesten Vorwurf machen darf. Und doch soll Eugen Markholm keinen ähnlichen Schritt wieder um dieser Güter willen machen! Ich habe einen festen Entschluß gefaßt. Nach der Verzichtleistung meines Bruders fallen mir einst diese Güter zu. Sobald dieser Augenblick eintritt, werde ich dieselben, ich verspreche Ihnen das auf Ehre und Gewissen, sofort an Sie übergehen lassen und Ihnen unverkürzt übergeben. Ich habe eine Aspectanz auf eine Stiftstelle und meinen Theil am Allodialvermögen meiner Eltern. Dies genügt mir vollkommen, ist mehr, als ich bedarf, viel mehr. Sie können mit dem besten Gewissen diese Ueberlassung eines Besitzes annehmen, welcher Ihnen von Rechtswegen, ich bin davon überzeugt, gehört, und ich wünsche, daß Sie es thun, ohne Dank.

Elisabeth von Morgenfeld.“     

Markholm las diese Zeilen, einmal, zweimal, dann ballte er das Papier krampfhaft zusammen und schleuderte es mit einem Ausruf des Zornes in die Ecke.

„Noch eine Beleidigung obendrein!“ sagte er dann und warf sich wie niedergeschmettert in seinen Stuhl, um lange, das Haupt auf die Hand gestützt, auf seinen Schreibtisch niederzustarren. Endlich erhob er das Haupt, stand langsam auf und holte das zerknitterte Papier aus der Ecke zurück, worin es lag. Er glättete es und legte es vor sich auf den Tisch.

„Es ist bei alledem seltsam,“ sagte er sich. „Sie ist gereizt, sonst würde sie nicht so beleidigend sein – tief gereizt!“

Markholm dachte an das, was gestern Abend Max zu ihm gesprochen.

„Und dennoch,“ fuhr er in seinem Selbstgespräch fort, „schenkt sie mir die Güter, sie giebt mir so ohne Weiteres zwei Rittergüter, ohne einen Dank zu verlangen! Als ob ich sie nehmen würde, ihre Rittergüter!“ Er ergriff die Feder und warf hastig die folgende Antwort nieder:

„Ich war tief, tief verletzt, ich war grenzenlos elend. Ihr Brief giebt mir einen Trost. Er zeigt mir, daß wir uns nicht verstehen, gründlich nicht verstehen. Ich danke Ihnen. Die Uebertragung Ihrer Güter werde ich natürlich nicht annehmen. Ich würde sie nicht annehmen, auch wenn sie nicht in so beleidigender Weise geboten würde. Auch dann nicht; es konnte keine Rede davon sein!

Eugen von Markholm.“     

Er sandte dieses Billet sofort an Elisabeth ab. Nach einer Weile machte er sich Vorwürfe darüber.

„Du hättest nicht so brüsk sein sollen,“ sagte er sich … „wenn Max Recht hätte … diese seltsame Gereiztheit … wenn sie meine Hand ausschlägt, wozu dann noch beleidigen! Aber eine männliche Antwort war dennoch die beste!“

Markholm ging in’s Freie. Er warf seine Blicke auf das hübsche kleine Haus zwischen seinen Obstbaumwipfeln, auf diese ganze einsam gelegene freundliche Einsiedelei, die so ganz wie für das Traumleben eines vereinzelten Mannes, eines Dichters geschaffen, der die Welt ihn fliehen sieht und die Hand nicht heben mag, um sie sich festzuhalten.

„Es hätte ein Hafen für mich sein können,“ sagte er sich, „aber das Schicksal will es nicht. Wer trägt die Schuld? Niemand, als ich selber! Mit meinem thörichten Herzen, das ich eingeschlummert wähnte und das jetzt der Sturm wieder ergriffen hat, der es nicht rasten läßt, der es wieder hinauspeitscht in Wirbel und Betäubung! Wer mir dies Alles noch vor wenigen Tagen gesagt hätte … ich hätte ihn verlacht! O, welch eine Welt ist in uns, die wir selber nicht kennen! Und wie seltsam, daß es Menschen giebt, gewiß eine Fülle von Menschen, welche niemals zur Erkenntniß dessen kommen, was in ihnen ist, bei denen es durch ihr ganzes Leben schlummern bleibt! Wozu ist es dann da? Soll es in andern späteren Existenzen aufblühen, oder bleibt es ein todter Werth, den die Natur verschwendet hat? Wie sie die Seelen verschwendet hat, die, für einander geschaffen, sich niemals finden und deshalb ungeweckt und unbefruchtet und ewig unfruchtbar bleiben! Seltsame Räthsel der Existenz!“

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